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Das rote NRW wird nach 39 Jahren schwarz

Ihre „Erneuerung“ Deutschlands beginnen CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen mit Ministerpräsident Rüttgers (CDU)

BOCHUM taz ■ Nach 39 Jahren endet heute formell die SPD-Vorherrschaft. Der CDU-Vorsitzende Jürgen Rüttgers wird heute zum Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen gewählt. Seine schwarz-gelbe Koalition hat eine satte Mehrheit von 15 Stimmen. NRW solle „ein Land der neuen Chancen“ werden, sagte der künftige Regierungschef Rüttgers nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags mit der FDP. Gibt das nun bürgerlich regierte bevölkerungsreichste Bundesland zugleich auch den Startschuss für eine schwarz-gelbe politische Wende in ganz Deutschland?

„Historischer Irrtum“

Rüttgers sträubt sich drei Monate vor der Bundestagswahl ein wenig gegen die Vereinnahmung seiner Regierung als Pioniertruppe eines möglichen schwarz-gelben Machtwechsels in Berlin. „Wir haben mit unserem Wahlsieg das Tor aufgemacht für Neuwahlen in Deutschland. Mehr nicht“, sagte der Christdemokrat. Auch historische Vergleiche mit vergangenen Regierungswechseln in NRW kommentiert Rüttgers nicht gern. 1966 war die Machtübernahme der Sozialdemokraten in NRW Vorspiel für die sozialliberale Koalition unter Brandt. Und Rot-Grün regierte 1995 zunächst in Düsseldorf – und 3 Jahre später im Bund. Rüttgers sieht seine Regierung nicht in dieser Reihe: „Ich ziehe keine historischen Vergleiche.“

FDP-Chef Guido Westerwelle ist da weniger zurückhaltend, er strapaziert das Bild vom geschichtlichen Neubeginn. Die FDP an Rhein und Ruhr müsse durch Einsatz im Bundestagswahlkampf helfen, dem „historischen Irrtum“ Rot-Grün auch im Bund ein Ende zu bereiten. „Wir tragen Verantwortung für eine Zeitenwende“, sagte Westerwelle.

Politisch nehmen Schwarze und Gelbe in Nordrhein-Westfalen jedenfalls schon einmal vorweg, was sie für die gesamte Republik planen. Mit dem 64-seitigen Koalitionsvertrag haben Rüttgers und FDP-Landeschef Andreas Pinkwart ein konservativ-liberales Arbeitsprogramm besiegelt, das so ähnlich auch vom Duo Merkel/Westerwelle stammen könnte. Der Leitsatz „Die Koalition der Erneuerung macht eine Politik der Ehrlichkeit“ etwa dürfte im Herbst so oder so ähnlich auch in Berlin formuliert werden.

Erneuerungsrhetorik

Erneuerungsrhetorik durchzieht das Reformprogramm. Marktwirtschaftlicher, freier und innovativer müsse das Bindestrichland regiert werden. Von „marktkonformen Entscheidungen“ und einem „Entfesselungsprogramm“ für die darbende Wirtschaft schreiben die Koalitionäre. Besonders radikal geht Schwarz-Gelb beim Thema Kohlesubventionen vor. Die neue Regierung in Düsseldorf will die Beihilfen aus dem Landeshaushalt bis zum Jahr 2010 um insgesamt 750 Millionen Euro reduzieren. Danach sollen die Subventionen ganz eingestellt werden. Betriebsbedingte Kündigungen sind wohl nur noch durch Ersatzzahlungen des Bundes zu vermeiden, rechnen Gewerkschafter schon vor.

Von einer schwarz-gelben Bundesregierung sind weitere Finanzhilfen freilich nicht zu erwarten. CDU und FDP wollen auch auf Bundesebene bei den Subventionen kürzen. Es deutet sich also eine Energiepolitik „aus einem Guss“ (Angela Merkel) an. „Was in NRW politisch anläuft, wird wohl auch im Bund laufen“, sagt der Bochumer Politikwissenschaftler Uwe Andersen. Rüttgers verfüge als starker Bundesvize über Einfluss in Berlin, bei der FDP garantiere schon der Bundesvorsitzende Westerwelle die Nähe zu NRW.

Auch machtpolitisch sind Christ- und Freidemokraten entschlossen. Die Koalitionspartner wollen das seit Jahrzehnten geltende Einstimmenwahlrecht in NRW abschaffen, das meistens den großen Parteien nützt. Auf Druck der FDP wird die Zweitstimme bei Landtagswahlen eingeführt. Dennoch läuft in diesen Tagen nicht alles harmonisch zwischen Schwarz und Gelb. Erst gestern platzte, wenige hundert Meter vom Landtag entfernt, die CDU-FDP-Koalition im Düsseldorfer Rathaus. MARTIN TEIGELER

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