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Graphic Novel von Andi WatsonAutor unter Mordverdacht

Auf Andi Watsons zittrigen Tuschezeichnungen von „Die Lesereise“ wird eine englische Kleinstadt zum kafkaesken Labyrinth.

Wo ist der Mörder und wo ist er nicht in den engen Gassen einer namenlosen englischen Kleinstadt? Foto: Andi Watson, (c) Schaltzeit Verlag, 2022

G. H. Fretwell ist Schriftsteller. Er hat bereits mehrere Bücher veröffentlicht und tritt gerade eine neue Lesereise an. In einer pittoresken englischen Kleinstadt angekommen, wartet in dem Buchladen, in dem er sein neues Werk („Ohne K“) vorstellen möchte, zu seinem Erstaunen keinerlei Publikum auf ihn. Auch der jungen Buchhändlerin Rebecca ist ihr Date an dem Abend wichtiger als eine erfolgreiche Lesung.

Diese seltsame Situation scheint auch damit in Verbindung zu stehen, dass ein anderer Autor derzeit viel Aufmerksamkeit auf sich zieht. Dessen Buch findet geradezu reißenden Absatz. Fretwell bezieht ein Zimmer in einem Hotel, da ihn anderenorts noch weitere Lesungen erwarten werden. Doch diese verlaufen auch nicht viel erfreulicher.

Und als die Buchhändlerin Rebecca verschwindet und kurz darauf ermordet aufgefunden wird, ist die Rede von einer „Bestie“, einem mysteriösen „Koffermörder“. Fretwell hat sie als Letzter gesehen. Der Autor erscheint der örtlichen Polizei und einigen Leuten einer militanten Bürgerwehr suspekt und mehr als nur verdächtig.

Das Buch

Andi Watson: „Die Lesereise“. Schaltzeit Verlag, Berlin 2022, 268 Seiten, Hardcover, 25 Euro

Übersetzt von Ruth Keen

Die Graphic Novel „Die Lesereise“ fängt zunächst sehr harmlos und bedächtig an. Der Held G. H. Fretwell erscheint als musterhaftes Exemplar der Gattung „sensibler, leicht zerstreuter Schriftsteller“. Er ist sehr höflich und geht einfühlsam auf die ihm begegnenden Menschen in der fremden Stadt ein, während diese ihm mit Gleichgültigkeit und geradezu brutalem Desinteresse begegnen.

Vom Literaturbetriebsschwank ins Surreale

Der britische Zeichner Andi Watson versteht es, seine Gesellschaftssatire auf subtile Weise mit immer neuen kleinen Wendungen zu versehen, sodass seinem leicht ungeschickten Protagonisten – und mit ihm auch den Leserinnen und Lesern der Graphic Novel – ganz sachte der Boden unter den Füßen weggezogen wird.

Die kleine Altstadt der namenlosen, austauschbar erscheinenden englischen Stadt mit ihren verwinkelten Gässchen wird zum Labyrinth, in dem sich der Autor zwischen hübsch-niedlichen Buchläden und heruntergekommenen Hotels zu verlieren droht. Noch nicht einmal sein Verleger lässt sich zum verabredeten Abendessen blicken. Er schickt stattdessen einen Mitarbeiter, der Fretwell durch seine Selbstherrlichkeit vor den Kopf stößt.

Als er dann noch zum Mordverdächtigen wird, ist die Geschichte längst vom Literaturbetriebsschwank ins surreal Beängstigende, ins Kafkaeske gekippt. Ein Verdacht reicht aus und die Welt wendet sich gegen einen vermeintlich mordlüsternen Autor. Selbst seine Frau, die ohnehin bei den täglichen Telefonaten keinerlei Anteilnahme zeigt, ist von der Schuld ihres Mannes rasch überzeugt. Sie lässt ihn kurzerhand fallen.

Der 1969 geborene Comic­zeichner und Illustrator Andi Watson lebt im englischen Worcester. Seine Werke sind bisher nicht ins Deutsche übersetzt worden, obwohl er in seiner Heimat bereits zahlreiche Graphic Novels für Kinder und Erwachsene veröffentlichte, die meist in einem klaren, reduzierten Zeichenstil und stets in Schwarz-Weiß gehalten sind.

Für „Die Lesereise“ hat er einen gänzlich anderen Look entwickelt: Mit dünnen, leicht zittrigen Tuschelinien entwirft Watson eine flüchtige, skizzenhafte Welt, die der zunehmend fragilen Verfassung seines Protagonisten entspricht.

Mit wenigen Strichen und Punkten stattet der Zeichner die Gesichter seiner Figuren aus und doch gelingt es ihm, deren Gemütsverfassungen genauestens zu treffen. Der dünnhäutige G. H. Fretwell wird zum Opfer seiner gleichgültigen, mitleidlosen Umwelt.

Auch der Leser erlebt ein Wechselbad der Gefühle. Nicht zuletzt ist es Watsons britisch zurückhaltender und dabei gesellschaftskritischer, bissiger Humor, der den Comic zum durchgängigen Lesevergnügen macht. Und zum Mehrfachlesen anregt. Andi Watson verbindet versiert Tragikomödie, Krimi und Tiefgang, sodass man gerne weitere Werke von ihm ­lesen möchte.

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2 Kommentare

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  • Wozu bitte sind im Text zwei Links, die wieder zum selben Artikel führen? Oder soll das per Selbstreferenzialität die kafkaeske Struktur widerspiegeln?

    • @o_aus_h:

      die beiden Links, die zurückführen, sind vielleicht so zu verstehen, wie der Rezensent des Buches selbst schrieb "sodass mit ihm auch den Leserinnen und Lesern der Graphic Novel – ganz sachte der Boden unter den Füßen weggezogen wird." ..... "sodass man gerne weitere Werke von ihm lesen möchte."