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Umgang mit männlichen KükenTod im Ei

Niedersachsens Agrarministerin verkündet eine neue Methode, um männliche Küken früher aussortieren zu können. Kri­ti­ke­r:in­nen überzeugt das nicht.

An der Geschlechtsbestimmung wird schon länger geforscht: Gerät auf einer Berliner Messe 2017 Foto: dpa / Ralf Hirschberger

Osnabrück taz | Hühner, die über die Wiese laufen, im Sand scharren? Im Massentierhaltungsland Niedersachsen ist eine solche Bauernhof-Idylle die Ausnahme. Agrarindustrielle Tierfabriken prägen das Bild, mit Megaställen für teils Hunderttausende Tiere. Niedersachsen ist eine der größten Speise­kammern Deutschlands, die Landwirtschaft ist einer der zentralen Wirtschaftszweige, und Eier und Geflügelfleisch sind zwei der klassischsten Produkte.

Viele Millionen Lege- und Masthühner leben und sterben hier, oft unter wenig artgerechten Bedingungen, damit wir Pudding essen können, Mayonnaise und Chicken Wings. Besonders prekär ist die Situation der männlichen Küken der Legehybridlinien, denn in der Geflügelindustrie gelten sie als wertlos: Sie legen keine Eier, und ihre Mast kostet mehr Zeit und Futter, produziert weniger Fleisch, das noch dazu schwerer zu vermarkten ist. Viele werden daher getötet.

Früher kamen dabei Schredder und Gas zum Einsatz. Heute wird das Geschlecht des Kükenembryos schon im Ei bestimmt, denn seit Anfang 2022 ist in Deutschland das Töten geschlüpfter Küken verboten. Doch die Bestimmung, das sogenannte Ovo-Sexing, war bisher oft nicht vor dem siebten Bruttag möglich, der ab 2024 das Fristende für Geschlechtsuntersuchungen und Tötungen sein wird.

Das soll sich jetzt ändern. Niedersachsens Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) verkündet einen „Durchbruch beim Ausstieg aus dem Kükentöten“. Mit 248.000 Euro Fördergeld lässt ihr Ministerium derzeit ein Forschungsprojekt der Technischen Universität Dresden und Universität Leipzig in die Praxis überführen. Erprobt werden soll ein optisches Verfahren zur frühen spektroskopischen Geschlechtsbestimmung im Ei. Schale auf, Laser rein, Blutgefäß beleuchten, fertig. Ist es ein weibliches Tier, wird die Schale wieder verschlossen. Ist es ein männliches, folgt der Tod.

Das ist reine Symptombehandlung. An die Ursachen des Übels kommt man so nicht heran

Jan Peifer, „Deutsches Tierschutzbüro“

Das Verfahren könne „bereits ab dem dritten Bruttag das Geschlecht im Hühnerei detektieren“, erklärt das niedersächsische Landwirtschaftsministerium. Das sei international einzigartig. Projektpartner dafür ist Agri Advanced Technologies (AAT) aus Visbek, spezialisiert auf die Entwicklung von Technologien für Geflügelzucht und -haltung. Schauplatz des Praxistests ist eine Modell­anlage in der Brüterei Dorum im Landkreis Cuxhaven.

Aber dient das Verfahren wirklich dem Tierwohl? Jan Peifer, Vorsitzender der Tierrechtsorganisation „Deutsches Tierschutzbüro“ in Sankt Augustin, verneint. „Das ist lediglich ein Versuch, schön Wetter zu machen!“, sagt er der taz. Er sieht die Ministerin als landwirtschaftsnah: „Man ruht sich hier wieder mal auf vermeintlichen Erfolgen aus. Aber das ist reine Symptom­behandlung. An die eigentlichen Ursachen des Übels kommt man so ja nicht heran.“

Statt die Tötung humaner zu machen, findet Peifer, solle man lieber dafür sorgen, dass sie gar nicht erst stattfindet. „Was wir brauchen, ist ein konsequenter Systemumbau hin zu einer deutlichen Reduzierung tierischer Produkte.“ Zu Ende gedacht: Wer kein Tierleid will, muss aufhören, Tiere zu essen.

Auch Miriam Staudte, Landwirtschaftssprecherin der niedersächsischen Grünen, ist skeptisch: „CDU-Ministerin Otte-Kinast versucht wenige Tage vor der Landtagswahl noch mal eine vermeintliche Erfolgsmeldung in den Medien zu platzieren“, sagt sie der taz. „Bislang hatte die Ministerin mit der Seleggt-Methode, die auf eine Erkennung nach dem siebten Bebrütungstag setzt, wenn die Embryonen schon Schmerz empfinden, definitiv auf das falsche Pferd gesetzt.“ Außerdem, so Staudte, „treten wir seit Jahren mit der Forschung zur Früherkennung auf der Stelle, und leider wurde dabei die Forschung zum Zweinutzungshuhn vernachlässigt.“

Zweinutzungshuhn, das ist ein technokratisch klingender Begriff für ein Huhn, das jahrhundertelang Normalität in den Hühnerställen war: ein Haushuhn, das sowohl Eier legt als auch zum Schlachten geeignet ist. In Zeiten von Hochleistungszüchtungen muss man es neu erfinden.

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2 Kommentare

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  • Ich verstehe nicht, was das Problem ist.

    Im Artikel heißt es, nach sieben Bruttagen empfindet der Embryo schon Schmerz.



    Die neue Methode ist nach drei Tagen anwendbar und ich vermute, da ist das Schmerzempfinden dann wohl noch nicht da.



    Wenn das Ei jetzt zerstört wird - wo ist das Problem (von der generellen Ressourcenverschwendung und Umweltbelastung durch Massentierhaltung einmal abgesehen)?



    Und warum bitteschön ist hier von 'Tod' die Rede? Würde der Autor auch bei menschlichen befruchteten Eiern in einem so frühen Stadium solche Wörter verwenden?

  • "Zu Ende gedacht: Wer kein Tierleid will, muss aufhören, Tiere zu essen."



    Dem kann ich nur beipflichten. Für Pudding, Mayonnaise, Chicken Wings etc. braucht es keine tierlichen Zutaten. Diese Nahrungsmittel gibt es auch vegan, wenn mensch so etwas gerne essen mag. Wenn mensch sich gesund ernähren wollte, kann mensch aber auch gut auf die tierlichen wie auch vegane Varianten verzichten. Dann lässt sich bei einer (veganen) Menüzusammenstellung sogar noch Geld sparen. Denn zumeist sind diese Fertigprodukte und Fleisch teurer als Gemüse usw.. Auch bieten vegane Nahrungsmittel ausreichend Proteine. Eine gute Abdeckung des Proteinbedarfs erreicht mensch durch eine über den Tag verteilte Kombination von Hülsenfrüchten (Erbsen, Bohnen, Linsen) und Getreide.