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Mach mal Menopause

DAS SCHLAGLOCH von RENÉE ZUCKER

Grundlegend sollte man nachdenken, ob besser immer anders ist und anders zwangsläufig besser

Komm setz dich zu mir, laß die Weisen reden, / das Leben ist verrückt, doch süß der Flieder. / Nur eins bleibt Wahrheit, und der Rest ist Unsinn: / Verwelkte Rosen blühen niemals wieder. Omar Khayyam

Die Symptome sind eindeutig: dieses Taumeln im geistigen Vakuum, das energielose Gejammer über alles und jeden, die Anfälle von Trauer, Angst und Selbstmitleid.

Wütende Hitzewallungen wechseln mit hoffnungsloser Resignation, unterbrochen von aufflackernder irrationaler Euphorie oder Panik … insgesamt instabiler Zustand mit niedriger Toleranzschwelle und hohem Grad von Gereiztheit. Das alles deutet auf einen elementaren Umbruch im System. So elementar, wie wir es nie zuvor erlebt haben.

Dem Land geht es wie allem Irdischen, so auch uns selbst: es welkt. Zu diesem obwohl natürlichen, dennoch beunruhigenden Vorgang empfangen wir Wechseljährigen (klingt das nicht wie eine wunderschöne Pferderasse?) das vernichtende Urteil: Da alle fruchtbarkeitswichtigen Hormone und Organe allmählich Produktion und Funktion eingestellt haben, sind Jugend und Schönheit dahin. Man verschandelt das Straßenbild und trägt auch sonst nichts zur guten Laune von hart arbeitenden oder hartzgeplagten Männern bei. Hier helfen nur noch industriell gefertigte Hormone oder Tarnkappe, wenn nicht gleich der Freitod, um nachfolgenden Generationen nicht auf der Tasche zu liegen.

Ein ganz anderes Versprechen machen frauenfreundliche und esoterische Lehren: Nie waren Sie so wertvoll wie heute. Erst jetzt sind Sie wirklich weiblich. Spirituell und sexuell. Und was kann es Schöneres geben als die Weisheit der alten Frau? Kleiner Einwand: Hierzulande gilt die ja nicht wirklich was. In Industriestaaten ist der Sozialstatus alternder Frauen extrem niedrig. In anderen Kulturen könnten wir wenigstens gesellschaftlich anerkannt Söhne beherrschen und Schwiegertöchter quälen.

Das ist die Bürde der Aufklärung. Nie ist etwas das, was es scheint. Keine Eindeutigkeit nirgends.

Denn auch die alternde Bundesrepublik empfängt zwei Botschaften: „Alles führt in den Niedergang, keine Regierung kann die Katastrophe aufhalten, Deutschland ist am Ende“, lautet die eine, der meine Freundin Hermine anhängt, weshalb sie demnächst auch die Linkspartei ohne Namen (und mit einem katastrophal amateurhaften Internetauftritt!) wählen will. Übrigens nicht etwa in der Hoffnung, dass die irgendeine Idee hätte, wie es besser gemacht werden könnte, sondern nur aus dem trotzigen Wunsch heraus, die etablierten Parteien zu demütigen. Und dass vielleicht mal ordentlich was los ist im Bundestag, wenn gute Oppositionsarbeit geleistet wird. Hermine wird nämlich langsam sauer, sie musste schon ihren Super-Benziner gegen einen Diesel eintauschen. Dass es so weit mit ihr kommen würde …

Die andere Botschaft beruhigt indessen: „Es ist genug Geld da, Deutschland gehört immer noch zu den reichsten Ländern der Erde. Der Reichtum muss nur anders verteilt werden“, höre ich immer wieder. Könnte man auch fast glauben, wenn man außerdem hört, dass deutsche Reiseveranstalter in den letzten Jahren nie so ausgebucht waren wie im Jahr 1 von Hartz IV.

Welche Wahrheit ist wahrer?

Der neue Bewusstseinszustand ist die gefühlte Menopausen-Wahrheit: Hier geht ja gar nichts mehr voran, höchstens den Bach runter. Der Rest bleibt einfach stehen, wo er ist.

