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Rechte Regierungen in der EUAuf dem Vormarsch

Ungarn und Polen werden schon lange rechts regiert, nun kommen Schweden und vermutlich Italien dazu. Doch die Alarmglocken in der EU klingeln nicht.

Melonis Partei Fratelli d’Italia hat sich nie vom Faschismus distanziert Foto: Jean-Marc Caimi, Valentina Piccinni

Brüssel taz | Erinnern Sie sich noch an die Aufregung, als die linke Syriza-Partei im Januar 2015 in Griechenland die Regierung übernahm? Deutschland setzte die Pickelhaube auf, die Europäi­sche Union geriet in Panik. In Brüssel folgte eine Krisensitzung auf die nächste, Berlin forderte den Rauswurf aus dem Euro. Erst als Premier Alexis Tsipras zu Kreuze kroch und ein hartes Austeritätsprogramm schluckte, beruhigte sich die Lage.

An Griechenland wurde ein Exempel statuiert, seitdem ist die Linke in Europa in der Defensive. Ganz anders sieht es auf der rechten Seite des Parteienspektrums aus. Nationalisten und Rechtspopulisten sind in mehreren Ländern auf dem Vormarsch.

Ungarn und Polen werden schon seit Jahren rechts regiert. Vor Kurzem kam auch noch Schweden hinzu: Vergangenen Sonntag wurde dort die Mitte-links-Regierungskonstellation abgewählt, der rechte Block hat künftig die Mehrheit im Parlament, die rechtspopulistischen Schwedendemokraten haben ein Rekordergebnis erzielt. Und nun droht der Super-GAU: Wenn nicht alles täuscht, werden am Sonntag in Italien die Post­faschisten die Macht übernehmen.

Die rechtsextreme Partei Fratelli d’Italia und ihre Chefin Giorgia Meloni haben sich nie vom Faschismus und von Mussolini distanziert. Jetzt wollen sie zusammen mit Silvio Berlusconis Partei Forza Italia die Regierung stellen.

Es bleibt ruhig

Doch diesmal klingeln in der Europäischen Union keine Alarmglocken – oder wenn, dann sind sie verdammt leise. Sozialdemokraten und Grüne im Europaparlament finden es zwar „befremdlich“, dass die Konservativen mit den Postfaschisten paktieren. Sie stellen sich ihnen aber nicht in den Weg. Obwohl Berlusconi die EU schon einmal in die Krise stürzte. Auf dem Höhepunkt der Eurokrise wurde er zum Rückzug gezwungen. Und jetzt ignoriert Brüssel einfach die rechte Gefahr.

Das mag daran liegen, dass die führenden Konservativen, EU-Kommissionspräsidentin Ur­sula von der Leyen (CDU) und der Chef der größten Parlamentsfraktion, Manfred Weber (CDU), die Daumen für Berlusconi drücken. Sie schämen sich offenbar nicht dafür, dass ein Mitglied ihrer Parteienfamilie EVP zum Steigbügelhalter für die Postfaschisten werden könnte. Gegen links machen sie mobil, mit einem Rechtsruck haben sie keine Probleme.

Eine andere Erklärung lautet, dass sich Möchtegern-Premierministerin Meloni zumindest verbal zur EU bekannt hat. Im Wahlkampf beteuerte sie, dass Italien auch unter ihrer Führung ein verlässlicher Partner bleiben wolle. Allerdings erklärte Meloni auch, dass bald „der Spaß vorbei“ sein werde. „Auch Italien wird anfangen, seine nationalen Interessen zu verteidigen. So wie es die anderen machen auf der Suche nach gemeinsamen Lösungen.“

Wenn sie es ernst meint, droht Europa ein Rückfall in Egoismus und Nationalismus – und das zu einer Zeit, da die Europäische Union durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine gebunden und durch die Wirtschaftssanktionen geschwächt ist.

Eine erneute Eurokrise?

Doch das ist nicht die einzige Gefahr. Italien könnte nach einem Rechtsruck eine neue Eurokrise auslösen. Das Land ist hoch verschuldet und hat mit steigenden Zinsen zu kämpfen. Ein falsches Wort, und die Lunte brennt.

Das größte Problem ist jedoch, dass sich die Gewichte in der EU verschieben und die Entscheidungsfindung immer schwieriger wird. Bisher war Italien – zusammen mit Deutschland und Frankreich – eine tragende Säule.

Künftig könnte es zum Quertreiber werden, so ähnlich wie Polen. Oder zum unsicheren Kantonisten wie Ungarn. Mit dem trauten Trio aus Berlin, ­Paris und Rom, das gemeinsam im Sonderzug nach Kiew reist, ist es jedenfalls vorbei.

Noch ist unklar, welchen Kurs Meloni und Berlusconi in der Außenpolitik fahren werden. Doch EU-Diplomaten treibt die Sorge um, dass die Rechten den harten Kurs gegen Russland lockern und die Sanktionen aufweichen könnten.

Allerdings trauen sie sich nicht, das offen auszusprechen. Vor Alexis Tsipras, dem Linken, wurde laut gewarnt. Bei Giorgia Meloni, der Rechten, wird leise getreten. Ist die EU auf dem rechten Auge blind? Es sieht ganz so aus.

