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Parlamentswahlen in SchwedenRechtsextreme erstmals Zweite

Laut vorläufigem Ergebnis hat das blau-braune Rechtsbündnis eine hauchdünne Mehrheit. Das Endergebnis wird für Mittwoch erwartet.

Anhänger der rechtspopulistischen Schwedendemokraten jubeln über das Wahlergebnis Foto: Stefan Jerrevång/TT News Agency/dpa

Stockholm taz | Nach den Parlamentswahlen vom Sonntag steht in Schweden voraussichtlich ein Regierungswechsel an. Ein vorläufiges Ergebnis der Wahlbehörde errechnete am Montagmorgen eine Mehrheit von einem Mandat für die blau-braune Regierungsalternative mit Ulf Kristersson, dem Vorsitzenden der konservativen Moderaten an der Spitze.

Die vier Parteien des rechten Flügels des Parteienspektrums – Konservative, Christdemokraten, Rechtsliberale und Schwedendemokraten – würden danach auf 175 der 349 Reichstagsmandate kommen. Auf die derzeitige sozialdemokratische Minderheitsregierung von Ministerpräsidentin Magdalena Andersson und die übrigen drei Parteien des linken Flügels würden 174 Mandate entfallen.

Lag bei den vergangenen schwedischen Parlamentswahlen üblicherweise ein vorläufiges Endergebnis gegen Mitternacht vor, kam es diesmal zu einer extremen Verzögerung bei der Stimmauszählung. Neue Routinen bei der Stimmabgabe, auf die man sich offenbar in vielen Wahllokalen ungenügend eingestellt hatte, führten zu langen Warteschlangen. In Stockholm gab es vereinzelt Wartezeiten von bis zu vier Stunden.

Regulär sollten die Wahllokale um 20 Uhr schließen. Da aber allen WählerInnen, die sich bis dahin angestellt hatten, die Möglichkeit der Stimmabgabe eingeräumt werden musste, schlossen die letzten Wahllokale erst rund eine Stunde vor Mitternacht. Trotzdem wurden von den Medien schon gleich nach 20 Uhr Hochrechnungen aufgrund von Wahllokaluntersuchungen verbreitetet, was umgehend auf Kritik stieß.

Kristersson und seine Konservativen verlieren

Da mit einem Endergebnis erst nach der für Mittwoch vorgesehenen Auszahlung von Hunderttausenden im Ausland abgegebenen Briefwahlstimmen erwartet wird, zeigten sich die beiden SpitzenkandidatInnen Andersson und Kristersson in der Wahlnacht zurückhaltend bei der Bewertung des Zwischenresultats.

Er sei jedenfalls bereit „alles zu tun, um eine neue, stabile und handlungskräftige Regierung zu bilden“, kündigte Ulf Kristersson an. Konkret wäre dies eine Minderheitsregierung seiner Konservativen mit den Christdemokraten, die sich für eine parlamentarische Mehrheit auf die Stimmen der Rechtsliberalen und der rechtsextremen Schwedendemokraten stützen müsste.

Sollte er tatsächlich Ministerpräsident werden, dann nicht aus eigener Kraft, sondern nur wegen der kräftigen Zugewinne der Schwedendemokraten. Kristersson bescherte seinen Konservativen mit 19 Prozent nämlich nicht nur in der zweiten Wahl in Folge ein Minusresultat, auch die Christdemokraten (5,4 Prozent) und die Rechtsliberalen, die mit 4,6 Prozent nur mit Mühe die 4-Prozent Sperrklausel nahmen und nun kleinste Partei im Parlament sind, gehören zu den Wahlverlierern. Die einzige Partei seiner Regierungsalternative mit einem Plusresultat sind die Schwedendemokraten.

War die Partei mit ihrem Vorsitzenden Jimmie Åkesson 2010 mit 5,7 Prozent erstmals in den Reichstag gekommen, hatte sie ihren Stimmenanteil vier Jahre später auf 12,9 und 2018 auf 17,5 Prozent erhöhen können. Nun gewann sie weitere 3,1 Prozent hinzu und konnte mit 20,6 Prozent erstmals die Stimmen von mehr als einem Fünftel der WählerInnen gewinnen.

