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Coronamaßnahmen in ChinaNull-Covid-Politik dreht durch

In China sollen Touristen in Xinjiang arbeiten und Passanten ohne „grünen Code“ landen im Isolationszelt. Es wird immer absurder.

Wer keinen „grünen Gesundheitscode“ vorweisen kann, wird in Peking kurzerhand festgesetzt Foto: Mark Schiefelbein/ap

Peking taz | Als die Lokalregierung von Ürümqi am Wochenende zur Pressekonferenz rief, präsentierte sie stolz einen Ratschlag an die Abertausenden chinesischen Touristen, die während der jüngsten Ferien unverhofft in der abgeriegelten Provinzhauptstadt von Xinjiang gestrandet sind. Da die Gäste aufgrund des Coronalockdowns nicht in ihre Heimat zurückkönnen, sollen sie doch am besten in Xinjiang nach Arbeit suchen. Die gesamte Region ist derzeit schließlich isoliert, sämtliche Zugverbindungen sind gekappt.

Was von den Propaganda­medien als wirtschaftlich smarte Maßnahme publiziert wurde, ließ selbst den stoisch erprobten Chinesen den Kragen platzen: „Die Wahrheit ist, dass wir unser Hotelzimmer, das wir weiterhin selbst bezahlen müssen, nicht einmal verlassen dürfen“, beschwert sich ein User auf Weibo. Ein anderer meint: „Wer zum Teufel hat sich nur diesen Plan ausgedacht?“

Nur eine Woche vor dem historischen 20. Parteikongress in Peking droht die Coronalage in China erneut außer Kontrolle zu geraten. Die täglichen Infektionszahlen liegen auf dem höchsten Niveau seit über drei Monaten. Zwar sind sie im internationalen Vergleich mit etwas über 1.000 pro Tag geradezu verschwindend niedrig. Doch da die Volksrepublik weiterhin an der Null-Covid-Strategie festhält, schickt jede einzelne Infektion zehntausende Menschen in Zwangsquarantäne.

In Schanghai droht sich der zweimonatige Lockdown vom Frühjahr nun zu wiederholen. Derzeit sind es zwar bislang nur einzelne Viertel, die von Gesundheitspersonal mit grünen Gittern umzäunt werden. Doch die Situation eskaliert.

Lockdown im Hotel

Der Brite Peter Lee erfuhr kürzlich während der Mittagspause, dass seine Wohnanlage in einen 48-stündigen Lockdown versetzt werde. Da er sich gerade in einem Restaurant befand, entschied sich der Expat kurzerhand, für zwei Nächte in ein benachbartes Hotel zu ziehen. Wie Lee auf Twitter schildert, wurde wenige Stunden später auch das Hotel nach einem positiven Coronafall abgeriegelt. Jetzt sitzt er dort für sieben Tage fest.

Viele der immer strengeren Coronamaßnahmen entfernen sich auf geradezu absurde Weise von jeder wissenschaftlichen Grundlage. In Schanghai und in Peking lassen sich beispielsweise seit einigen Wochen „temporäre Quarantäneecken“ im öffentlichen Raum beobachten. Das sind kleine Einpersonenzelte, um Passanten in U-Bahn-Stationen oder an Straßenkreuzungen, die keinen „grünen Gesundheitscode“ auf ihrem Smartphone vorweisen können, kurzerhand festzusetzen. Dort müssen die Leute dann entweder auf ihren negativen PCR-Test warten – oder auf den Quarantänebus, der sie in zentralisierte Isolationslager bringt.

In China kann sich jeder mit der Angst identifizieren, dass auf dem digitalen Gesundheitszertifikat plötzlich ein „Pop-up“ auftaucht. Das bedeutet: Man wurde als möglicher Kontakt eines Corona-Infizierten identifiziert. Dann ist man von einer Minute auf die andere vollkommen vom öffentlichen Leben abgeschnitten, kann nicht einmal mehr den Supermarkt um die Ecke besuchen.

Das örtliche Nachbarschaftskomitee entscheidet dann, wie weiter vorgegangen wird: in fast allen Fällen sieben Tage Heimquarantäne. Auf der Online-Plattform Weibo haben sich die kritischen Diskussionen über den scheinbar willkürlichen Gesundheitscode derart gehäuft, dass die Zensoren sämtliche Diskussionen löschen, ja selbst Suchanfragen darüber mittlerweile ins Leere laufen.

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12 Kommentare

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  • bitte gerne den menschen vorbeten, die hier schon pickel bekommen, wenn sie in bus und bahn eine maske tragen sollen, um die relation herzustellen, was echte einschränkung wirklich bedeutet.

    • @pilzkonfekt:

      Danke für die Drohung. Das man ausgerechnet sich eines autoritären Landes dafür bedient um den Menschen zu drohen, zeigt einmal mehr wie kaputt wie Deutschen sind.

  • Und in Deutschland kann sich jeder mit der Angst identifizieren, dass im Supermarkt plötzlich ein unmaskieter, hustender Infizierter auftaucht, und selbst die eigene Impfung und die eigene Maske auch nicht mehr schützt.

    Die chinesischen Maßnahmen basieren eben gerade doch auf der "wissenschaftlichen Grundlage" bzw. Erkenntniss, dass CoVID eben auch per Aerosol von Symptomlosen verteilt wird.

    Keine Frage, dass daraus unschöne Maßnahmen folgen. Aber sind die unschön_er_, als dass wir uns Durchseuchung, 150 Tausend Tote, #MedizinBrennt, LongCoVID, etc. erst selbst einbrocken?

    • @JaMu:

      Wer Symptomlos ist, der ist nicht krank und nicht betroffen. Wer Angst hat krank zu werden, soll zuhause bleiben. So war es bis März 2020, so beurteilte man früher Gefahren.

