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Frauen im FußballHochklassig wie nie

Mit sechs Jahren entdeckte unsere Autorin ihre Liebe zum Fußball. Damals war es Frauen noch verboten, im Verein zu kicken.

Tika-Taka vom Feinsten: Barcelona gegen Real Madrid Foto: Irina R. Hipolito/imago

Ich fahre dieses Jahr früher aus dem Urlaub zurück als mein Liebster, weil ich die Fußballeuropameisterschaft der Frauen sehen will. Zum Auftaktspiel des deutschen Teams gegen Dänemark bin ich wieder in Hamburg, denn auf der griechischen Insel Chios, wo wir gerade sind, interessiert sich niemand für das Turnier. Vermutlich nicht mal der Besitzer unserer Lieblingsbar, der im vergangenen Jahr die Partien der Männer-EM mit Bea­mer projizierte.

Das kann ich nicht riskieren, denn ich freue mich auf die Spiele wie verrückt. Weil die besten Frauenteams inzwischen hinreißend kicken. Etwa neulich die Partie Barcelona gegen Real Madrid im Viertelfinale der Champions League. Tikitaka vom Feinsten!

Frauenfußball ist hochklassig wie nie, weil er sich professionalisiert hat. In England muss jeder Premier-League-Club ein Frauenteam melden, die Spielerinnen profitieren von der Infrastruktur der Männer. In der Super League, der höchsten Spielklasse, sind alle Fußballerinnen Profis, verdienen durchschnittlich umgerechnet 35.000 Euro im Jahr. In der Bundesliga muss manche Spielerin neben dem Fußball jobben, weil sie von ihrem Sport nicht leben kann.

Auch spanische Clubs sind den deutschen in manchem voraus, verbinden Professionalität mit geschicktem Marketing. Als Barcelona im Halbfinale der Champions League mit 5:1 gegen Wolfsburg gewann, kamen 91.648 Fans ins Stadion Camp Nou – Weltrekord!

Der Zauber von Wembley

Das alles hätte ich mir nicht träumen lassen, als ich mich vor 56 Jahren in diesen Sport verliebte, 1966 beim Weltmeisterschaftsfinale England gegen Deutschland in Wembley. Ich war sechs und sah das Spiel zusammen mit meinen Eltern am Schwarz-Weiß-Fernseher im Wohnzimmer.

Natürlich wusste ich noch nichts über Fußball, konnte Technik, Körpereinsatz, Taktik nicht würdigen, doch die Dramatik des Spiels hat mich ergriffen. Meine aufgewühlten Eltern mussten nach der Niederlage mal an die Luft, ich an ihrer Hand war tief bewegt: „Wir sind Vize-Weltmeister.“

Seitdem spiele ich. Früher allein im Garten. Auf dem Schulflur. Im Hof. Im Park. Es brauchte nur einen Ball, zwei Taschen und ein paar Jungs, die einen mitmachen ließen.

Kicken im Verein war Mädchen und Frauen damals noch verboten. Der Deutsche Fußball-Bund rechtfertigte seinen Beschluss 1955 mit Thesen des niederländischen Professors Frederik J. J. Buytendijk: „Das Fußballspiel als Spielform ist also wesentlich eine Demonstration der Männlichkeit“, schrieb er 1953. Buytendijk, der Psychologie und Physiologie lehrte, zählte zu den Gründern des Weltverbands für Sportmedizin. „Das Treten ist wohl spezifisch männlich; ob darum das Getretenwerden weiblich ist, lasse ich dahingestellt. Jedenfalls ist das Nichttreten weiblich.“

Keine Sorge um die Beine

Solche ideologischen Sätze, verkauft als Wissenschaft, waren seinerzeit Mainstream. Als sich 1970 andeutete, dass der DFB das Fußballverbot für Frauen aufheben würde, lud ZDF-Moderator Wim Thoelke Fußballerinnen ins „Aktuelle Sportstudio. Thoelke in Anzug und Krawatte mit Einstecktüchlein, die Frauen in Trikots, Stutzen und kurzer Hose.

„Nun sind Frauen immer etwas empfindlich, was ihre Beine betrifft“, sagte Thoelke, und die Kamera fuhr die nackten Beine einer Spielerin hinauf. „Und mit Recht empfindlich, wie wir Männer meinen. Haben Sie keine Sorge, Fräulein Emig?“ Hatte sie nicht. „Trotzdem sagen Tausende von Männern, sie können doch nicht mal stoppen.“ Thoelke verlangte nach einem Ball. „Wollen wir mal stoppen üben.“ Er warf den Frauen der Reihe nach den Ball zu, bekam ihn zurückgespielt. „Sehen Sie, das ist das Schöne an Frauen: Sie gehen auch mit einem Ball zart um – hoffentlich nicht nur mit dem Ball.“ Nachzuschauen ist das auf Youtube.

Als der DFB das Fußballverbot für Frauen 1970 aufhob, konnte von Gleichstellung noch keine Rede sein: Spiele dauerten nur zweimal dreißig Minuten, Stollenschuhe waren verboten, die Winterpause dauerte sechs Monate. Ich war zehn und träumte davon, in der Nationalelf zu spielen. In der Männer-Na­tio­nalelf. Eine andere gab es noch nicht.

Fernsehen ohne Finale

In Bochum-Laer, wo ich groß wurde, gab es auch kein Vereinsteam für Mädchen. Ich kickte weiter mit Jungs und später jungen Männern. Erst mit 21, beim Uni-Fußball in Göttingen, traf ich Frauen, die Fußball liebten wie ich und mich mit in ihren Club nahmen.

