Untersuchungsausschuss zum Kapitol-Sturm: Neues aus der Parallelwelt
Der Ausschuss zur Untersuchung des Kapitol-Sturms wird Trump-Anhänger:innen wohl nicht überzeugen. Dem Ex-Präsidenten könnte er dennoch schaden.
D ie Videos und Berichte sind bedrückend: Entfesselte Trump-Gefolgsleute, die sich am 6. Januar 2021 vollkommen sicher sind, mit Fug und Recht das US-Kapitol zu stürmen. Der Vizepräsident Mike Pence an einem geheimen Ort, sich vor den Eindringlingen versteckend. Berater*innen, Menschen aus Trumps Umfeld, die seine Lüge vom Wahlbetrug nicht glaubten, aber deren Bedenken vom damaligen Präsidenten nicht gehört wurden. Der Untersuchungsausschuss zum Sturm auf das Kapitol hat einiges geleistet – doch überzeugt sein werden wohl trotzdem nur die US-Amerikaner*innen, die Überzeugungsarbeit gar nicht mehr nötig hätten.
Ungefähr ein Drittel der US-amerikanischen Wähler*innen glaubten im Januar dieses Jahres nach einer Umfrage an Wahlbetrug bei der Präsidentschaftswahl im November 2020. Es gibt leider keinen Grund zur Annahme, dass viele von ihnen sich von den Erkenntnissen der Anhörungen umstimmen lassen könnten – schließlich müssen sie schon bisher eine erstaunliche Faktenresistenz an den Tag gelegt haben. Wie Trump selbst, der auf seiner eigenen Onlineplattform truth social eine „einseitige, völlig parteiische politische Hexenjagd“ beklagte.
Der Ausschuss, vor dem sehr zum Ärger Trumps auch dessen Tochter und Beraterin Ivanka Trump aussagte, bringt zwar noch neue Details zutage, aber den Grundzügen des Geschehens war eigentlich schon vor eineinhalb Jahren kaum aus dem Weg zu gehen. Schon am besagten 6. Januar konnten Interessierte live in Fernsehübertragungen sehen, dass die Protestierenden gewalttätig waren und interessiert daran, die Demokratie empfindlich zu stören.
Schon damals hatte Trump keine Beweise für seine Märchen. Wer sich zu diesem Zeitpunkt bereits in einer Parallelwelt aufhielt, in der sich dieser wütende, bedrohliche Mob zu einem legitimen Protest verwandelte, wird die erste Anhörung wohl kaum zur Prime Time im Fernsehen angeschaut haben – sondern womöglich eher Donald Trumps einstmaligen Lieblingssender Fox News, den einzigen größeren Nachrichtensender, der die erste Sitzung nicht ausgestrahlt hat.
Das heißt aber nicht, dass die Arbeit des Ausschuss nichtig oder überflüssig ist. Vielleicht öffnen die klaren Worte von Konservativen in den Anhörungen die Türen für mehr öffentliche Kritik an Trump auch aus den Reihen republikanischer Politiker*innen – solcher interner Gegenwind führte in der Vergangenheit sofort zu Nachteilen für die jeweiligen Politiker. Das immerhin wäre ein möglicher Erfolg.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autoritäre Auswüchse beim BSW
Lenin lässt grüßen
Prozess zum Messerangriff in England
Schauriger Triumph für Rechte
BSW in Thüringen auf Koalitionskurs
Wagenknecht lässt ihre Getreuen auf Wolf los
Rückgabe von Kulturgütern
Nofretete will zurück nach Hause
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott
Tarifverhandlungen bei Volkswagen
VW macht weiterhin Gewinn