piwik no script img

Autofrei-Volksbegehren soll vor GerichtJarasch sagt Nein

Die grüne Verkehrssenatorin lehnt nach dem Klima-Vorstoß noch ein Volksbegehren ab: „Wir brauchen autofreie Kieze, aber keine autofreie Innenstadt“.

Fährt zwar Fahrrad, will aber keine autofreie Innenstadt: Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) Foto: dpa

Berlin taz | Die grüne Verkehrs- und Umweltsenatorin Bettina Jarasch hat zum zweiten Mal binnen nur zwei Wochen die Ablehnung eines Volksbegehren begründen müssen, dessen Inhalte zumindest oberflächlich betrachtet tiefgrün sind: Nach „Berlin 2030 klimaneutral“ nun die Forderung nach einer autofreien Innenstadt. In der Pressekonferenz nach der Senatssitzung am Dienstag stand für Jarasch das Begehren im Widerspruch zu einer stadtweiten Mobilitätswende. Die Landesregierung hatte sich zuvor auch der Einschätzung der Innenverwaltung angeschlossen, dass das Autofrei-Volksbegehren nicht verfassungsgemäß ist. Vor 14 Tagen hatte der rot-grün-rote Senat das Klima-Volksbegehren zwar nicht verfassungsrechtlich beanstandet, es aber inhaltlich als „nicht zielführend“ bezeichnet.

Die Verwaltung von Innensenatorin Iris Spranger (SPD) hatte das Vorhaben schon vor einer Woche mit Verweis auf Grundgesetzartikel 2 als nicht zulässig eingeordnet. Über diese Einschätzung wird nun laut Jarasch das Verfassungsgericht urteilen. Solange ruht das Volksbegehren, zu dem sich dem Verfahren nach binnen vier Monaten das Abgeordnetenhaus positionieren muss.

Was aus ihrer Sicht gegen die Verfassung verstößt, beschreibt Sprangers Innenverwaltung so: „Die angestrebten Regelungen, den privaten Autoverkehr im gesamten Innenstadtbereich grundsätzlich gesetzlich zu verbieten und nur noch in Ausnahmefällen zuzulassen, sind im Ergebnis unverhältnismäßig und mit der allgemeinen Handlungsfreiheit unvereinbar.“

Auf die Frage am Dienstag in der Pressekonferenz, wie sie sich dabei fühle, als Senatorin nun gleich zwei Mal Grünen-nahe Vorhaben abzulehnen oder ablehnen zu müssen, antwortete Jarasch: „Sehr gut. Ich weiß mich getragen von der Fraktion und der Partei.“ Bei der Begründung der Ablehnung hob sie – wie schon vor zwei Wochen beim Klima-Volksbegehren – ausdrücklich hervor, dass der Senat die grundsätzlichen Ziele teile. Damals nannte sie dazu Klimaschutz, nun die Reduzierung der Autos.

Senat kompakt

Das 9-Euro-Ticket, das bundesweit im Nahverkehr gilt, soll ab dem 23. Mai in Berlin zu kaufen sein. Das hat am Dienstag Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) angekündigt. Überlegungen zu einem 0-Euro-Ticket sind demnach zumindest vorerst vom Tisch. Jarasch ist nicht komplett von dem Angebot überzeugt: „Es ist nicht nachhaltig.“ Man brauche Fahrgäste, die dauerhaft bleiben würden. Ihre Einschätzung: „Es ist alles ein großes Experiment.“

Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) geht trotz skeptischer Stimmen aus manchen Bundesländern davon aus, dass das Ticket am Freitag im Bundesrat beschlossen wird – der Bundestag stimmt bereits Donnerstag darüber ab: „Es kann niemand ein Interesse daran haben, dass das scheitert.“ (sta)

Entscheidend ist für Jarasch die räumliche Beschränkung der Autofrei-Forderung: Die Mobilitätswende außerhalb des S-Bahn-Rings werde darin nicht betrachtet. Berlin sei eine dezentrale Stadt, sagte Jarasch – „wir brauchen autofreie Kieze und grüne Oasen überall, aber keine autofreie Innenstadt.“ Ende 2019 hatten die Grünen bei einem Landesparteitag beschlossen, dass ab 2030 keine Privat-Pkws mit Verbrennungsmotor mehr in der Innenstadt unterwegs sein sollen. Ein Antrag der Grünen Jugend, dass gar keine Autos mehr fahren sollten, hatte keine Mehrheit gefunden.

