Wahlkampf in Niedersachsen: Unverdrossen auf verlorenem Posten
Auf dem Land fühlt sich Wahlkampf anders an als in der Landeshauptstadt. Unterwegs mit Besian Krasniq und seinen Jusos im Osnabrücker Hinterland.
Der Termin bei den „Artland Alpakas“ in Menslage, Landkreis Osnabrück, an einem Samstagvormittag gehört zu den Wohlfühlterminen, die weniger dazu dienen, potentielle Wähler*innen zu erreichen, als die eigenen Truppen bei Laune zu halten. Aber immerhin gibt das schöne Bilder für die sozialen Netzwerke.
Was Krasniq zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnt: Er wird auch im Verlauf dieses 16-stündigen Wahlkampftages sehr viel weniger Wähler*innen ansprechen können als erhofft. Und definitiv weniger, als er braucht: Er tritt hier als SPD-Kandidat in einem Wahlkreis an, in dem die CDU bei den letzten beiden Wahlen mehr als fünfzig Prozent holte.
Sein Konkurrent ist Christian Calderone, justizpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, der sich seiner Sache so sicher ist, dass er sich nicht mal über die Landesliste abgesichert hat. Die Landeswahlleiterin strich ihn von Platz 82, weil er die erforderlichen Unterlagen nicht fristgemäß einreichte. Ein Umstand den Calderone mit einem Achselzucken quittierte und der Bemerkung, weder er noch sein Vorgänger hätten die Landesliste je gebraucht.
Keine einheitlichen Hoodies
Es ist „Unterstützer*innen-Wochenende“ wie das bei den Jusos heißt. Bundesweit haben die Landesverbände freiwillige Helfer*innen zusammen getrommelt und nach Niedersachsen geschickt. Wobei bei Besian Krasniq vor allem Jusos aus den Nachbarländern Bremen und Schleswig-Holstein aufschlagen. Die anderen zieht es in die Landeshauptstadt Hannover, da lässt sich Anreise und Unterkunft leichter organisieren.
Während man bei den Auftritten der Spitzenkandidaten von FDP und CDU die Parteijugend in einheitlichen Hoodies oder Polohemden dabei beobachten kann, wie sie routiniert an den richtigen Stellen johlen und klatschen, purzelt bei Krasniq in Menslage und Quakenbrück eine eher bunte, zerzauste und etwas verpeilte Truppe aus dem Wahlkampfbulli.
Vertreten ist dabei alles vom Ausbildungsabbrecher bis zum Konstrukteur, vom Jura-Studenten über die Strafverteidigerin bis zur Logopädin, im Alter irgendwo zwischen 16 und 35. 35 ist die magische Grenze, bei der man aufhört, Juso zu sein.
Besian Krasniq ist 25 Jahre alt und hat, bevor seine Unterstützer*innen auf dem Alpaka-Hof ankommen, schon in aller Frühe vor einer Bäckerei im Nachbardorf Brötchen verteilt. Nach den Alpakas wird er auf einem Supermarktparkplatz stehen, während die Jusos ausschwärmen, um zu „flyern“, also Wahlkampfwerbung in die Briefkästen zu werfen.
Warum diese Ochsentour?
Dann folgen noch Haustür-Wahlkampf und ein „Townhall“-Format auf dem Quakenbrücker Marktplatz mit prominenter Unterstützung und weitere Flyer-Verteilaktionen, bis der Abend in der Jugendherberge bei einem Bier mit den Unterstützer*innen endet. Warum tut man sich das an, tagelang, wochenlang, für einen Wahlkreis, der nicht zu gewinnen ist?
„Ich liebe Wahlkämpfe“, behauptet Besian Krasniq. Und zwar weil sie ihm Gelegenheit geben, in Betriebe zu gehen und mit Leuten ins Gespräch zu kommen, an die er sonst nie herankommen würde. Tatsächlich hat er in dieser Gegend auch schon einige ziemlich erfolgreiche Kommunalwahlkämpfe bestritten, sitzt im Stadtrat und Samtgemeinderat von Bersenbrück, ist Juso-Landesvorsitzender und Mitarbeiter der Bundestagsabgeordneten Anke Henning.
