: Kriegsgeflüchtete sind nicht alle gleich
Schwarze Menschen, die aus der Ukraine fliehen, sind häufig Rassismus und Ausgrenzung ausgesetzt. Über die Grenzen der Solidarität
Von Tanja Müller
Im Februar diesen Jahres sprangen zum ersten Mal die Sirenen im ukrainischen Dnipro an. Korrine Sky und viele ihrer Kommiliton:innen wussten unmittelbar, es war an der Zeit zu fliehen. Zum zweiten Mal in Korrines Leben. Die heute 26-Jährige wurde in Simbabwe geboren und kam als Geflüchtete vor einem autoritären Regime mit sechs Jahren nach Großbritannien, verbrachte dort ihre Kindheit. Vor etwas mehr als einem Jahr nutzte sie die Möglichkeit, in der Ukraine, in Dnipro, Medizin zu studieren.
Am Tag, als die Sirenen losgehen, macht sich Korrine mit einer Gruppe von Menschen simbabwischen Ursprungs mit dem Auto auf den Weg raus aus der Stadt. Sie wollen nach Lviv, dann Richtung Polen. Unterwegs wird die Gruppe oft angehalten, rassistisch beleidigt und bedroht, von der ukrainischen Polizei sowie von selbsternannten Milizen. Immerhin haben sie ein Auto. Andere afrikanische Student:innen aus Dnipro erzählen später, wie sie aus Zügen gedrängt wurden mit dem Hinweis „nur für Ukrainer:innen“. Auch dringen erste Meldungen über die soziale Medien durch, dass besonders an der polnischen Grenze Geflüchtete mit schwarzer Hautfarbe ausgesondert und ablehnend empfangen werden. Korinnes Gruppe entscheidet sich deshalb für die Grenze nach Rumänien.
Dort angekommen, werden sie von den ukrainischen Grenzbeamt:innen direkt aussortiert. Es gab den Übergang für Ukrainer*innen, erzählt Korrine im Nachhinein, die einfach über die Grenze laufen konnten, ohne Schlangen oder größere Checks, zumindest so sie keine Männer im wehrfähigen Alter waren. Die nächsten in der Hierarchie waren Inder:innen und andere Asiat:innen. Dann gab es die Warteschlange für Menschen mit schwarzer Hautfarbe. Sie mussten oft viele Stunden dort ausharren. Korinne und ihre Gruppe schaffen es nach vier Tagen schließlich nach Rumänien, erschöpft, aber der Empfang dort ist herzlich.
Da Korrine die britische Staatsangehörigkeit besitzt, kann sie schnell weiterreisen, nach Hause, nach London. Für viele andere der afrikanischen Student:innen in der Ukraine ist das nicht so einfach. Die Botschaften haben geschlossen. Visa zu bekommen ist quasi unmöglich, und aus dem Traum eines Studiums oder einem jahrelangen normalen Leben in der Ukraine wird schnell die Abschiebung.
Ob sie das Studium weiterführen können, ist für viele ungewiss. Die Universität in Dnipro ließ alle Student:innen wissen, der Universitätsbetrieb liege erst mal auf Eis. Zwar gibt es in einigen europäischen Ländern Studienangebote für Geflüchtete aus der Ukraine. Aber auch hier gilt: Nur wer einen ukrainischen Pass hat darf weiter studieren.
Wer nicht die ukrainische Staatsangehörigkeit besitzt, hat erst einmal wenig Rechte und muss im besten Fall ein für viele undurchsichtiges Asylverfahren durchlaufen. Als Ukrainer:in hat man mehr Glück. Es gibt die Anerkennung und ein Bleiberecht, zumindest auf Zeit. Alles relativ unbürokratisch.
Dies erinnert an die Zeit der Geflüchteten aus Syrien, deren Abschlüsse oder Studienzeiten ebenfalls nicht anerkannt oder berücksichtigt wurden. Hier wie dort scheint es nicht darum zu gehen, was an Universitäten an Inhalten gelehrt wird, sondern wer die Lernenden sind – (weiße) Europäer:innen oder Menschen anderer Hautfarbe und Kultur.
Die sogenannte europäische Solidarität mit der Ukraine macht einen Unterschied zwischen den Geflüchteten aus der Ukraine mit ebendiesem Pass und Menschen aus anderen Ländern, besonders denen des Globalen Südens. Und das, obwohl diese in der Ukraine oft seit vielen Jahren ihren Lebensmittelpunkt haben oder dort studieren.
Solidarität in Zeiten des Krieges ist damit nicht unteilbar. Doch ist Solidarität überhaupt das richtige Wort? Deutschland feiert sich selbst in seiner Großzügigkeit gegenüber ukrainischen Geflüchteten. Doch Solidarität scheint nicht für alle zu gelten. Letztlich entscheiden doch Herkunft und Hautfarbe: Sowohl bei ukrainischen Grenzbeamt:innen als auch in Deutschland.
Korrine Sky hat im Frühjahr 2022 die Organisation Africans in Ukraine Education Fund gegründet. Sie sammelt Spenden für afrikanische Geflüchtete aus der Ukraine.https://aiuef.org
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