Pläne für die Architektur-Ikone ICC: Eine Frage der Kultur
Künstler und Architekten befassen sich mit einer Wiederbelebung des ICC. Inzwischen will auch die Politik das Kongresszentrum nicht mehr abreißen.
Der Clou der von der landeseigenen Tourismus-Marketinggesellschaft Visit Berlin organisierten Konferenz allerdings war, dass mit „Q Berlin“ für zwei Tage das ICC selbst aus seinem Dornröschenschaf wiedererweckt wurde. Erstmals seit vielen Jahren fand Mitte September in dem sonst bestenfalls mal kurzfristig als Notunterkunft für Geflüchtete oder als Impfzentrum genutzten Bau ein Kongress statt – wenn auch eher improvisiert und auf begrenztem Raum.
Bis das ICC regulär wieder in Betrieb gehen könnte, dürften allerdings noch Jahre vergehen. Derzeit sehen die politisch Verantwortlichen in Berlin die Zukunft des ICC als Kulturstandort. Immerhin: Die Zeiten, da das Kongress-Raumschiff schon dem Abriss geweiht war, scheinen inzwischen passé.
Wirtschaftssenator Stephan Schwarz (parteilos, für die SPD), der sich kurz vor der „Q Berlin“-Konferenz in Paris das Centre Pompidou angesehen hatte, erklärte auf der Metropolentagung, er stehe zum ICC. Schwarz sieht es als Kulturstandort, ähnlich dem Pariser Vorbild, und wünscht sich das Gebäude als öffentlichen Ort. Die derzeitige Außerbetriebsetzung sei nicht akzeptabel. Die Schließung sei vielleicht auch auf einen Mangel an Fantasie zurückzuführen.
Die Messe Berlin GmbH als Betreiberin hatte seinerzeit beim ICC nur ihr Kerngeschäft im Blick. Aber mit Kongressen, mit denen das ICC immer gut gebucht war, konnte man das Riesengebäude nicht wirtschaftlich betreiben. Und eigentlich war das in den 60er Jahren geplante und schließlich erst 1979 eröffnete Gebäude auch nicht dafür ausgelegt. Vielmehr sollte es Menschen in die Mauerstadt Westberlin locken, sollte Strahlkraft in der Frontstadt entwickeln. Rund eine Milliarde D-Mark ließ man damals dafür springen. Das ICC war bei Fertigstellung das teuerste Gebäude Deutschlands.
Preisverdächtige Marke
Dafür bekam man maßgeschneidert alles, was beim Kongress‑ und Kulturgeschäft gebraucht wurde, und noch mehr: Man bekam mit dem an das Raumschiff Enterprise erinnernden ICC eine Marke, die noch bis zur Schließung durch die Messe immer wieder mit Preisen als beste Kongress-Location weltweit ausgezeichnet wurde.
Wegen der enormen Betriebskosten konnte sich das Haus für die Messe nicht rechnen. Sie zog 2014 mit dem Kongressgeschäft in den eigens errichteten City Cube: eine Gebäudeschachtel, aber mit innerer Flexibilität, wie sie das aktuelle Kongressgeschäft angeblich erfordere. Bedeutung und Potenzial für die Stadt hat das ICC dennoch – und inzwischen hat deshalb auch ein Umdenken stattgefunden.
In einem Konzeptverfahren sollen nach Vorstellungen des Berliner Senats in den nächsten ein bis zwei Jahren – ein Zeitplan existiert nicht – die Rahmenbedingungen festgelegt werden, wie das ICC wieder öffentlich zugänglich werden könnte, was darin passieren soll und wer als Investor mithelfen könnte, den anvisierten (Kultur‑)Betrieb zu bewerkstelligen. Denn Senator Schwarz machte auf der Tagung auch deutlich, dass das Land Berlin die Kosten für den zukünftigen, finanziell wahrscheinlich wieder wenig lukrativen Betrieb nicht alleine tragen will.
Schon die Sanierung des lange vernachlässigten Gebäudes und die Ertüchtigung für zukünftig kulturelle Zwecke könnte nach vorsichtigen Schätzungen 1 Milliarde Euro kosten. Vielleicht geht es aber auch anders. Dafür war nicht nur der improvisierte „Q Berlin“-Kongress ein Beispiel. Schon im vergangenen Herbst hatten die Berliner Festspiele die „High-Tech-Architekturikone“ auf die Schnelle als Ort für das Kunstevent „The Sun Machine Is Coming Down“ reaktiviert. Gerade Künstler und Kulturschaffende entwickeln meist mehr Fantasie, wenn es um die Nutzung leerstehender Immobilien geht. Das kann man an vielen Orten in Berlin beobachten.
Und Künstler sind es auch, die den „künstlerischen Wert“ des Gebäudes offenbar am besten wahrnehmen können. Christoph Rauhut, Berliner Landeskonservator, berichtete auf „Q Berlin“ von Anfragen aus aller Welt, die sich für das ICC einsetzten. Die Rentabilität mag das eine sein, die Attraktivität und Wertschätzung des ICC als Stilikone steige derweil kontinuierlich, lautet Rauhuts Einschätzung.
Seit 2019 steht das ICC unter Denkmalschutz. Erst nachdem die Landesdenkmalbehörde ins Kulturessort des Senats umzog, war der Weg frei, dass die bloße Kosten-Nutzen-Rechnung beim Betrieb nun von einem Denkmalwert flankiert wird. Das ICC hat inzwischen das Zeug, zu einem Berliner Wahrzeichen zu werden. Das Interesse und die vielen Vorschläge aus der Kulturszene für das ICC sprechen genauso dafür wie die Unterschutzstellung durch Rauhuts Behörde. Der Denkmalschutz liefere wiederum „objektivierbare“ Kriterien für den monetären Wert des ICC, weil – so betonte es Rauhut wieder – dessen kultureller Wert damit wissenschaftlich festgestellt sei.
Futuristischer Machbarkeitsoptimismus
Es wird also schon beim Konzeptverfahren (bei dem Rauhuts Behörde beteiligt ist) darauf ankommen, ob der Wert des ICC mit seiner bis in die letzten Schraube durchgestylten Gestalt als Ausdruck des futuristischen Machbarkeitsoptimismus der Nachkriegsmoderne in die Gegenwart gerettet werden kann. Kompromisse wird es wohl geben müssen. Aber das ICC hat räumlich noch einige Potenziale, die im Verborgenen liegen – etwa in den Untergeschossen mit Autobahnanschluss und bei den für die heutigen Zwecke überdimensionierten Technikräumen.
Selbst die im Mai verstorbene Ursulina Schüler-Witte, die mit ihrem 2011 gestorbenen Mann Ralf Schüler das ICC entworfen hat, konnte sich zu Lebzeiten noch vorstellen, dass das ans ICC angegliederte Parkhaus in ein Hotel umwandelt wird, um mehr Profitabilität für das Gebäude zu ermöglichen.
Aber eins steht fest, auch wenn das ICC energetisch modernisiert werden muss: Ein vergleichbar wertvolles Gebäude – ästhetisch, historisch, städtebaulich und funktionell – hat Berlin seit 1979 wohl nicht mehr hervorgebracht. Auch das Humboldt Forum ist da keine Konkurrenz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren