Erstes Soloalbum von Charles Stepney: Große Arrangements aus dem Keller
Der Soul- und Jazz-Arrangeur Charles Stepney produzierte zeitlebens für andere. Auf „Step on Step“ wird nun seine künstlerische Begabung manifest.
Charles Stepney ist einer der großen Vergessenen in der Geschichte der afroamerikanischen Musik. In den Sechziger- und Siebzigerjahren produzierte der Chicagoer einige enorm populäre Alben, darunter zentrale Teile der Diskographie von Earth, Wind & Fire.
Aber der Produzent, Ausnahmen wie George Martin und Quincy Jones bestätigen die Regel, galt damals wenig. Auch heute weitgehend aus dem kollektiven Gedächtnis verschwundene Seltsamkeiten wie die Versuche, Schwarze Musik – Blues und Soul – mit Psychedelic-Music in Verbindung zu bringen, gehen maßgeblich auf Stepneys Arbeit als Arrangeur, Komponist und Produzent zurück.
Charles Stepney ist früh verstorben, 1976, im Alter von 45 Jahren. Das Chicagoer Label International Anthem hat jetzt posthum sein Debütalbum veröffentlicht. „Step on Step“ versammelt Home Recordings, die um 1970 herum entstanden sind. Um ihre Schönheit würdigen zu können, muss man sich vor Augen führen, was Stepney als Produzent mit der Musik veranstaltet hat, die er jenseits seines eigenen Kellers arrangiert hat.
Zum Beispiel „Rotary Connection“, das 1967 erschienene Debüt der gleichnamigen Soul-Band um Sängerin Minnie Riperton. In der Musik lässt sich hören, was Stepneys Arrangements ausmacht: die präzise Schichtung von exorbitant dimensionierten Streichern, Bläsern und Chören, was dann im Zusammenspiel einen veritablen Trip ergibt, der aber ohne Psychedelic-Klischees auskommt.
Charles Stepney: „Step on Step“ (International Anthem/!K7/Indigo)
Das Album wurde in den Neunzigerjahren von der HipHop-Szene als Sample-Fundgrube entdeckt: A Tribe Called Quest, Jay-Z und Common wilderten.
Traumhaft und monumental
Anschauungsmaterial, besonders, was die Finnesse von Stepney als arrangierenden Komponisten ausmacht, liefern auch die von ihm produzierten, immens populären Alben von The Dells („There Is“) und von Ramsey Lewis („Maiden Voyage“), beide Ende der 1960er veröffentlicht. Da vor allem die beiden von Stepney komponierten Songs „Ode“ und „Les Fleurs“: zweimal jubilierende Chöre über Lounge-Soul, im letzteren Fall mit einem ekstatischen Streicherensemble, das das Ganze sanft Richtung Geniestreich schiebt. Traumhafte Musik.
Am populärsten aber wurde die Musik, die Stepney im Verbund mit Earth, Wind & Fire fabrizierte. Hier war einer hörbar in seinem Element: monumentaler, groovender, maximal eingängiger Soulpop. Zum Beispiel auf „That’s the Way of The World“ (1975). Es sind auch hier die millimetergenau abgestimmten Bläser- und Orchesterarrangements, die die Musik zu dem machen, was sie so wohl nur in den Händen Stepneys werden konnte:
Perfektionistischer, butterweicher Pop mit aufdringlich schönen Melodien. Charles Stepney flog zu Lebzeiten weitgehend unter dem Radar. Kein charismatischer Frontmann, sondern ein Tüftler, der von Labelchefs und vielleicht auch von den Kolleg:innen, mit denen er zusammengearbeitet hat, als Dienstleister wahrgenommen wurde. Und nicht als der Künstler, der er, in jeder seiner Funktionen, war.
International Anthem forciert zurzeit die Würdigung dieses Lebenswerks und hat dafür den „Summer of Stepney“ ausgerufen. In Chicago wird eigens ein Tribute-Konzert veranstaltet. Und das kalifornische Magazin Wax Poetics streamt eine vom Label präsentierte sechsteilige Doku, „Out of the Shadows“.
Ein überzeugter Produzent
Von seiner maßgeblichen Rolle als Produzent war Stepney selbst jedenfalls überzeugt – absolut zu Recht. „Ich glaube, es ist kein Geheimnis, wer das wirkliche Talent hinter einer Band wie den Beatles war“, hat er 1970 im Downbeat-Magazine erklärt. Beatles-Produzent George Martin nämlich. Songs wie „A Day in the Life“, „Eleanor Rigby“ und „I am The Walrus“ hätten die vier Musiker nicht eigenhändig schreiben können.
Ob das stimmt, sei mal dahingestellt, aber es zeigt, wie Charles Stepney seine Arbeit verstanden hat, nämlich als mindestens ebenso prägend für die Musik wie die Arbeit der Musiker:innen.
Der Titelsong des Earth-Wind-and-Fire-Albums ist auch auf „Step on Step“ zu hören, als instrumentales LoFi-Recording, aufgenommen im Keller des Hauses, in dem Stepney mit seiner Frau und seinen drei Töchtern gelebt hat. Es bleibt das Skelett, die Melodie über Muzak-Beats aus der Drum-Machine. Man kann auf diesem Album hören, wie die gleichen Ideen mit fetter Orchestrierung und als spartanische Kelleraufnahmen eine jeweils eigene Schönheit entfalten.
Damit ist „Step on Step“ mehr als nur eine Dokumentation oder eine Compilation. Man kann die 21 Stücke an einem Stück durchhören und sich daran freuen, wie hier ein Mastermind mit Klavier, Vibraphon, Keyboards, Gitarre und weiteren Geräten buchstäblich am laufenden Band glitzernde kleine Diamanten fabriziert.
Hommage an denn Vater
Eine Hommage aber ist es auch. Kompiliert haben es Stepneys Töchter, Eibur, Charlene und Chanté Stepney, die seit Jahren dran arbeiten, dass das Lebenswerk ihres Vater endlich Anerkennung findet. Auf dem Album sind sie ebenfalls zu hören, mit Erinnerungen aus dem Familienleben, was dann das Einzige ist, das an „Step on Step“ etwas stört. Ganz einfach, weil man eine Anekdote nicht unbedingt achtmal erzählt bekommen will.
Alles in allem verbreitet Stepneys Musik Ideenreichtum und Lebensfreude. Auf „Step on Step“ ist ein Perfektionist zu hören, der seine Berufung gefunden hat und mit dem Material, das er unüberhörbar perfekt beherrscht, einen Riesenspaß hat. Und der überträgt sich unmittelbar auf Hörerin und Hörer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen