: Möglichst konservativ
Bei der Verarbeitung von Lebensmitteln wird oft in den Chemiebaukasten gegriffen. Dafür gibt es natürliche Alternativen aus der vorindustriellen Zeit
Der amerikanische Umweltjournalist und Autor Michael Pollan („Das Omnivoren-Dilemma“) hat drei Grundsätze postuliert, woran man echtes Essen erkennt: Es besteht aus maximal fünf Zutaten, die Namen dieser Zutaten lassen sich problemlos aussprechen und die eigene Großmutter – für Millennials wohl eher die Urgroßmutter – erkannt das Lebensmittel spontan als Nahrung. Echtes Essen, so Pollan, ist naturbelassen und möglichst unverarbeitet.
Jetzt habe ich nichts gegen Dosentomaten, getrocknete Nudeln und tiefgekühlte Erbsen, im Gegenteil. Das sind moderne Formen der Haltbarmachung. Traditionelle Methoden des Konservierens umfassen Trocknen und Fermentieren oder das Einlegen von Lebensmitteln in Salz, Zucker, Essig und/oder Öl. So sind Käse und Wurst, Tofu und Tempeh, Salzzitronen und Marmelade, Sauerteig und Stockfisch entstanden. All diese Techniken sind alt. Die moderne Industriegesellschaft hat noch andere Möglichkeiten, indem sie sich des Chemiebaukastens bedient. Und jetzt, wo vieles neu erfunden werden muss, weil es darum geht, sich auf pflanzenbasierte Ernährung umzustellen, schlägt sie zu.
Vor Jahren war Deutschland geschockt über Analog-Käse. Inzwischen hat er ein Re-Branding erfahren und heißt nun vegan, Käse darf er sich nicht nennen. Finde ich okay, es ist ja kein Käse, sondern ein oft aus Palmöl, Zusatzstoffen und natürlichen Aromen gebasteltes Produkt. Andererseits bietet diese Suche nach neuen Wegen auch Chancen, traditionelle Methoden einzusetzen und jene zu bedienen, die sich nicht von stark verarbeiteter Industrieware ernähren wollen. Beim Käse-Ersatz klappt das zunehmend.
Für die Herstellung von Käsealternativen nach klassischen Techniken werden meist Nüsse verwendet, die eine milden Eigengeschmack haben. Auf der Cheese Berlin fanden die cxeese-Produkte von Acayú aus Portugal viel Anklang. Sie erzeugen auf der Basis von Bio-Cashews Alternativen zu Frisch-, Schimmel- und Räucherkäse, die sie mit Kräutern und Gewürzen verfeinern. Dabei betonen sie, dass ihre Produkte etwas Eigenes darstellen und nicht einfach nur Käse-Imitationen sind. Auch der französische Hersteller Jay & Joy verwendet Bio-Cashews, Bio-Mandeln. Ihr geraspeltes Produkt für Gratins basiert auf Kokosmilch und Kartoffelstärke. Doch auch der Anbau von Cashews und Mandeln ist problematisch. Das Ernten und Verarbeiten von Cashews in Vietnam und Afrika ist für die Arbeiter nicht ungefährlich, und Mandeln haben einen hohen Wasserbedarf.
Dr. Mannah’s, eine vegane Käserei in Cuxhaven, betont daher, dass darauf geachtet wird, dass die Bio-Cashewkerne für ihre Produktion nicht von Hand aus der Frucht gedreht werden, sondern dass dies von einer Maschine erledigt wird. Dr. Mannah’s sieht sich auch nach weniger exotischen Grundstoffen um und hat eine Camembert-Alternative im Programm, die auf Bio-Blumenkohl basiert.
Da Blumenkohl fettarm ist, ein Käse aber Fett braucht, wird mit Bio-Palmöl gearbeitet. Zwar sind die Bio-Palmöl-Richtlinien strenger als die Maßstäbe anderer Palmöl-Initiativen, die den Anbau nachhaltiger gestalten wollen, dennoch wachsen die Palmen auf Land, auf dem Regenwald stehen könnte. Andererseits ist keine Ölpflanze auf der Fläche so ergiebig wie die Ölpalme. Die Verwendung von Sonnenblume oder Raps würde mehr Agrarfläche beanspruchen. Dass es auch regional geht, zeigen drei Studierende aus Kiel. Die handwerklich hergestellten Käsealternativen überstiegen ihr Budget. So nutzen sie 2020 die in der Pandemie verordnete Ruhe und begannen, mit regionalen Sonnenblumenkernen zu experimentieren. Seit Juni 2022 verkaufen sie ihren ersten „Streichcaese“ unter dem Label caesekrake in Kiel.
Wer übrigens seinen Palmöl-Konsum senken möchte, hat zur Weihnachtszeit eine gute Gelegenheit: Fünf Prozent des weltweit angebauten Palmöls werden für die Produktion von Kerzen verwendet. Aber bitte nicht essen. Lisa Shoemaker
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