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Verfassungsschutzbericht 2021Extremismus nimmt weiter zu

Innenministerin Faeser und Behördenchef Haldenwang haben den neuen Verfassungsschutzbericht vorgestellt. Sie warnen vor Terror und Gewalt von rechts.

Diffuse Gemengelage: Querdenker auf einer Demonstration gegen die Coronapolitik in Hamburg Foto: J. Große/AdoraPress

Berlin taz | Der Verfassungsschutz warnt vor der Ausbreitung der rechtsextremen Siege-Bewegung in Deutschland. Diese spreche besonders junge Menschen an, sagte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts für das vergangene Jahr. Auf Basis einer rassistischen Ideologie fordere sie gezielte terroristische Anschläge auf Minderheiten, politische Repräsentanten sowie die Infrastruktur, so Haldenwang. Das Ziel: einen Bürgerkrieg auslösen und das demokratische System zu Fall bringen.

Vordenker ist der US-amerikanische Neonazi James Mason, der in den 80er Jahren eine Textsammlung mit dem Titel „Siege“ (Belagerung) verfasst hat. Schwerpunkt der Siege-Bewegung sei weiter die USA, doch auch in Deutschland gebe es Gruppierungen wie die „Atomwaffen Divison Deutschland“ (AWDD) und die „Feuerkrieg Division Deutschland“ (FKDD), heißt es im Bericht. Mindestens ein Anhänger der FKDD habe in Deutschland einen Anschlag mutmaßlich auf eine Synagoge oder eine Moschee konkret geplant.

Haldenwang und auch auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) betonten, der Rechtsextremismus sei weiterhin die größte Gefahr für die Demokratie. „Vor allem sehen wir hier weiter eine hohe Gewaltbereitschaft“, sagte Faeser. Das rechtsextreme Personenpotenzial ist laut Verfassungsschutz 2021 im Vergleich zum Vorjahr um rund 1,8 Prozent auf 33.900 Menschen angestiegen. Knapp 40 Prozent der Rechts­ex­tre­mis­t:in­nen hält der Verfassungsschutz für gewaltorientiert.

Der Anstieg des Personenpotenzials liegt nicht an der AfD, die das BfV inzwischen als Verdachtsfall im Bereich des Rechtsextremismus eingestuft hat. Weil die Partei dagegen klagte und das Urteil erst im März diesen Jahres fiel, schlägt sich die Einstufung noch nicht nieder. Die „Junge Alternative“ und der offiziell aufgelöste völkische „Flügel“ werden aber aufgeführt.

Beobachtung von Quer­den­ke­r:in­nen

Während die Versuche von Rechtsextremisten, die Coronapandemie und die Flutkatastrophe im Juli für sich zu nutzen, nach Einschätzung des Verfassungsschutzes letztlich nicht erfolgreich war, sieht das bei den Reichsbürgern anders aus. Ihre Anzahl ist wohl auch deshalb von rund 20.000 auf 21.000 An­hän­ge­r:in­nen angestiegen.

Die Anzahl der Menschen, die der Verfassungsschutz als linksextrem einstuft, ist ebenfalls gewachsen, aber mit knapp 1,2 Prozent weniger stark. Sie umfasst nun 34.700. Knapp 30 Prozent von ihnen wären laut Verfassungsschutz bereit, Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele auszuüben oder dies zumindest zu billigen. Wie Haldenwang verkündete, hat der Verfassungsschutz die Internetplattform „de.indymedia“ als gesichert linksextrem eingestuft. Dort würde für verfassungsfeindliche Aktivitäten mobilisiert und Bekennerschreiber veröffentlicht. Bereits im August 2017 war „liksunten.indymedia“ verboten worden.

Erstmals im Verfassungsschutzbericht taucht das im April 2021 neu eingerichtete Beobachtungsobjekt „Demokratiefeindliche und/oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates“ auf. Dazu gehören laut BfV Gruppen und Einzelpersonen, die bestimmte, teilweise antisemitisch unterlegte Verschwörungstheorien verbreiten und das demokratische Staatswesen in Zweifel ziehen oder ablehnen. Zahlen zur Anhängerschaft gibt es noch nicht. Die Kritik, dass die neue Kategorie ein Anwachsen des Rechtsextremismus verschleiere wiesen sowohl Haldenwang als auch Faeser zurück. Es handele sich um eine sehr heterogene Szene.

Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) dagegen hat dafür plädiert, hat dafür plädiert, Corona-Leugner und sogenannte Querdenker konsequent dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnen. Die Szene sei politisch klar rechts motiviert. Ähnlich äußerte sich die innenpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Martina Renner. Schon bei sogenannten Reichsbürgern und Selbstverwaltern habe das BfV eine Entpolitisierung und Verharmlosung betrieben, jetzt wiederholt man diesen Fehler.

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