Dabei waren wir doch gerade noch so saftig und vorwärts stürmend!

Vorgestern war es, da lagen schon wieder Apfelsinen auf den Nachkriegs-Weihnachtstellern, gehörten Schwarzweißfernseher und Opel Rekord zur Kleinfamilienausstattung und sonntags gab es Fleisch zur Kartoffel.

Erst gestern schüttelten wir noch die schönen, wilden Haare über unseren erwartungsvollen Gesichtern und schwenkten wie die französische Marianne eine Trikolore über unseren revolutionären Genossen – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.

Wir waren albern und antiautoritär, schwammen mit Delfinen, um Gott näher zu sein, und hauten auf Kissen, um unsere Eltern zu überwinden. Sehnsüchtig warteten wir auf den Paradigmenwechsel. Vom magnetischen ins elektrische Zeitalter – oder war es umgekehrt? Alles sollte anders werden. „Anders“ ist zweifelsohne das Wort dieses Jahrhundertbeginns. Allerdings nur in Kombination mit „besser“.

Aus diesem Geist heraus müssen die genialen Worte für den Kanzler geschrieben worden sein: „Ich kann euch nicht versprechen, dass es besser wird, wenn es anders wird, aber damit es besser wird, muss es anders werden.“ Und Angela will einfach alles „grundlegend anders machen, damit es grundlegend besser wird“, das klingt irgendwie nicht so genial.

Grundlegend sollte man noch mal darüber nachdenken, ob besser immer anders ist und anders zwangsläufig besser. Aber da ja niemand in den gleichen Fluss steigen kann, ist anders sowieso nicht zu verhindern.

Jedenfalls sind wir am Scheideweg, wie es auf der CDU-Homepage steht, die von allen Parteien-Homepages am besten gemacht ist. Die Zeit mit Schröder und seinen Grünen (die haben mit der PDS den verschnarchtesten Internetauftritt) könnte man als Prämenopause bezeichnen. Im September sind wir dann endgültig regelfrei.

Dann kommt Angela. Das ist der Paradigmenwechsel.

Und kraftlos stellen wir fest, es ist uns zu viel. Zu viel Wechsel, zu viel Veränderung, zu viel Anforderung. In der Menopause braucht man schließlich alle Energie für sich selbst. Wie macht das Angela bloß? Diesen ganzen Stress aushalten. Erst Wahlkampf, dann Regierung.

Kraftlos stellen wir fest: Es ist uns zu viel. Zu viel Wechsel, zu viel Veränderung, zu viel Anforderung

Wann geht sie in sich und wird zur alten, weisen Frau? Spirituell und sexuell? Wird sie den Medien gerichtlich verbieten zu behaupten, sie färbe sich die Haare und gehe durch die Hormonersatztherapie, um dynamischer auszusehen? Paradigmenwechsel kommt jetzt irgendwie ganz ungünstig.

Aber was glauben Sie, was erst los war, als Platon von Jesus abgelöst wurde.

Auf der einen Seite: Ein jegliches hat seine Zeit. Und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde.

Andererseits: Wir haben doch gerade erst angefangen. Wir haben noch gar nicht gezeigt, was wir alles draufhaben. Und – wie unsere Brüder und Schwestern im Osten gerne zu sagen pflegten: „Es war doch nicht alles schlecht gewesen …“

Trotz mehr Reife, mehr Spiritualität und mehr Sinnlichkeit nagt eine Kränkung noch hartnäckig an uns: Wir sind durchschnittlicher geworden, als wir es uns seinerzeit vorgestellt haben. Weniger leuchtend, weniger weltbewegend, weniger eindrucksvoll.

Aber auch an diesem Zustand muss nicht alles schlecht sein. Wenn wir die innere und äußere Verwirrung erst einmal akzeptiert haben, lebt es sich ungenierter. Ganz entspannt und frei nach dem derzeit rumgereichten Bittgebet „… und gib mir die Toleranz hinzunehmen, was ich sowieso nicht ändern kann …“

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