Buch über Rassismus und Antisemitismus: Keine neuen Grenzen ziehen
Im Fokus in „Frenemies“: die Beziehung zwischen Antisemitismus und Rassismus. Der Sammelband erlaubt das Herantasten an unbequeme Haltungen.
Am Anfang steht das Scheitern. In der Einleitung ihres Sammelbands gewähren die Herausgeber*innen Saba-Nur Cheema, Sina Arnold und Meron Mendel einen Einblick in den Entstehungsprozess von „Frenemies. Antisemitismus, Rassismus und ihre Kritiker*innen“. Als die Namen zweier Autoren bekannt wurden, die im Buch vertreten sein sollten, wollten andere ihre Texte zurückziehen.
Am Ende landeten einige geplante Texte nicht im Band. Arnold, Cheema und Mendel schreiben: „Damit sind wir unserem eigenen Anspruch nicht nachgekommen, auch palästinensischen Stimmen mehr Gehör zu verschaffen. Außerdem ist unser Versuch, die gängige Praxis der Kontaktschuld mit diesem Sammelband zu kritisieren, an dieser Stelle gescheitert.“
„Frenemies“ soll Konflikte abbilden, die in der Beziehung zwischen Antisemitismus und Rassismus auftreten, um konstruktiven Streit zu ermöglichen. Texte von über 50 Autor*innen aus den Bereichen Wissenschaft, politischer (Bildungs-)Arbeit, Medien und dem Kunstbetrieb sind versammelt.
Angeordnet sind sie durch kurze Fragen wie: „Ist Antisemitismus eine Form von Rassismus?“ „Ist Kritik am Islam rassistisch?“ „Gibt es Konkurrenz in der Erinnerung an den Holocaust und Kolonialismus?“
Antisemitismuskritik und Postkolonialismus
Vor allem Antisemitismuskritik und Postkolonialismus stehen im Konflikt zueinander, der immer wieder in einer Diskussion über die Haltung zu Israel mündet. Viel zu oft entsteht dabei der Eindruck, es gebe zwei klar abgegrenzte, konkurrierende Gruppen. Ja, es gebe Grenzen, schreiben die Herausgeber*innen, aber auch über diese müsse gestritten werden.
So verschieden die Positionen, so vielstimmig der Klang der Texte: Überwiegend ist man bemüht um Sachlichkeit, manche Autor*innen schreiben jedoch nachdrücklich parteilich, hin und wieder emotional persönlich.
Leser*innen können wählen, mit welchen Argumenten sie sich auseinandersetzen wollen. Hilfreich sind dabei kontextualisierende Texte zu Beginn des Sammelbands, in denen Antisemitismus und Rassismus in ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden, historisch und in ihren Ausdrucksformen betrachtet werden.
Der Sammelband erlaubt das Herantasten an Haltungen, die der eigenen unbequem sind. Ein Appell taucht dabei in den Texten immer wieder auf: Bei allen Schwierigkeiten müssten Menschen, die Antisemitismus und die, die Rassismus entgegentreten, zusammenarbeiten, um die Gesellschaft besser zu machen.
Wenn Interessierte, die sich als Gegenspieler*innen verstehen, diesen Appell vernehmen und das gleiche Buch in die Hand nehmen, ist das Scheitern am Ende vielleicht ein Schritt hin zum besseren, streitenden Gespräch.
Leser*innenkommentare
JulianM
Was wir eigentlich bräuchten, wäre eine fundierte historische Kritik des Westens. Weil diese unerwünscht ist, geraten Fragmente & Splitter davon oft auch noch einander ins Gehege. Ich halte es nach wie vor mit Hannah Arendt, die sehr dezidiert zwischen Judenhass & Antisemitismus unterschied & letzteren natürlich als einen biologistisch zu Ende gedachten Auswuchs der rassistischen Herrschaftsform des Westens definiert. Auch hat sie bereits vor über 50 Jahren in aller Deutlichkeit aufgezeigt, welche Blaupausen rassistische & kolonialistische Herrschaftspraxis(!) für die nationalsozialistischen Verbrechen bereitgestellt haben. Insofern erstaunt mich an der herrschenden Debatte auch ihre seltsame Blindheit für längst vorliegende Zeugnisse guter Wissenschaft. Aber das verwundert auch wieder gar nicht, wenn man bedenkt, dass sie überwiegend in den asozialen Medien geführt wird, woran sie, wenn sich dieses nicht rasch ändert, auch scheitern wird.
Auf der Grundlage einer fundierten Kritik der historischen Begründung des westlichen Hegemons, der tatsächlich auf Sklaverei & Genozid gegründet wurde, wird dann auch rasch deutlich werden, dass die deutsche Abteilung, keineswegs nur in der BDS-Kampagne, iW ein Entschuldungs- & Schuldumkehr-Narrativ bedient.
Insgesamt wäre es wichtig, sehr viel mehr phänomenologisch zu arbeiten, als gewaltsam Universaldefinitionen aufzwingen zu wollen, die doch immer nur dem Zweck dienen, durchaus legitime Definitionen von Anfang an auszuschließen.