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Atommülllager in der SchweizZiemlich nah dran

Die Schweiz will ihren Atommüll in unmittelbarer Nähe der deutschen Grenze lagern. Vor einigen Jahren war das Gebiet noch als ungeeignet eingestuft worden.

Im Gebiet Nördlich Lägern im Stadeler Haberstal in der Schweiz soll ein Atommülllager entstehen Foto: Michael Buholzer/dpa

Bern dpa | Die Entscheidung der Schweiz für den Standort ihres Atommüll-Endlagers nahe der baden-württembergischen Ortschaft Hohentengen ist auf beiden Seiten der Grenze skeptisch aufgenommen worden. Das Gebiet Nördlich Lägern war vor einigen Jahren als eher nicht geeignet eingestuft worden, wurde nun aber doch unter den drei verbliebenen Standorten ausgewählt, wie die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) mitteilte. Genauer erläutern will die Nagra dies am Montag.

Der Bürgermeister von Hohentengen, Martin Benz, will den Entscheidungsträgern sehr genau „auf den Zahn fühlen“, wie er der Deutschen Presse-Agentur sagte. „Sie müssen sehr gut begründen, warum ein zurückgestellter Standort plötzlich zum präferierten Standort wird“, sagte er. Die Grenze ist dort teilweise nur wenige hundert Meter entfernt. Den Bewohnern sei klar, dass der radioaktive Müll vorhanden ist und entsorgt werden muss, sagte Benz. Auch sie seien für die Lagerung am sichersten Ort. „Aber diese Fragen müssen beantwortet werden: Was gibt es für Störfallszenarien und wie ist man darauf vorbereitet?“

Die sozialdemokratische Schweizer Politikerin Astrid Andermatt sprach von einer schockierenden Vorstellung. Sie engagierte sich jahrelang in dem Verein „Nördlich Lägern ohne Tiefenlager“. „Die Nagra hat offenbar mitten im Verfahren die Kriterien anders gewertet“, sagte Andermatt der Zeitung Der Landbote. „Das wirkt unseriös.“

Das Bundesumweltministerium bezeichnete die Entscheidung der Schweiz am Samstagabend als Belastung für die betroffenen Gemeinden. Die grenznahe Lage „stellt sowohl in der Errichtungsphase als auch beim Betrieb des Endlagers für diese und umliegende Gemeinden eine große Belastung dar“, sagte Christian Kühn, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesumweltministerium und Bundestagsabgeordneter aus Baden-Württemberg, auf Anfrage. „Ich setze mich bei der Schweiz dafür ein, dass die bisherige gute Einbindung der deutschen Nachbarn fortgesetzt wird.“ In Deutschland steht die Entscheidung für einen Endlager-Standort für hoch radioaktiven Atommüll frühestens 2031 an.

Atomenergie in der Schweiz läuft langfristig aus

Auch die beiden anderen Schweizer Standorte, die zuletzt noch zur Auswahl standen, liegen sehr nah an der deutschen Grenze. Jura Ost liegt südöstlich von Bad Säckingen, Zürich Nordost westlich von Jestetten. Das liegt daran, dass sich dort im Untergrund Opalinuston befindet, der sich für die sichere Einlagerung radioaktiver Abfälle gut eignet. Die Abfälle sollen in mehreren hundert Metern Tiefe eingebettet werden. „Die benötigte Einschlusszeit beträgt bei hochaktiven Abfällen etwa 200.000 Jahre und bei schwach- und mittelaktiven Abfällen rund 30.000 Jahre“, heißt es auf der Webseite der Nagra.

Konkret geht es um etwa 9.300 Kubikmeter hoch radioaktive Abfälle und 72.000 Kubikmeter schwach- und mittelradioaktive Abfälle. Sie stammen aus den einst fünf Schweizer Atomkraftwerken sowie aus Medizin und Industrie. Vier Atomkraftwerke laufen noch. Sie dürfen betrieben werden, solange ihre Sicherheit gewährleistet ist, sollen aber nicht ersetzt werden. Das kann bis in die 2040er Jahre gehen. Für den Bau des Endlagers ist ein langes Genehmigungsverfahren vorgesehen. Wenn alles glattgeht, könnte er 2031 beginnen. Die mehrjährige Einlagerung begänne dann etwa 2050.

Lagerung bis zu einer Million Jahre

Hoch radioaktiver Atommüll – vor allem verbrauchte Brennelemente aus Atomkraftwerken – sollte einigen Experten zufolge in Endlagern aufbewahrt werden, die für bis zu einer Million Jahre sicherstellen, dass Mensch und Umwelt vor der gefährlichen radioaktiven Strahlung geschützt bleiben. Deswegen kommen nur bestimmte geologisch geeignete Orte – oft tief unter der Erde – infrage.

In Deutschland wird seit Jahrzehnten nach einem möglichen Standort gesucht. Während die Atomenergie lange Zeit eine große Rolle für die Stromversorgung spielte, wurde das problematische Thema der Entsorgung nicht gelöst. Die Brennelemente landen derzeit in Zwischenlagern, die sich meist an den Standorten der Atomkraftwerke befinden.

