: Naturnähe im Kleiderschrank
MODE Ökologische Textilien sind ein Nischenmarkt, aber stark im Kommen. Um Ressourcen zu schonen, sind künftig auch Kunstfasern angesagt
Ökologische Lebensmittel haben den Sprung in den Massenmarkt schon vor Jahren geschafft und sind mittlerweile selbst bei Discountern erhältlich. Gleiches lässt sich von der Ökomodebranche derzeit nicht behaupten, obwohl sie kontinuierlich mit guten Steigerungsraten aufwarten kann: Mit Biofasern (Baumwolle und Leinen) wurden im vergangenen Jahr weltweit 605 Millionen US-Dollar Umsatz gemacht. Das erscheint relativ wenig im Vergleich zu den 28,6 Milliarden US-Dollar Umsatz, der mit Lebensmitteln weltweit erzielt wurden. Hinter dem vergleichsweise niedrigen Wert bei Biofasern verbirgt sich aber eine Umsatzsteigerung von 16 Prozent. Das ist ein wirtschaftlicher Erfolg, mit dem kaum ein anderes Ökosegment glänzen kann.
Mittlerweile gibt es in Deutschland über 100 Labels und mehr als 40 Verkaufsstätten, die sich dem Ökochic verschrieben haben. Diesen Conceptstores steht eine Armada von Händlern gegenüber, die das Internet nutzen, um ökologisch korrekte Kleidung an die Frau und den Mann zu bringen. Vergessen werden darf nicht, dass auch der konventionelle Textilhandel immer stärker auf Ökoqualitäten setzt. C & tA wirbt damit, dass die hauseigene Baumwollkollektion zu 13 Prozent aus Biobaumwolle besteht. Laut einer Recherche unter deutschen Ladeninhabern ist das T-Shirt das meistverkaufte Kleidungsstück. Die Blue Jeans ist dagegen das umsatzstärkste „grüne“ Kleidungsstück.
Indien ist weltweit der wichtigste Produzent von Biobaumwolle. Global gesehen wurden im vergangenen Jahr 210.000 Tonnen der giftfreien Pflanze geerntet. Das entspricht einem Prozent des gesamten Baumwollmarkts. Fachleute gehen davon aus, dass die explosionsartigen Steigerungsraten vergangener Jahre bei Biobaumwolle in Zukunft nicht mehr zu erwarten sind. Dafür rücken verstärkt andere Naturmaterialien ins Blickfeld, etwa Pflanzenfasern wie Hanf, Leinen und Nessel oder tierische Fasern wie Schurwolle, Seide und Edelhaare, die es ebenfalls in Ökoqualität gibt. „Zum Kleiderschrank von morgen gehört sicher ein ganzes Konzert an Fasern“, sagt Branchenexpertin Kirsten Brodde.
Zur Vielfalt tragen zunehmend auch Viskosen (Halbsynthetics) wie Tencel oder recycelte Polyesterfasern bei. Werden diese naturnahen oder künstlichen Fasern unter Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien produziert, werden die knappen Ressourcen von Naturmaterialien geschont. Diese Entwicklung ist notwendig, da Naturfasern den jährlichen Gesamtbedarf von mehr als 70 Millionen Tonnen nur zu einem geringen Teil decken können. Ohne Kunstfasern oder künstliche Fasern auf natürlicher Basis geht es kaum, das zeigen die jährlichen Branchenberichte. Die gesamte Branche wird sich Experten zufolge neuester Forschung und Ökobilanzen öffnen müssen, die nicht nur die Faser, sondern die gesamte Veredelung im Blick haben. Immerhin kann ein Kilogramm konventioneller Textilien mehr als sechs Kilogramm Chemikalien enthalten. Das errechneten schwedische Experten.
Für Verbraucher sind vor allem Siegel und Zertifikate hilfreich, um umweltverträgliche Kleidung zu entdecken. Nach Angaben von Greenpeace kommen reine Ökoprüfzeichen zunehmend unter die Räder. Die Tendenz geht hin zu umfassenden nachhaltigen Bewertungen. „Ökologisch, nachhaltig und garantiert in guter Qualität ist FairTrade-Kleidung ein Muss in einem grünen Kleiderschrank“, urteilt ein Sprecher von Greenpeace. Die Vielzahl der Prüfzeichen macht eine bewusste Entscheidung nicht leicht. Das laut Greenpeace „momentan anspruchvollste Label für den Massenmarkt mit ökologischen Kriterien entlang der gesamten textilen Kette“ heißt Global Organic Textile Standard (GOTS). Aus mindestens 90 Prozent Naturfasern muss ein Produkt bestehen, wenn es das GOTS-Label tragen soll. Höchstens 10 Prozent dürfen synthetische Fasern oder Viskose sein. Unabhängig davon müssen insgesamt mindestens 70 Prozent der Fasern von Pflanzen oder Tieren aus kontrolliert biologischer Landwirtschaft stammen. Eine regelmäßige Überprüfung aller Verarbeitungsstufen garantiere, so Greenpeace, eine hohe Glaubwürdigkeit des GOTS-Labels. Auch Anforderungen an menschenwürdige Arbeitsbedingungen würden gestellt.
Experten diskutieren derzeit, inwieweit ökologisch produzierte Textilien Moden und Trends berücksichtigen sollten. „Kritische Kunden wollen modernes Design, aber nicht jedem kurzlebigen Trend hinterherlaufen, der zu allzu flippiger Kleidung führt, die in der nächsten Saison schon nicht mehr getragen wird“, gibt Brodde zu bedenken.TILMAN VON ROHDEN
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