Teilt das Verfassungsgericht die rechtlichen Bedenken des Senats nicht, könnten die Initia­toren die zweite Sammelstufe starten. In der sind nicht wie in der ersten binnen sechs Monaten 20.000 gültige Unterschriften nötig, sondern binnen vier Monaten rund 170.000. Kommen die zusammen, gibt es einen Volksentscheid wie zuletzt im September 2021.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • "wir brauchen autofreie Kieze und grüne Oasen überall,"



    wenn genug Autofahrer wegziehen und man dadurch auch eine Wohnung finden könnte, würde das ja ausreichen.

    Bislang gibt es im Grün-mitregierten Berlin nicht viele, auch nicht wenige, sondern gar keine autofreien Kieze.

  • 6G
    655170 (Profil gelöscht)

    Auch in Berlin, aber nicht nur dort, gilt:



    Wer Grün wählt - bekommt FDP-Politik light.



    Inzwischen halb-light.



    In Württemberg Viertel-Light.



    In Hessen dto.

    • @655170 (Profil gelöscht):

      Jetzt ist es schon FDP, wenn man ein kleines bisschen gesunden Menschenverstand walten lässt?

      Immerhin lässt Jarasch doch für horrende Summen zig Parklets bauen. Das dürfte für Sie doch ein Trostpreis sein, handelt es sich doch ebenfalls um ein völlig realitätsfernes Projekt, das nichts bewirken wird, als weitere Müllecken zu produzieren.

    • @655170 (Profil gelöscht):

      Viele wählen die Grünen wegen ihrer Realitätsnähe, wenn sie am Regieren sind.

      Regierungsfähigkeit halt.

      Wer nur Utopien wählen will, bleibt bei der Linken.

      Ob nun Realitätsnähe und Regierungsfähigkeit die FDP aus macht, weiß ich nicht.

      Wenn ich daran denke, wie Linder sich nach der vorletzten Wahl gegen das Regieren entschieden hat, würde ich die FDP eher in Nähe der Linken ansiedeln.

      Motto: Bloß nicht zuviel Realität.

  • Dreck und Autos bei den Armen und saubere Luft und Grünes (Oasen) bei den Wohlhabenderen, oder wie? ;-) Was soll an autofreier Stadt, eben auf die Stadt anstatt auf Stadtteilchen bezogen, in Hinsicht von Ökologie, Lebensqualität, weniger Verkehrstote ... nicht zielführend sein? Ökologisches Erfordernis ist die Reduzierung der Autozahl. Das geht am einfachsten und schnellsten in Städten. Es müssen Treibhausgasemissionen JETZT reduziert werden, nicht erst in 10 Jahren. Was soll dieses Aufgeschiebe? Die Natur und das Klima warten nicht darauf, bis jegliche Technokrat*innen sich es doch anders überlegen. Unverhältnismäßig ist das Verfehlen von Klimazielen und Verschwenden von Ressourcen und Energie durch (Neuproduktion von) Autos! Ob die Hoffnung überhaupt noch realistisch ist, dass dies womöglich eine taktische Maßnahme ist, um Stück für Stück das Auto zurückzudrängen? Offenbar scheint nach Gründen gesucht zu werden, dass es doch nicht umsetzbar sei, weil es Autoindustrie und Autofans nicht genehm ist. Womöglich müssten einige Wohlhabende dann zum "Pöbel" in die Öffis ... Wenn es verfassungsmäßige Bedenken gibt, dann sollen sie einen verfassungskonformen Vorschlag einbringen. Recht auf körperliche Unversehrtheit haben auch die jungen Generationen, Fahradfahrer*innen, Fußgänger*innen und Anwohner*innen an vielbefahrenen Straßen.