Das erste offizielle Länderspiel der Frauen, gegen das Team der Schweiz, war da noch nicht gespielt. Es fand 1982 unter Ausschluss der TV-Öffentlichkeit statt. Erst bei der Europameisterschaft 1989 übertrug die ARD erstmals ein Spiel der Nationalelf im Fernsehen – das Halbfinale Deutschland gegen Italien, die deutschen Spielerinnen gewannen im Elfmeterschießen. Das Finale wurde dann nicht mehr gezeigt.

Bei der diesjährigen Europameisterschaft in England werden ARD und ZDF alle 31 Spiele im Fernsehen oder als Livestream im Internet präsentieren. Endlich Sichtbarkeit für die Fußballerinnen! Auch im Alltag der Bundesliga tut sich was. Seit der vergangenen Spielzeit überträgt der Bezahlsender Magenta TV alle Partien der Saison, und die ARD-Sportschau zeigt eine Zusammenfassung des Top-Spiels.

Allerdings kicken die Teams der obersten Spielklasse oft vor wenigen hundert Fans, in meist kleineren Stadien. Dort lassen sich Spiele nicht so attraktiv präsentieren wie in den Arenen der Männer-Bundesliga, wo mehr als 40 Kameras das Spielgeschehen aus allen möglichen Perspektiven einfangen und dramatisieren. Es war ein großer Schritt, dass Bayern München und Wolfsburg in diesem Jahr drei Heimspiele in der Champions League vor Tausenden von Fans in den großen Stadien spielen konnten.

Sexismus selbst bei Siegen

Trotz struktureller Benachteiligung war das deutsche Frauenteam jahrzehntelang extrem erfolgreich – holte acht Europameistertitel, wurde zweimal Weltmeister. Die Heim-WM 2011 sollte ein Höhepunkt werden. Ich weiß noch, wie ich ihr entgegenfieberte. Nie zuvor berichteten die Medien so ausführlich. Teils verfolgten 19 Millionen Fans die Spiele des deutschen Teams im Fernsehen, doch es schied bereits im Viertelfinale aus, gegen die späteren Weltmeisterinnen aus Japan.

Als zweifelhafter Höhepunkt blieb mir dieses Turnier dennoch in Erinnerung: Nike präsentierte Mittelfeldstar Lira Bajramaj mit dem Spruch: „Wer scharf aussieht, schießt auch schärfer.“ Der Spiegel porträtierte Kim Kulig als „Lockenwunder“, „modisch gekleidet und stets geschminkt“, durch die WM in den Rang von „Germany’s Next Topmodel“ befördert.

Der Playboy, natürlich, trieb die Sache auf die Spitze. Unter der Überschrift „WM-Vorspiel mit scharfen Schüssen“ veröffentlichte er eine Fotostrecke. „Die schönsten Nationalspielerinnen zeigen uns, was das heißt: echtes Ballgefühl.“ Zu sehen waren allerdings keine Spielerinnen des aktuellen WM-Kaders, sondern die zweite Garde. Das Aufmacherfoto zeigte sie an und in einem Teich, mit offenem Haar, geschminkt, in durchsichtigen, weit ausgeschnittenen Hemdchen, die an alte Fußballtrikots erinnerten. Mit Fußball als Leistungssport hatte diese Inszenierung etwa so viel zu tun wie ein Kletterturm im Freizeitpark mit der Kangshung-Wand des Mount Everest. Mir kam es so vor, als sei die Überbetonung von Weiblichkeit und Attraktivität der Spielerinnen die Kehrseite des alten Klischees der lesbischen Mannweiber mit Haaren auf den Beinen.

Der Speed, die Dribblings, der Torinstinkt

Sportlich hätte es für das Nationalteam in den vergangenen Jahren besser laufen können. Bei der Europameisterschaft 2017 und der Weltmeisterschaft 2019 war jeweils im Viertelfinale Schluss – die Qualifikation für Olympia wurde verpasst. Haben die Deutschen den Anschluss verloren? Ich hoffe, nicht. In England setzt Nationalcoach Martina Voss-Tecklenburg auf ein starkes, junges Team. Ich freue mich schon auf den Speed von Jule Brand, die Dribblings von Klara Bühl, den Tor­instinkt von Lea Schüller.

Es ist eine selbstbewusste Generation, die ihren Sport weiter voranbringen will. Die US-Spielerinnen setzten kürzlich durch, dass der Verband ihnen die gleichen Prämien zahlt wie den Männern. Der Fokus der deutschen Spielerinnen liegt vorerst auf dem Alltag in ihren Clubs: „Dass die Mädels da von den Bedingungen her alle ungefähr auf einem Niveau sind“, zitiert dpa die Wolfsburgerin Lena Lattwein: „Das ist mir wichtiger, als die Lücke zu den Männern zu schließen.“

Das Buch

Im Vorfeld der EM erschien im Droe­mer-Verlag Martina Kellers Buch „Ran ans Leder! Bekenntnisse einer Fußballverrückten“. 256 Seiten, 16,99 Euro.

In England trifft das Team auf viele andere, denen der Titel zuzutrauen ist: die Gastgeberinnen, die auf die einzige Profi-Liga Europas bauen können; die traditionell starken Skandinavierinnen; auf den amtierenden Europameister aus den Niederlanden; die Französinnen, die mit Lyon die Champions League gewonnen haben, die spanischen Tikitaka-Fußballerinnen…

Ich wünsche mir die deutschen Spielerinnen im Finale! Und freue mich außerdem schon auf den Saisonstart mit meinem Team Union 03 in Hamburg. Ich kicke da jetzt mit Frauen, die meine Töchter sein könnten. Oder auch meine Enkelinnen. Denn eine Ü60-Spielrunde für Frauen existiert nicht. Vielleicht gibt es die ja, wenn die jetzigen Nationalspielerinnen so alt sind wie ich.

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