piwik no script img

Konfrontation in der ÄgäisGefährlicher Theaterdonner

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Der griechisch-türkische Konflikt in der Ägäis ist alt. Die aktuelle Eskalation hat vor allem Wahlkampfgründe, ist allerdings brandgefährlich.

Blick auf den Horizont: In der Ägäis vor Lesbos bauen sich die griechisch-türkischen Spannungen auf Foto: Elias Marcou/rtr

I m Schatten des Krieges in der Ukraine entwickelt sich in der Ägäis eine weitere Krise, die, wenn es schlecht läuft, das Potenzial zu einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen den Nato-Partnern Griechenland und der Türkei hat. Am Samstag hat die griechische Küstenwache auf einen türkischen Frachter geschossen und der türkische Präsident Erdoğan droht unverhohlen mit einem Angriff auf griechische Inseln vor der türkischen Küste.

Die Konflikte zwischen der Türkei und Griechenland in der Ägäis und im Mittelmeer sind Jahrzehnte alt. Es geht um Hoheitsgewässer und den dazugehörigen Luftraum über den Inseln und dem Festland. Es geht um Festlandssockel und Schürfrechte für Öl und Gas, und es geht um die Rechte der türkischen Minderheit auf Zypern. In diesen Konflikten, die tatsächlich schwer zu lösen sind, gibt es immer wieder Phasen, in denen es zu Annäherungen kommt und Phasen der Eskalation, die bis kurz vor bewaffnete Einsätze gehen. Vor ein paar Jahren war es anlässlich von Explorationsfahrten türkischer Spezialschiffen in angeblich griechischen Hoheitsgewässern fast zu einem Schusswechsel zwischen Kriegsschiffen der beiden Nationen gekommen, die anschließenden Verhandlungen platzten im Frühsommer dieses Jahres, weil Griechenland unbedingt verhindern will, dass die USA der Türkei Flugzeuge zur Modernisierung ihrer Luftwaffe verkaufen. Seitdem dreht sich wieder die Eskalationsspirale.

Das hat auch ganz banale Gründe. Sowohl in Griechenland als auch in der Türkei wird nächstes Jahr gewählt. Beide Regierungen stehen unter Druck und die Anstachelung von Nationalismus gehört in beiden Ländern zum Standardrepertoire für Wahlkämpfe. Doch das ist brandgefährlich. Was womöglich als Theaterdonner gedacht ist, kann in der angespannten Atmosphäre leicht aus dem Ruder laufen. Ein Schusswechsel kann eskalieren, weil niemand das Gesicht verlieren will und sich beide Seiten gerade stark fühlen. Es wird höchste Zeit, dass EU und USA beiden Seiten klarmachen, dass das Letzte, was die Welt jetzt brauchen kann, ein weiterer Krieg ist.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • In der Tat sind die Konflikte zwischen beiden Staaten Jahrzehnte alt. Schon mehrfach führte das beinahe zu militärischen Auseinandersetzungen. Es sollte anerkannt werden, dass solche Auseinandersetzungen dank der Nato bislang verhindert werden konnten.



    Die Nato hat ein eigenes Interesse, es nicht zum Krieg zwischen Griechenland und der Türkei kommen zu lassen. Denn, wie ernst würde z. B. Russland ein Militärbündnis nehmen, in dem die Mitgliedsstaaten übereinander herfallen?