Schwedendemokraten erstmals zweitstärkste Partei

Die Schwedendemokraten verdrängten damit die Konservativen vom Platz der zweitgrößten Parlamentspartei. Schweden ist nun das EU-Land mit einer der stärksten Rechtsaußenparteien.

Bestätigt sich das derzeitige vorläufige Resultat, wird die Regierungszeit der ersten Frau an der Spitze einer schwedischen Regierung nach nur neun Monaten schon wieder beendet sein. Magdalena Andersson konnte zwar den Stimmenanteil für die Sozialdemokraten um 2,2 auf 30,5 Prozent steigern und damit in ihren 285 Tagen als Ministerpräsidentin einen seit 20 Jahren andauernden Negativtrend dieser Partei drehen.

Historisch gesehen ist dieses Resultat aber dennoch das zweitschlechteste seit über 100 Jahren. Wenn die bisherige parlamentarische Basis, auf die sie ihre Regierung stützte, kaum Chancen auf eine Reichstagsmehrheit hat, dann weil der Zugewinn der Sozialdemokraten und der Grünen (5 Prozent, plus 0,6) durch gleichzeitige Verluste der Linken und der Zentrumsliberalen von zusammen 3,4 Prozent mehr als zunichtegemacht wurde.

Frauen stimmten ganz anders ab als Männer

Wobei Andersson das relativ gute Abschneiden ihrer Regierungsalternative vor allem den Wählerinnen zu verdanken hat. Denn Männer und Frauen haben bei dieser Wahl extrem unterschiedlich gestimmt. Hätten allein die Frauen den Ausgang der Reichstagswahl bestimmen können, wäre das Resultat eindeutig: Anderssons sozialdemokratisch geführte Regierungsalternative hätte 58 Prozent, die von Kristersson nur 42 Prozent erhalten.

Ebenfalls mit 58 zu 42, nur eben mit umgekehrten Vorzeichen, hätte ein Wahlrecht nur für Männer Kristersson zum klaren Sieger gemacht. Diese „rekordgroße geschlechtsspezifische Kluft“, so der Wahlforscher Jakob Ahlbom, ist vor allem auf die Einstellung der Wahlberechtigten gegenüber den Schwedendemokraten zurückzuführen.

Von den Männern stimmten 25 Prozent für diese Partei, von den Frauen nur 10 Prozent. Bei keiner anderen schwedischen Partei gab es so einen großen Unterschied im Wahlverhalten.

Erste Wahlanalysen führen das zum einen auf das unterschiedliche Bildungsniveau zurück: Mehr Frauen als Männer haben in Schweden eine nachgymnasiale Ausbildung. Zum anderen darauf, dass Priorität bei der Wahlentscheidung der Männer viele Themenschwerpunkte der Rechtsparteien waren, wie Kriminalitätsbekämpfung und Migration.

Während für Frauen entscheidender die Themen Bildung und Gesundheit – Berufe, in denen sie oft selbst beruflich tätig sind -, sowie Umwelt und Klima waren, die eher von den Parteien des linken politischen Spektrums bedient wurden.

Wie geht es nun weiter? Bewegungen in der vorläufigen Mandatsverteilung könnte es laut Wahlanalysen geben – einige halten sogar ein Pingpong hin und zurück nicht für ausgeschlossen –, sind aber vermutlich eher unwahrscheinlich.

Einem der Parteivorsitzenden den Auftrag für eine Regierungsbildung zu erteilen, ist Aufgabe des Reichstagspräsidenten Andreas Norlén. Vor vier Jahren hatte es angesichts eines ähnlich engen Wahlergebnisses wie jetzt 134 Tagen und zwei gescheiterten Abstimmungen bedurft, bevor im dritten Anlauf die rot-grüne Regierung im Amt war.

So viel Zeit werde er den Parteien diesmal nicht einräumen, kündigte Norlén schon einmal an.