Das Verfahren in Deutschland wurde 2013 noch mal von vorn begonnen und soll bis 2031 abgeschlossen sein, ab 2050 könnte dann mit der Lagerung begonnen werden. Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung hatte vor kurzem angemahnt, dass die Endlagersuche diesem Zeitplan hinterherhinke. Noch gibt es keine engere Auswahl von Standorten, sodass die betroffenen Bürgerinnen und Bürger mit einbezogen werden könnten. Ein Endlager für weniger stark radioaktiven Abfall soll 2027 im Schacht Konrad im niedersächsischen Salzgitter in Betrieb gehen.

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9 Kommentare

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  • Um auch nur ahnen zu können, wie anders die Welt in 30000 Jahren aussehen wird, braucht man nur 30000 Jahre zurückzuschauen. Die damalige Epoche nennt man heute Jungpaläolithikum, ein Teil der sog. Altsteinzeit. Da lebten in Europa noch Neandertaler. Der Cro-Magnon-Mensch feierte die ersten Zivilisationserfolge mit der Ausrottung des Höhlenbären und der Verdrängung des Mammuts aus Europa. Schrift gab es noch keine, auch kein Wifi.

    Gefährliche Abfälle sicher für 30000 oder gar 200000 Jahre lagern zu können, ist nicht möglich. Diejenigen, die das heute vorgeben, können aber nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden, wenn es in tausenden von Jahren schiefgeht.

    • @FullContact:

      Die Asse II hat immerhin ein paar Jahrzehnte gehalten, nach denen man sich nun den Kopf darüber zerbricht wie man das Zeug da wieder herausbekommen kann. Derzeitige Kostenschätzung 4-6 Mrd. Euro. Der Leukämiecluster um die Anlage herum hat natürlich auch ebensowenig mit Radioaktivität zu tun wie der in der Elbmarsch, sondern mit dem dort üblichen Medikamentenmissbrauch und mangelnder Abhärung des Immunsystems in der Kindheit.

  • Na, ist doch prima. Dann können wir das deutsche Lager vis a vis bauen. Das sollte eh in eines der Energiewende-Verweigerungsländer. Bayern wäre mir lieber gewesen, aber BaWü tuts auch. Da haben sie ja auch ordentlich Energie verbraucht.

  • Gerade die Unions-(mit)regierten Bundesländer fordern doch gerade vehement einen Weiterbetrieb deutscher Reaktoren, obwohl die Lagerung der radioaktiven Mülls in Deutschland komplett ungeklärt ist – im Gegensatz zur Schweiz, die uns hier (mal wieder) um Jahrzehnte voraus ist.



    Von den Politikern, die jetzt für den Ausstieg aus dem Ausstieg plädieren, erwarte ich nun mindestens diaskalierende, wenn nicht gar zustimmende Worte in Richtung der Schweiz. Weil scheinbar ist die Endlagerung ja wohl gerade unser geringstes Problem. lol

  • Experten- Atommüll- 1 Million Jahren einlagern- . Manchmal hilft ein Blick zurück eventuell nur 100 000 Jahre. Ich hoffe, die bis dahin Überlebenden, haben sich dann an die Strahlung gewöhnt oder meiden tödliche Orte, um sich die Erde wieder untertan zu machen. Vermutlich geht die Wanderung diesmal vom Norden in den Süden. Warum immer so pessimistisch?

  • Die Region ist geeignet. Aufgrund der relativ hohen radioaktiven Belastung im Südschwarzwald (wegen natürlicher Uranvorkommen) käme es selbst bei einem extrem unwahrscheinlichen Austritt von Radioaktivität aus dem schweizer Endlager zu keiner messbaren Erhöhung der Strahlung.

    • @Pi-circle:

      "Aufgrund der relativ hohen radioaktiven Belastung im Südschwarzwald ..."



      Wenn das richtig ist, dann wäre aus Vorsorgegründen eher das Gegenteil richtig: An einer Stelle mit bereits hoher Radioaktivität müsste alles getan werden, um diese nicht weiter zu erhöhen.

    • @Pi-circle:

      Tatsächlich? Ich lebe im südlichen Baden-Württemberg, ca. 50 km von Hohentengen am Hochrhein entfernt. Hier in der gesamten Region gibt es immer wieder leichtere Erdbeben der Stärken 4 bis 5. Möglicherweise stoppen die ja an der Schweizer Grenze?



      Im Übrigen dürfte die "relativ hohe radioaktive Belastung im Südschwarzwald (wegen natürlicher Uranvorkommen)" nicht vergleichbar sein mit der Radioaktivität, die aus einem Endlager austreten könnte, wenn was schief läuft. Aber ich bin ja keine Expertin - Sie offenbar schon...

      • @Felis:

        Bei der schweizer Wahl eines Standortes geht es nicht um den bestmöglichen Standort, sondern um den bestmöglichen Standort auf schweizer Gebiet.