Seine Heimatstadt Bersenbrück und Quakenbrück gehören zu einem kleinen roten Flecken im Herzen eines ansonsten tiefschwarzen, von katholischen Bauern und Viehzüchtern geprägten Landkreises. Von einer „Ochsentour“, wie man diese Art von politischer Karriere früher nannte, will Krasniq trotzdem nichts hören. „Ich hatte viel Glück, ich bin sehr früh auf Leute gestoßen, die mir verantwortliche Positionen zugetraut haben.“
Aber klar, räumt er ein, diese Art von Engagement muss man sich auch erst einmal leisten können. Er habe sich immer dafür eingesetzt, mehr Leuten den Zugang und die Mitarbeit zu ermöglichen, sagt er.
Zum Beispiel, in dem man Sitzungen auch mal zu anderen Zeiten stattfinden lässt oder bei der Genossin zuhause, die erst noch ihre Kinder ins Bett bringen muss – statt stumpf darauf zu beharren, sich immer am selben Abend in derselben Kneipe zu treffen, wie es in manchen Ortsvereinen immer noch Usus ist.
Als Migrant exponiert
In die Wiege gelegt wurde ihm eine politische Karriere nicht: Seine Familie stammt aus dem Kosovo und lange war nicht klar, ob sie überhaupt bleiben darf. Sie hangelte sich von Duldung zu Duldung, immer von Abschiebung bedroht. „Meine Eltern haben immer versucht, das von uns fernzuhalten, aber natürlich spürt man die Anspannung.“
Eine Zeit lang sorgte bittererweise ausgerechnet die schwere Krankheit seiner kleinen Schwester für einen Aufschub. Ohne die medizinische Versorgung in Deutschland wäre sie als Baby gestorben. „Es gab damals Leute, die sich sehr für uns eingesetzt haben“, sagt Krasniq.
Aber auch Leute, die das Gegenteil taten. „Mein Vater hatte damals schon eine Gaststätte und ist irgendwann mit seinen Angestellten ausgegangen. Prompt musste er sich dann von einem Landkreismitarbeiter fragen lassen, was das denn für ein Härtefall sein soll, wenn der junge Vater doch feiern gehen kann, statt zuhause bei seinem kranken Kind zu sein.“
Krasniq glaubt, dass dies einer der Momente war, die dafür sorgten, dass seine Eltern vor allem eine Botschaft aussandten: Fallt bloß nicht unangenehm auf! „Ich glaube, das ist eine Botschaft, die viele migrantisierte Menschen verinnerlicht haben: Du bist nur was wert, wenn du hart arbeitest. Du musst immer ein bisschen fleißiger und freundlicher als alle anderen sein.“
Dass Besian Krasniq sich nun mit seiner politischen Arbeit so exponiert, macht seinen Eltern oft Angst. „Sie befürchten halt, dass ich hier so als Migranten-Maskottchen herhalte – und dann aber der erste bin, der fallen gelassen wird, wenn es hart auf hart kommt.“
Ein netter Kerl
Dabei, sagt Krasniq, habe er einfach andere Schlüsse gezogen aus seinem Aufwachsen als beispielsweise sein Vater. Während der glaubt, dass man sich am Ende doch nur auf sich selbst und die eigene Familie verlassen kann und darf, versucht Krasniq die Wärme und Solidarität, die er in seiner großen Familie erfahren hat, in die Politik zu transportieren.
Er vermittelt den Eindruck von jemandem, der erstens ein furchtbar netter Kerl ist und der sich zweitens gerne kümmert. Als Gastro-Kind hat er auch keine Probleme damit, mit jedem ins Gespräch zu kommen. Das kommt bei den Genoss*innen erkennbar gut an. Ob es auch reicht, um im raueren Klima der Landespolitik zu überleben, steht auf einem anderen Blatt.
Krasniq verkörpert nicht nur selbst eine ur-sozialdemokratische Aufstiegsgeschichte, als erster, der – trotz anders lautender Empfehlungen – ein Gymnasium besucht und studiert hat. Er hat auch ein sicheres Gespür für solche Geschichten bei anderen.