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13 Kommentare

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  • Während der Prä- bzw. Proto-Faschismus theoretisch recht präzise und etablierte Kategorien sind ist das, meines Wissens nach, für den 'Post-Faschismus' nicht wirklich der Fall. Bereift man das 'Post' rein chronologisch, wäre der Post-Faschismus vermutlich, sowohl im deutschen wie im italienischen Kontext, die Demokratie. Gemeint ist es hier offenbar aber eher als Erweiterung oder Fortentwicklung. Was also unterscheidet den Post-Faschismus derart von etablierten Kategorien wie (Proto-)Faschismus, Neo-Nazismus oder Rechts-Populismus, dass es eine eigene Schublade braucht?

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @Ingo Bernable:

      Klingt halt ein wenig danach, als ob es schon fast oder bald wieder vorbei wäre. Wünscht man sich das, oder soll es so klingen?

  • Das Entscheide ist nicht, dass zunehmend rechts der Mitte in die Regierung gewählt. Das Entscheidende ist, dass sie widergewählt werden und das sogar mit satten Mehrheiten.

  • Lieber Herr Bonse,



    erweitern Sie doch die Betrachtung um korrupt und neoliberal.



    Außer in der Fantasie gab es in der EWG/EG/EU meines Wisssens nie eine linke oder linksliberale Hegemonie.

  • Es war in Griechenland nicht die Wahl der Partei, die die Anderen auf die Barrikaden trieb, sondern deren Ankündigung, sich nicht an die getroffenen Vereibarungen halten zu wollen.

    Hinsichtlich der jetzigen Wahlergebnisse handelt es sich zunächst einfach nur um demokratisch zustande gekommen Ergebnisse. Das hat die EU nicht zu interessieren, schließlich darf sie sich in die inneren Angelegenheiten ihrer Mitglieder nicht einmischen und hat sich politisch neutral zu verhalten.

    Alles andere würde Grünen der EU nur Bestätigung bieten.

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @DiMa:

      Weie hält sich die "konservative" Regierung in Griechenland an welche Vereinbarungen?

      • @31841 (Profil gelöscht):

        Keine andere griechische Regierung hat bisher quasi als Wahlversprechen den Bruch von Vereinbarungen angekündigt.

  • 6G
    656279 (Profil gelöscht)

    Der Elefant im Wahlzimmer wird leider nicht erwähnt.

    Soweit man Wahlfälschungen in den vier genannten EU-Staaten ausschließen kann, dahingehend im Artikel auch nichts erwähnt wird, so muss es also eine relevante Zahl an Menschen geben, die entsprechend wählen, möglicherweise gar ihre Gründe haben.

    Und zu Italien, dem eher ländlichen Raum in den Bergen des Piemont und wo ich mehrfach im Jahr bin, da wäre zu sagen, dass die Mehrheit der Menschen dort nach meinem Eindruck konservativ orientiert ist.

    "Rechts" und als Kampfbegriff urbaner Linker würde ich das nicht nennen.

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @656279 (Profil gelöscht):

      Warum musste es dann neo-faschsistisch sein?

  • 4G
    49732 (Profil gelöscht)

    Die EU wird über die Politik in den Nationalstaaten definiert und nicht die Politik der Nationalstaaten über die EU.

    Am Ende liegt es an den linken politischen Strömungen die Bürger mitzunehmen bei ihren Zielen, dann wird entsprechend gewählt und die EU und die Nationalstaaten werden linke Politik machen.

    Aber selbst in D schafft es die Linke gerade mal auf 4,9 %. Da sollte man sich schon mal Gedanken machen warum!

  • In ganz Europa wird Politik von der Wirtschaft und einflußreichen Superreichen gemacht. Die haben ihre Interessen durch Syriza bedroht gesehen, von den Faschisten erwarten sie das nicht. Unterstützung der Demokratie kann man von denen nur solange erwarten, wie die sich Sicherheit und schöne Margen davon versprachen.



    Wenn der Faschismus größere Gewinne verspricht, ist es damit dann auch vorbei.

  • Wie schrieb Tucholsky einst?

    Ihr müßt sie lieb und nett behandeln,



    erschreckt sie nicht – sie sind so zart!

    Ihr müßt mit Palmen sie umwandeln,



    getreulich ihrer Eigenart!

    Pfeift euerm Hunde, wenn er kläfft –:



    Küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft!

  • 0G
    04405 (Profil gelöscht)

    Dass die konservativ dominierte EU-Kommission keinen Grund zur Beunruhigung sieht, ist nicht besonders überraschend. An ganz anderer Stelle sollten aber die Alarmglocken läuten: Die rechtspopulistischen Vereinfacher haben ihre Entsprechung schon lange in so manchen Redaktionen. Sie setzen auf Emotionalisieren, Verkürzen, Personalisieren von Problemen, Agitieren und Meinungsmache. Das ideale Klima, in dem Populismus gedeihen kann.

    Ulf Poschardt mag hier Pionierarbeit geleistet haben, mittlerweile ist die Aufmerksamkeitsökonomie überall angekommen. Ich denke z.B. über ein Interview, in dem eine BIPoC Aktivistin die Kolonialistische Haltung von FFF brandmarken darf. Wer ständig Gruppen und Personen gegeneinander ausspielt, soll sich nicht wundern wenn sich irgendwann der Meister des Genres an die Spitze setzt: Der rechtspopulistische Rattenfänger.