      Im übrigen haben wir eine "Durchseuchung" seit einem Jahr, aber manche haben es sich bequem gemacht in dieser Dystopie, ihnen gefällt das, wie eine bayrische Kabarettistin es in einem Interview mal gesagt hat.

    • @JaMu:

      Wie kann man dieses Land auch noch verteidigen?

  • > - Ablehnung ausländische Impfstoffe zu verwenden

    Ein zweiseitiges Problem, siehe z.B. bioprocessintl.com...rna-covid-vaccine/

    > After discussing [transferring its technology or building a manufacturing facility] in 2020 and 2021, Moderna decided that no compromise acceptable to both parties was going to happen and backed away from the negotiations.

  • Generalprobe für den Biowaffen Ernstfall. Das ist der einzige Grund, das einzige Motiv, welches mir ausser Dummheit und Planlosigkeit einfällt, welcher Zero Covid rechtfertigt.

    Daten sammlen, KI`s trainieren, Auswirkungen verschiedener politischer Spielweisen auf Effizienz für Virusbekämpfung testen.

    Ich unterstelle Xi`s Autokratie einiges, aber keine vollkommene Planlosigkeit und Dummheit.

    • @SimpleForest:

      Naja, es gibt schon auch noch viele andere Erklärungen. Die Gefahr durch Sars-CoV2 in China ist auch bei Omikron noch vergleichsweise hoch. Man hat durchaus mehr Probleme zu erwarten als hierzulande. Gründe dafür sind:

      - niedrige Impfrate, besonders bei alten Menschen aufgrund mangelnden Vertrauens in die Regierung



      - weniger gut wirksame Impfstoffe



      - Ablehnung ausländische Impfstoffe zu verwenden



      - geringe Krankenhauskapazität

      Dazu kommt das Hochstilisieren von Zero-Covid als Glaubenssatz: "Seht her, wie die im Westen ihre Bürger sterben lassen."



      Ob sich das nach Xis Wiederwahl ändert, ist fraglich. Zumal ein Laufenlassen im Winter am schädlichsten wäre.

      • @Co-Bold:

        Wenn ich mir die Entwicklung Chinas bis vor 2020 so ansehe, erscheint mir Jan's Erklärung aber wesentlich wahrscheinlicher. Es gibt aber noch eine weitere Erklärung, Xi hat selbst Angst vor einer Ansteckung und schickt nun in seinem Wahn (so geht es den meisten Menschen mit zuviel Macht) das ganze Land in den Lockdown.

        "niedrige Impfrate" laut Statisik falsch denn China hat laut jener die viert höchste Impfquote aller Länder. Mit "besonders bei alten" suggerierst du aber was anderes. Warum?! Bei Alten ist sie niedriger, das stimmt, das ist ein überzeugendes Argument, warum also untergäbst du deine eigene Glaubwürdigkeit mit der genannten Falschsuggestion?

        "weniger gut wirksame Impfstoffe" und "Ablehnung ausländischer Impfstoffe" Du meinst die gut wirksamen aus dem Westen? Hört sich für mich verdächtig nach Werbung von Pfizer & Co an, der du da aufgesessen bist. Wenn du dir die Zahlen vom RKI in Deutschland anschaust hatten wir in den ersten 10 Monaten 50.000 Tote. Dann kamen die "gut wirksamen Impfstoffe" zum Einsatz. Rechnen kannst du ja selbst.

        "geringe Krankenhauskapazitäten" Deutschland "hatte" 2012 rund 8 pro 1000 Einwohner, Anfang 2020 waren es noch 6 und seitdem sind es nochmal weniger geworden. In China waren es 2012 4,3 Betten aber im Ballungsraum Shanghai 8, aktuellere Zahlen finde ich leider nicht. Da in China große Teile der Bevölkerung auf dem Land verteilt leben und die Ballungsräume gut versorgt sind wird der Unterschied effektiv aber wohl nicht so groß sein - es sei denn es sind bis 2020 auch 25% weniger Betten geworden.

        Jan's Theorie ist also nicht ganz so abwegig, wenn du mit einbeziehst das China zum einen schon länger mit Überwachung und Bevölkerungskontrolle experimentiert und zum anderen sehr autokratisch ist, seit Xi so autokratisch wie seit Mao nicht mehr.

      • @Co-Bold:

        Xi hat die Null-Covid-Politik doch auf dem Parteikongress doch gerade erst als tollen Erfolg seines Landes gefeiert. Kaum vorstellbar, dass er das nach seiner Wiederwahl lockert. Außerdem hat diese Art der Handhabung der Pandemie ja seine ganz persönliche Handschriftt, ist im Grunde genommen ein Ausdruck seiner Persönlichkeit oder seines Regierungsverständnisses.

  • Um das Virus über den gesamten Winter unter Kontrolle zu halten, sind um ein Vielfaches schärfere Maßnahmen nötig, als das im Frühjahr der Fall war. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden sich die Zustände dort über die nächsten 4-6 Monate weiter massiv verschlechtern.

    Niemand, der es irgendwie vermeiden kann, sollte jetzt noch nach China reisen. Wer dort ist, nicht zwingend dort bleiben muss und noch ausreisen kann, sollte das zeitnah tun.

    • @Co-Bold:

      Beunruhigt es Sie eigentlich, dass mit "dort" gleichzeitig China und Deutschland gemeint sein könnten?

      Der wichtige Unterschied ist natürlich, dass sich unsere Zustände schon _seit_ einigen Wochen verschlechtern, wie die Taz selbst auch dokumentiert: taz.de/!5728077 > Hospitalisierungsrate, Intensivstationen & Todesfälle.

      Alles Folgeeffekte der Infektionszahlen.