Das zeigt sich zum Beispiel, wenn er bei der Wahlkampfveranstaltung auf dem Marktplatz den frisch examinierten Krankenpfleger auf die Bühne bittet, der erzählt, dass er im Krankenhaus die Mittagessen austeilt, statt zu pflegen – weil die Pflegehelfer*innen, die das eigentlich tun sollten, nicht mehr finanziert werden.
Promi-Faktor contra Regen
Ein großer Redner ist Krasniq allerdings nicht, er fremdelt noch mit der großen Bühne, greift oft zu floskelhaften Formulierungen, die er sich vielleicht von älteren Kommunalpolitiker*innen abgeschaut hat. Das fällt besonders auf, wenn er neben Kevin Kühnert steht.
Der aktuelle SPD-Generalsekretär und frühere Juso-Bundesvorsitzende kommt am Nachmittag angebraust, zwischen zwei anderen Terminen im niedersächsischen Wahlkampf, geht eine Runde mit Krasniq von Tür zu Tür und stellt sich dann auf den Marktplatz, um politische Fragen zu beantworten.
Den Marktplatz und die Fußgängerzone hat kurz vorher ein heftiger Gewitterschauer gründlich leer gefegt, da hilft auch der Promi-Faktor nicht. Es ist auch nicht der letzte Schauer an diesem Tag, schon der Infostand und die Verteilaktion der Jusos wurden gründlich verhagelt, was deren Laune aber kaum zu beeinträchtigen scheint.
Kühnert spricht jedenfalls in erster Linie zu Jusos und SPD-Mitgliedern, die hier Bühne, Schirme, Bänke und Grill angeschleppt haben. Aber natürlich lässt sich ein Vollprofi wie Kühnert nicht irritieren, beantwortet gewohnt eloquent alle Fragen, die das geneigte Publikum auf Bierdeckeln einreicht und posiert geduldig für ein gutes Dutzend Selfies.
Plötzlich klingelt Kevin Kühnert
Wirkungsvoller als der Auftritt auf dem Marktplatz war möglicherweise seine kleine Tour durch ein nahegelegenes Wohnviertel. Jedenfalls gibt es jetzt ein paar Quakenbrücker Bürger*innen, die erzählen können, wie es eines Nachmittages plötzlich an der Tür klingelte und sie dieses Talkshow-Gesicht anlächelte.
Kühnert schwört auf diese Art von Wahlkampf, auch wenn die meisten Leute viel zu verblüfft sind, um irgendeine Frage zu stellen. Seine Theorie ist: Man macht es den Leuten schwerer, Politiker*innen als „die da oben“ abzustempeln.
Wenn diese Politiker*innen sich die Mühe machen, zu den Leuten zu kommen, machen sich anschließend auch mehr dieser Leute auf den Weg ins Wahllokal. Und Mobilisierung ist schon immer das Kernproblem der SPD. Nichts schadet ihr so sehr wie eine niedrige Wahlbeteiligung.
Beschimpfungen sind die Ausnahme
Für die allgemeine politische Gemengelage findet Kühnert den niedersächsischen Wahlkampf sogar erstaunlich zivil. „Natürlich dominieren Energiekrise und Inflation gerade alles, diese Krise ist eben auch beispiellos.“ Aber immerhin, findet er, streiten die Parteien in Niedersachsen noch relativ fair um Lösungen.
Das sieht auch Besian Krasniq so. Organisierte Störer, sagt er, habe er hier noch nicht gesehen. Was nicht bedeuten soll, dass die Provinz-Welt heile ist: „Man sieht halt so Hasskommentare auf Facebook, die dann immer ganz geballt kommen und meist nach 22 Uhr.“
Auch seine Mutter und seine Tante seien beim Flyer verteilen schon rassistisch beschimpft worden. Aber das sei eher die Ausnahme. „Mit den meisten Leuten kann man ganz vernünftig reden. Auch wenn man politisch nicht einer Meinung ist.“
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