Profiteure der Globalisierung: Ungerechte Verteilung
Globale Verflechtungen führen zu billigeren Waren. Doch die süßesten Früchte ernten die Reichen. Nachteile werden zu wenig berücksichtigt.
D ie Globalisierung ist unter Druck: zwei Jahre Pandemie, Lieferkettenstörungen wie die Suezkanal-Blockade, Russlands Krieg gegen die Ukraine und, mit Blick auf die zunehmende Systemrivalität mit China, die Diskussion, wie viel wirtschaftliche Verflechtung und mit welchen Ländern überhaupt noch gut ist. Bei alldem sollten wir nicht vergessen, dass die Globalisierung den weltweiten Wohlstand erhöht und Millionen Menschen aus der Armut befreit hat.
ist Senior Expert China and Asia-Pacific bei der Bertelsmann Stiftung in Gütersloh, ihr Arbeitsschwerpunkt sind Wirtschaftsthemen mit China- und Asienbezug.
Allerdings sind mittlerweile auch zwei Dinge klar: Erstens, der Wohlstandsgewinn, den die Globalisierung mit sich bringt, kommt nicht allen gleichermaßen zugute; zweitens, ihre ökologischen und sozialen Folgen werden nicht angemessen berücksichtigt. Die Globalisierung, also die ökonomische, soziale und politische Verflechtung verschiedener Länder, bietet viele ökonomische Vorteile: Wenn Länder die Waren und Dienstleistungen herstellen, die sie am besten können, erzielen sie Spezialisierungsgewinne.
ist Senior Advisor bei der Bertelsmann Stiftung in Gütersloh und dort spezialisiert auf makroökonomische Fragestellungen.
Die internationale Mobilität von Arbeitskräften und Kapital lässt Produktionsfaktoren dort zum Einsatz kommen, wo sie am effizientesten sind. Mehr Wettbewerbsdruck fördert Innovationen und Produktivität in den Unternehmen, um sich international behaupten zu können. Produzieren sie für einen größeren Markt, können sie Größenvorteile nutzen und ihre Stückkosten senken. Günstige Vorprodukte aus Niedriglohnländern verringern in entwickelten Volkswirtschaften zusätzlich die Produktionskosten.
Diese Faktoren führen zu einem Mehr an günstigen Waren und Dienstleistungen. Für die Verbraucher:innen bedeutet das: billigere Konsumgüter. Dadurch haben sie mehr frei verfügbares Einkommen, womit sie ebenfalls konsumieren oder das sie sparen können. Dieser Kaufkraftgewinn ist vor allem für einkommensschwache Haushalte bedeutsam.
Ungleich große Kuchenstückchen
Das wird sehr deutlich, wenn umgekehrt günstige Importe ausbleiben wie aktuell aufgrund der Versorgungsengpässe durch den Krieg gegen die Ukraine und weltweite Lieferkettenstörungen, die erhebliche Preissteigerungen zur Folge haben. Diese wiederum treffen die Einkommensschwächeren besonders hart.
Der Wettbewerb mit Niedriglohnländern hat jedoch auch Nachteile: Wenn ein deutsches Unternehmen Vorprodukte aus Asien bezieht, kauft es weniger bei lokalen Zulieferern. Beschäftigung und Lohneinkommen in entwickelten Volkswirtschaften wie Deutschland gehen so zurück. Darunter leiden vor allem Geringqualifizierte. Sie stehen in Konkurrenz zu Arbeitskräften aus Asien, deren Löhne spürbar niedriger sind. Chinas Aufstieg zur „Fabrik der Welt“ ist hierfür stellvertretend.
Für Beschäftigte in exportierenden Unternehmen sind hingegen Lohnzuwächse möglich. Diese „Exporteur-Lohnprämie“ lässt sich so erklären: Der Exporterfolg der Unternehmen basiert nicht auf niedrigen Löhnen, sondern auf einer hohen Produktivität. An dieser beteiligen die Unternehmen ihre Beschäftigten. Bildlich gesprochen bedeutet die Globalisierung also: Der Kuchen wird größer, aber die Kuchenstücke werden nicht für alle Personengruppen größer – auch innerhalb eines Landes gibt es Globalisierungsverlierer.
Dabei handelt es sich oftmals um bereits marginalisierte Gruppen. Ein weiteres gravierendes Problem der Globalisierung besteht darin, dass nicht all ihre Kosten in den Marktpreisen enthalten sind. Das gilt besonders für die Nutzung natürlicher Ressourcen. Der Einsatz fossiler Energien wie Erdöl, Erdgas und Kohle in der internationalen Arbeitsteilung führt über Treibhausgasemissionen zur Erderwärmung und zum Klimawandel.
Die Ökolast wird unfair verlagert
Die Folge sind Schäden an der Gesundheit der Menschen, an Gebäuden und Infrastruktur sowie für die Ökosysteme. Auch diese Folgen sind ungleich verteilt: Beim Aufbau globaler Lieferketten haben multinationale Konzerne nicht nur die arbeits-, sondern auch die umweltintensive Produktion aus den Industrieländern in Entwicklungs- und Schwellenländer verlagert. So konnten sie die zum Teil niedrigeren lokalen Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards ausnutzen.
Damit tragen die Unternehmen zur Umweltbelastung und zu den CO2-Emissionen in diesen Ländern bei, ohne dass sie dafür aufkommen müssen. Das führt zur Übernutzung der natürlichen Lebensgrundlagen. Die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt sinkt. Wenn die Globalisierung die Wohlfahrt der Menschen insgesamt steigern soll, müssen die Globalisierungsgewinne breit gestreut werden. Zudem müssen alle damit verbundenen sozialen und ökologischen Zusatzkosten wirtschaftspolitisch adressiert werden.
Viele Politikbereiche sind aufgefordert, geeignete Maßnahmen zu ergreifen: die sozialen Sicherungssysteme ebenso wie die Struktur- und Regionalpolitik, das Bildungssystem sowie das Steuer- und Transfersystem.
Weil die internationale Arbeitsteilung den materiellen Wohlstand der beteiligten Volkswirtschaften erhöht, können die Globalisierungsgewinner eines Landes die Verlierer – zumindest im Prinzip – kompensieren und dennoch ihre eigene Einkommenssituation verbessern. Ökologische Kosten der Globalisierung müssen in den Marktpreisen abgebildet werden, beispielsweise durch höhere CO2-Preise.
Allerdings reduziert das die Kaufkraft der privaten Haushalte – besonders wieder der einkommensschwachen. Diese geben überdurchschnittlich viel ihres Einkommens für emissionsintensive Energie und Lebensmittel aus. CO2-Preise müssen daher sozialpolitisch flankiert werden. Ansonsten drohen soziale Spannungen und politische Widerstände.
Globalisierung ist nach wie vor ein wichtiger Wohlstandstreiber. Aber sie braucht die richtigen Rahmenbedingungen. Ihre ökonomischen, sozialen und ökologischen Kosten müssen angemessen berücksichtigt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland