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Unsichere Zeiten für Queers im LibanonDie Sündenböcke der Regierung

Libanons Innenminister verbietet die Veranstaltungen der LGBTIQ-Pride, Ak­ti­vis­t*in­nen bekommen Morddrohungen. Sie sehen es als Ablenkungsmanöver.

Da stand die Installation „Liebe blüht immer“ in Beirut noch Foto: Beirut Pride

Beirut taz | Die staatliche Elektrizitätsbehörde liefert keinen Strom; Benzin, Medizin, sogar Lebensmittel sind für die meisten unbezahlbar; seit einer Woche sind auch noch Wasserrohre kaputt, weshalb Teile Beiruts kein Wasser mehr bekommen. Die Menschen im Libanon durchleben fast jede vorstellbare Tortur im alltäglichen Leben.

Trotzdem hat der geschäftsführende Innenminister Bassam Mawlawi nichts Besseres zu tun, als queere Veranstaltungen zu verbieten. Am Freitag schrieb er einen Brief an die Staatssicherheit und bat dessen Angehörige, alle Zusammenkünfte zu verhindern, welche „Homosexualität fördern“ würden.

Er erklärte, dass man sich „in diesem Fall nicht auf die Meinungsfreiheit berufen könne, da dies ein Verstoß gegen die Gewohnheiten und Traditionen unserer Gesellschaft ist und den Grundsätzen der monotheistischen Religionen widerspricht.“

Im Libanon sind gleichgeschlechtliche Beziehungen nach Artikel 534 des Strafgesetzbuchs strafbar. Doch die libanesische Verfassung garantiert den Schutz der Menschenrechte und die Gleichheit der Bürger*innen.

Die Plakataktion „Liebe blüht immer“ wurde zerstört

Beamte der Staatssicherheit standen nach der Aufforderung des Ministers vor der Tür des sogenannten „Haven for Artists“, eine kulturelle, inklusive, feministische Organisation, die an der Schnittstelle von Kunst und Aktivismus arbeitet. Sie verlangten, eine geplante Veranstaltung abzusagen.

Die Entscheidung spielte konservativen Religiösen in die Karten. Der sunnitische Mufti Sheikh Abdel Latif Derian sagte am Freitag, dass die höchste sunnitische Autorität im Libanon, das Dar Al-Fatwa „die Legalisierung von Homosexualität oder Zivilehe nicht zulassen würde“.

Eine christliche Gruppe, die sich „Soldaten Gottes“ nennt, postete am Abend ein Video, in dem ihre Mitglieder eine Plakatwand zerrissen, auf der blühende Blumen die Regenbogenfahne formten. Die Aktion „Liebe blüht immer“ war Teil einer Kampagne von Beirut Pride.

Hadi Damien, Gründer und Hauptorganisator der Beirut Pride, erzählte der taz: „Ein wütender Mob hat die Werbetafel mit Stöcken und Besen zerstört, rief Drohungen und verwies auf das Alte Testament, dass das geblümte Regenbogenbild satanisches Werk sei. Sie haben auch ein Mitglied unseres Teams angegriffen, ihr Handy genommen und alle Daten darauf gelöscht.“

Die Finanzkrise macht das Leben von Queers noch schwieriger

Für Queers im Libanon ist es durch die Finanz- und Wirtschaftskrise schwerer geworden. Da die Gehälter nicht den Kosten entsprechen, müssen viele zu ihren Familien zurückkehren, auch wenn sie kein gutes Verhältnis zu ihnen haben.

Damien sagt, dass viele queere Orte schließen mussten, weil sie mit den steigenden Ausgaben in einer zusammengebrochenen Wirtschaft nicht Schritt halten konnten. Er sagt, das „Blooming Billboard“ sei eine friedliche Installation. „Es ist eine Botschaft der Hoffnung inmitten der Krise, die das Land daran erinnert, dass queere Menschen sich immer noch auf bessere Tage freuen, und LGBTIQ+ sagt, dass sie gesehen und anerkannt werden.“

Als Reaktion auf die Aggressionen war am Sonntag ein Protest geplant. Doch der musste abgesagt werden, „wegen der großen Zahl öffentlicher Aufrufe zu Tötungen und konkreter Informationen, dass Gruppen tatsächlich befugt waren, Demonstrierende körperlich anzugreifen und sogar zu töten.“

Statt eines bunten Protests standen in gedeckten Farben bekleidete Männer mit einem Mufti – einem islamischen Rechtsgelehrten – zusammen vor dem Informationsministerium. Einer von ihnen trug einen Schlagstock bei sich. Ein anderer sagte: „Es passt nicht zu unseren Traditionen“. Was er mit „es“ meinte, wollte der Mann nicht weiter ausführen.

„Die Behörden müssen von drängenden Themen ablenken“

„Die libanesischen Behörden müssen Reformen durchführen, wozu sie noch nicht bereit sind. Sie müssen von drängenden Themen ablenken – und dafür sind LGBTIQ+-Themen gut genug: Sie betreffen Religion, Tradition, Glauben, und Sitten – und das erregt die Gemüter“, erklärt Damien.

„Darüber hinaus brachten die Wahlen im Mai 2022 dasselbe politische Establishment zurück, das für den Zusammenbruch des Landes und für die Explosion vom 4. August 2020 verantwortlich ist.“ Das Establishment könne Großkriminelle und die Verantwortlichen für den Zusammenbruch und die Explosion nicht verhaften und strafrechtlich verfolgen, daher betriebe es „performative Politik“.

Helem („Traum“), eine Nichtregierungsorganisation, die für die Rechte der LGBTIQ-Gemeinschaft einsteht, spricht in einer Erklärung ebenfalls von der „Sündenbock-Taktik“. „Regime und Institutionen, die es versäumt haben, Gerechtigkeit und Sicherheit für ihr Volk zu schaffen, greifen oft marginalisierte Gruppen an, um von ihrem Versagen und ihrer Korruption abzulenken.“

Die Organisation kündigte an, sich das nicht mehr gefallen zu lassen: „Wir werden euch nicht weiter erlauben, unsere Sicherheit zu opfern, damit ihr an der Macht bleibt.“

Die Angst vor weiteren Angriffen steigt

Mit den neuen Entwicklungen mehrt sich die Angst vor Angriffen auf inklusive Räume wie Bars oder Cafés. Besonders Ak­ti­vis­t*in­nen aus der queeren Gemeinschaft hatten sich politisch engagiert, vernetzt und 2019 bei den Massenprotesten für einen gerechteren Staat eingesetzt.

Einschüchtern lassen will man sich dennoch nicht. Damien sagt: „LGBTIQ+-Gruppen und Einzelpersonen haben beschlossen, den geplanten Protest zu verschieben, um eine viel größere Anzahl von Teilnehmenden zu sammeln. Das ist wichtig, um zusätzlichen Druck auszuüben und die grundlegende Sicherheit zu gewährleisten. Es ist jetzt unvermeidlich, dass wir auf die Straße zurückkehren.“

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