Jobcenter-Personalrat über Bürgergeld: „Ein kleiner Paradigmenwechsel“

Ab 2023 soll das Bürgergeld eingeführt werden. Moritz Duncker aus dem Personalrat der Jobcenter erklärt, was das für die Arbeitsvermittlung bedeutet.

Aktenschrank mit Hängeregistern in einem Bürgeramt

Ob das neue Bürgergeld zu weniger Bürokratie führt, darf angezweifelt werden Foto: Maurice Weiss/Ostkreuz

taz: Herr Duncker, was zeichnet sich ab: Wie wird sich die Arbeit in den Jobcentern mit der Einführung des Bürgergelds verändern?

Moritz Duncker: Wir als Personalräte der Jobcenter wünschen uns immer Entbürokratisierung. Diese wird im Bereich der Leistungsgewährung etwas verbessert. Hier werden die passiven Leistungen, also die Geldleistungen, geprüft und ausgezahlt. Im Bürgergeld, wie es im Koalitionsvertrag beschrieben wurde, sind einige Ansätze zur Erleichterung vorhanden.

44, ist Vorsitzender der Personalräte der Jobcenter in Deutschland. Er kennt die Interessen der Mitarbeitenden aus den Vermittlungsstellen.

Was für Ansätze?

Einer davon ist die zweijährige Wartezeit bei der Prüfung der Kosten von Unterkunft und Heizung. Eine andere, die uns sehr freut, ist die sogenannte Bagatellgrenze. Denn die Mindesthöhe der Kleinstbeträge, die zurückgefordert werden, soll von rund zehn Euro auf 50 Euro steigen. Wir hätten uns mehr gewünscht, aber das sind kleine Schritte in die richtige Richtung. Was man schon kritisch sehen könnte, ist die zweijährige Schonzeit der Vermögensprüfung: Das erleichtert uns in den Jobcentern zwar die Arbeit, es erscheint mir jedoch sozialpolitisch etwas heikel, wenn zwei Jahre ohne jegliche Vermögensprüfung Geld ausgezahlt wird. Grundsätzlich sehen wir im Bereich der Leistungsgewährung einige kleine Verbesserungen für die Verwaltung, aber diese bringen nicht die ultimative Vereinfachung.

Der Koalitionsvertrag Die Ampel hat vereinbart, als Nachfolger von Hartz IV ein sogenanntes Bürgergeld einzuführen. Es soll „auf Augenhöhe“ funktionieren – unter anderem, weil Sanktionen erst nach einem halben Jahr „Vertrauenszeit“ verhängt werden können. Weiterbildungen sollen stärker gefördert und der Vermittlungszwang abgeschafft werden, um eine nachhaltigere Integration in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Zuverdienste von Jugendlichen sollen nicht mehr auf die Grundsicherung angerechnet werden.

Die Eckpunkte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat im Juli konkretere Eckpunkte zum Bürgergeld vorgestellt: Darin heißt es etwa, dass eine zweijährige „Karenzzeit“ zu Beginn des Leistungsbezugs eingeführt wird, während der das Jobcenter die Wohnkosten in tatsächlicher Höhe erstattet, ohne die Wohnung auf „Angemessenheit“ zu prüfen. Außerdem sollen in dieser Zeit Vermögen bis zu einer bestimmten Höhe nicht angerechnet werden. Als Anreiz für Weiterbildungen soll es einen Bonus geben.

Die AussichtenDer Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales liegt zwar vor, es fehlen aber konkrete Zahlen. Insbesondere die Höhe des Bürgergeld-Regelsatzes führt zu Diskussionen in der Ampelkoalition. Im September soll eine Berechnung vorgenommen werden. Laut Plan kommt der Entwurf im Herbst ins Kabinett und soll dann vom Bundestag beraten und beschlossen werden. Geht es nach Arbeitsminister Heil, tritt das Gesetz zur Einführung des Bürgergelds am 1. Januar 2023 in Kraft. (taz)

In Ihrem zweiten Organisationsbereich, Markt und Integration, findet die eigentliche Eingliederung von Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt statt. Was verändert sich da mit dem Bürgergeld?