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5 Kommentare

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  • 0G
    04405 (Profil gelöscht)

    Die Unterkomplexe "Männer wählen rechts, Frauen wählen links"-Analyse zeigt das ganze Dilemma: Dieser denkfaule Ansatz unterscheidet sich in nichts von denkfaulen populistischen "kriminelle Ausländer abschieben"-Ansätzen.

    Sie führen weder zu gesellschaftlichen Fortschritten, noch kann man die Rechtspopulisten so argumentativ stellen. Im Gegenteil, man lässt sich hier auf das Niveau von Idioten herabziehen und verliert dann, weil diese mehr Erfahrung darin haben, um eine bekannte Meme zu paraphrasieren.

    Das Phänomen "regressive Linke" und seine Folgen werden leider viel zu wenig beachtet und diskutiert. Diese Niederlage des linken Bündnis ist durchaus hausgemacht.

  • Soweit ich das verfolgt habe, denke ich, dass die neue Regierung mit dem Auftrag gewählt wurde die Kriminalität und Integrationsprobleme in den Griff zu kriegen. Ich wünsche ihnen dabei viel Erfolg.

  • Selbstgemachtes Ergebnis. Die schwedischen Sozialdemokraten und Grüne können sich dieses Ergebnis selbst auf die Fahne schreiben. Viele Jahre wurde das zunehmende Kriminalitätsproblem von schlecht integrierten Migranten verharmlost und nur halbherzig, weil man ja nicht in eine rechte Ecke gestellt werden wollte, angegangen. Jahre der immer gleichen Ansätze die nicht zu einem Rückgang der Bandenkriminalität beigetragen haben, finden auch bei der schwedischen Wählerschaft irgendeinmal kein Wohlwollen mehr. Ein Beispiel ist Malmö, die Stadt in der eine meiner Schwestern wohnt, die mir von zunehmender Verwahrlosung des Abendlebens in der Innenstadt berichtet und von der Angst der Bewohner, in die leider zu häufigen Schiessereien zwischen Gangs, einbezogen zu werden. Lösungsansätze sind seit Jahren die gleichen und bringen keinen Erfolg.

  • Wo man hinschaut gewinnen die, die sich gegen alles Soziale wenden und einzig den Stinkreichen zu Diensten sind. Vom Geld her klar- DIE zahlen am Meisten für Wahlkämpfe etc. Aber moralisch? Anderertseits wearen die Schweden schon immer ein spezielles Völkchen, mit SUPER PR bezüglich Frauen, Natur und Sozialismus, die aber im spiessbürgerlichen Hinterzimmer sich schon immer durch Kolaboration mit Rechten und Nazis auszeichneten. Man hatte stets das Gefühl, sie seien erschrocken ob ihres sozial geprägten Zusammenlebens. Ob die vielen starken Frauen schuld am Rechtsruck sind?

    • @Igor Pavlov:

      Also "Sozialismus" nach marxistischen Maßstäben hat es in Schweden nie gegeben und wurde auch nicht offiziell propagiert ,sondern Sozialdemokratie bzw. "soziale Marktwirtschaft" , um mal deutschen Begriffen zu verwenden.Da war man lange Zeit um einiges sozialer als in Deutschland,ist aber von diesem Kurs auch schon seit Jahrzehnten abgekehrt.



      Und die Sicht das die gewinnen"die sich gegen alles Soziale wenden und einzig den Stinkreichen zu Diensten sind"ist naiv und pauschal. Es geht eben auch darum das Problem die mit der Migration zusammenhängen- die Migrationsquote beträgt etwa 20% - ignoriert oder beschönigt wurden,die Erwähnung als Rassismus diskriminiert wurde. Da ist es wie überall anders auch: Die Wähler wenden sich ab und denen zu ,die eine Lösung versprechen.







      Das als Kollaboration mit Rechten und Nazis durch die Spießbürger zu sehen,weil diese Angst vor "starken Frauen" oder aufgrund des " sozial geprägten Zusammenlebens" haben ,ist naive und ideologische Scheuklappe, die weiterhin Realität ignoriert. Viele der schwedischen "Spiessbürger" haben nicht Angst vor ,sondern UM ihr sozial geprägtes Zusammenleben.