Marilyn-Monroe-Biopic „Blond“ auf Netflix: Ihr Kampf mit den Monstern
Auf sich selbst aufzupassen, das gelingt Marilyn in Andrew Dominiks Film „Blond“ nicht. Er erzählt von den vielen Wunschbildern der Schauspielerin.
Als Joyce Carol Oates 2000 ihren Roman „Blond“ veröffentlichte, beschrieb sie ihre Herangehensweise an Marilyn Monroes Leben im Vorwort als „synekdochisch“. Sie habe zwar die Faktenlage gekannt, die vielen Pflegefamilien, die missbräuchlichen Erlebnisse, die Liebhaber, destruktiven Verhaltensweisen und Krisen. Auch Marilyns Tagebücher habe sie zu Rate gezogen. Dennoch sei das Buch „keinesfalls als Lebenszeugnis zu verstehen“.
Die von Andrew Dominik inszenierte filmische Adaption ist somit ebenfalls keine Biografie. Denn eigentlich ist „Blond“ ein Horrorfilm – bei dem das „Final Girl“, die genretypisch weibliche Figur, die am Ende das oder die Monster um die Ecke bringt, leider nicht überlebt.
Die Monster, mit denen Marilyn im Film zu kämpfen hat, zeigen sich früh: Die von einer mentalen Krankheit ihrer Mutter Gladys geprägte Mutter-Tochter-Beziehung endet für die junge Norma Jeane, wie Marilyn eigentlich hieß, fast tödlich.
Nach einem Brand – vielleicht das „Griffith Park Fire“ von 1933 – während dem sich Gladys unverantwortlich verhält, beginnt für Norma die Odyssee: Sie sucht jemanden, der sie liebt. Dieser schlichte, aber lebensnotwendige Wunsch nach Liebe und Anerkennung, den Billy Wilder ihr viel später ignorant in dem ikonischen Song „I Wanna Be Loved By You“ als sexuelle Unersättlichkeit überstülpt, ist Monroes Begleiter.
„Blond“. Regie: Andrew Dominik. Mit Ana de Armas, Adrien Brody u. a. USA 2022, 166 Min. Läuft auf Netflix
Immer wieder spiegelt Dominik Marilyns Wünsche mit dem, was sich (männliche) Prädatoren wünschen: Bei einem Vorsprechen für ihre erste echte Hauptrolle in dem Psycho-Kammerspiel „Don’t Bother to Knock“, in dem sie einen mental instabilen Babysitter spielt, sitzt Marilyn (Ana de Armas) drei Männern gegenüber; in der schwarz-weißen Szene leuchten ihre hellen Haare.
Nachdem sie ihre Zeilen – passend zum Inhalt – unter Tränen vorgebracht hat, verlässt sie das Studio. „Schrecklich“, sagt der kurz zuvor noch angefasste Anspielpartner, „das ist keine Technik, das ist krank.“ „Echte Schauspieler können zwischen sich selbst und ihrer Rolle unterscheiden“, sagt der Autor. Der Regisseur steht derweil rauchend und hustend an der Studiotür und beobachtet, wie Marilyn in ihrer karierten Dreiviertelhose über das Gelände geht. „Sweet Jesus“, sagt er, „guckt euch den Arsch von der Kleinen an.“ Die Rolle hat sie bekommen.
Der Regisseur zeigt Marilyn in einer Art Schwebezustand – shaky war sie immer. Mit zunehmendem Drogenkonsum und dem Verschwinden der Person Norma Jeane hinter der toxischen Blondine verschwimmen die Bilder, die Ebenen, die innovativen Kameraperspektiven von Chayse Irvin; schwarz-weiße und Farbszenen wechseln sich ab, genau wie die Männer.
Der Schritt und als vermeintliches Eigentum
Mit Charlie Chaplin jr. (Xavier Samuel) und Edward G. Robinson jr. (Evan Williams) hat sie eine zwischen Offenheit und Ausnutzen mäandernde Dreiecksbeziehung; Bobby Cannavale als Ehemann Joe DiMaggio bestraft sie dafür, ihren Schritt und damit sein vermeintliches Eigentum in „Das verflixte siebente Jahr“ der Öffentlichkeit zu präsentieren; Adrien Brody als Ehemann Arthur Miller kann sie nach einer Fehlgeburt nicht halten.
Und in einer verstörenden Szene wird Marilyn in Kennedys Hotelzimmer geleitet – um dort den wie ein braungebrannter Faun auf seinem Hotelbett fläzenden Präsidenten (Caspar Phillipson) zunächst zu masturbieren, und ihn dann, während er das Ohr nicht vom Telefonhörer nimmt, zu fellatieren. „Nur nicht würgen“, hört man Marilyns Kopfstimme. Man könnte die humor- und gnadenlose Genderdarstellung als „Victimizing“ misinterpretieren – aber die Zeit war nicht gut zu nichtresilienten Menschen, erst recht nicht zu Frauen.
Durch den Albtraum aus Pillen, Make-up und (wie in Soundgardens „Black Hole Sun“-Video) mit surreal aufgerissenen Mündern schreienden Fans bewegt sich Ana de Amas mit Hingabe. Ihre hauchende Stimme bricht, ihre fahrigen Bewegungen, die – denn so war es bei Marilyn – nie die Anmut verlieren, unterstreichen die Verletzlichkeit.
Dialog mit ihrem ungeborenen Baby
Die von Nick Cave und Warren Ellis komponierte, mal klavier-, mal analogsynthielastige Musik streift, wie Cave oft selbst, den Kitschrand – aber die Person Nick Cave, die man mitdenkt, passt dazu. Die Authentizität der kopierten Originalfilmszene ist zudem verblüffend, am Set von „Some Like It Hot“ kann man Chris Lemmon erleben, der seinem Vater Jack wie ein Zwilling gleicht.
Zum (Body-)Horror des Films gehört auch ein kurzer Dialog Marilyns mit ihrem ungeborenen Baby, das sie mit gruseliger Babystimme bittet, es nicht „noch einmal“ zu töten – eine inszenatorische Idee, die US-amerikanische Abtreibungsrechtler:innen auf die Palme brachte. Dabei geht es Dominik nicht um eine Stellungnahme gegen „My body my choice“. Im Gegenteil zeigt er, was passiert, wenn eine Frau nicht die Wahl hat, über den eigenen Körper zu bestimmen.
Empfohlener externer Inhalt
Trailer „Blond“
„Nimm dich in Acht vor blonden Frauen“, heißt es in Marlene Dietrichs Gassenhauer. Zu Marilyn Monroe passt das nicht: Sie hätte sich eher selbst in Acht nehmen müssen.
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