Dort findet tatsächlich ein kleiner Paradigmenwechsel statt. Vor allem soll der Vermittlungsvorrang abgeschafft werden. Bis jetzt ging es für uns immer darum, Leute so schnell wie möglich egal auf welche Weise in eine Arbeit zu vermitteln. So ist unsere Zielvorgabe angelegt. Es geht mehr um Effizienz als um Effektivität. Mit dem Bürgergeld sollen nun Weiterbildungsmaßnahmen eher berücksichtigt werden. Das ist ein richtiger Schritt in Richtung nachhaltige Arbeitsvermittlung. Hier können die Kol­le­g:in­nen in den Jobcentern besser auf die Neigungen, Fähigkeiten und Kompetenzen der Leistungsberechtigten eingehen. Für uns Jobcenter-Personalräte war das schon immer ein Anliegen: ein Anreizsystem für Arbeitslose zu schaffen. In dem Zusammenhang hilft es natürlich auch, dass dies für die Leistungsberechtigten durch den Weiterbildungsbonus auch finanziell belohnt werden soll.

Wie wird sich die Arbeit in den Jobcentern dadurch verändern?

Die Arbeit wird eher qualitativ sein. Das kann dazu führen, dass wir einige Leistungsberechtigte sehr viel seltener sehen werden. Andere werden jedoch eine intensivere Beratung benötigen und öfter zu uns kommen. Insgesamt wird mehr in die Qualifizierung gesteckt. In dem Zusammenhang ist auch die freie Förderung zu nennen: Hier werden Förderungsmaßnahmen individuell, lokal und regional auf die Leistungsberechtigten zugeschnitten. Diese sollen laut Koalitionsvertrag aufgewertet werden. Die Arbeits- und Weiterbildungsvermittlung wird also eine Arbeit auf Augenhöhe mit den Leistungsberechtigten. Das führt auch dazu, dass es künftig weniger konfliktträchtige Termine geben wird.

Das heißt, das Bürgergeld funktioniert tatsächlich auf Augenhöhe?

Es wird zwangsläufig nicht anders gehen. Im Arbeitslosengeld II haben wir momentan teilweise einen sehr repressiven Charakter. Hier ist das erste Ziel der Maßnahmen, die Hilfebedürftigkeit zu verringern und zu vermeiden, koste es, was es wolle. Und genau an diesem Ansatz kratzt das Bürgergeld. Es geht nach wie vor darum, die Leute in den Arbeitsmarkt zu integrieren, aber nicht mehr um jeden Preis. Es geht darum, mehr auf die Qualifikationen und Interessen einzugehen und darauf, was sich die Leistungsberechtigten selbst wünschen. Ein anderes Thema ist da das Sanktionsmoratorium …

Bis Juni 2023 gibt es nur noch zehn Prozent Fördersatzkürzungen bei Meldeversäumnissen. Wie wird das denn in den Jobcentern wahrgenommen?

Da gehen die Meinungen genauso auseinander wie im Rest der Gesellschaft auch. Einige sagen, ohne Sanktionen können wir keinen vernünftigen Vermittlungsprozess mehr durchführen, und andere denken, die Sanktionen waren schon immer überflüssig. Sanktionen sind und waren aber bisher gesetzlich festgelegt. Da mussten sie verhängt werden.

Durch die sechsmonatige „Vertrauenszeit“ zu Beginn des Leistungsempfangs sollen insgesamt weniger Sanktionen verhängt werden. Wird die Arbeit in den Jobcentern dadurch leichter?

Natürlich herrscht im Verhältnis zwischen Leistungsberechtigten und Mitarbeitenden weniger Konfliktpotenzial, wenn es weniger Sanktionen gibt. Sanktionen zu verhängen, ist für beide Seiten keine angenehme Situation. Egal, ob sich die Seite der Mitarbeitenden mehr Nutzen davon verspricht oder nicht.

Wie ist die Stimmung in den Jobcentern mit Blick auf mehr Arbeits- und Bildungsangebote?

Die Kol­le­g:in­nen sind froh, wenn sie weitere Ausbildungs-, Weiterbildungs- und Fördermöglichkeiten haben als bisher. Auch die Ausbildungszeit für Leistungsberechtigte wird von zwei Jahren auf drei erhöht, was für eine sinnvollere Maßnahme spricht. Wir hoffen aber, dass diese Möglichkeiten auch entsprechend ausfinanziert und im Haushalt bedacht werden. Die Maßnahmen sollen nicht nur auf dem Papier existieren, sondern auch umgesetzt werden können – und zwar für einen großen Personenkreis. Dabei muss das Ziel für die Jobcenter angepasst werden. Es darf auch dort nicht nur um effiziente Jobvermittlung gehen. Da muss sich der Bundesrechnungshof positionieren, der uns regelmäßig dafür rügt, dass unsere Maßnahmen nicht ausgelastet sind. Da muss sich der Anspruch an die Jobvermittlung schließlich ändern.

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