Ukrainische Organisationen in Berlin: Unter russischem Dach
Ukrainischen Organisationen fehlen Räume. Ein staatlich geförderter Verein, der UkrainerInnen berät, sitzt gar im Russischen Haus.
Mit neun anderen Vereinen wie beispielsweise der Ukraine-Hilfe Berlin e. V., der ukrainisch-orthodoxen Kirchengemeinde und einem ukrainischen Radioverein haben sie sich zur Allianz ukrainischer Organisationen in Berlin zusammengeschlossen. „Wir haben keine eigenen Räume, in denen wir uns treffen und arbeiten können, und keine institutionelle Unterstützung“, sagt Bienert. Der Sozialverwaltung ist das Problem bekannt, sagt Sprecher Stefan Strauss. „Wir haben jedoch selbst keine Räume, die wir den Vereinen überlassen können.“
Ende 2020 lebten 24.000 Menschen mit ukrainischen Wurzeln in Berlin, davon 13.000 mit ukrainischem Pass und 11.000 eingebürgerte ehemalige UkrainerInnen. Seit Februar haben darüber hinaus 44.000 ukrainische Kriegsflüchtlinge eine Aufenthaltserlaubnis in Berlin beantragt. Tendenz steigend. Mit 68.000 Menschen ist die ukrainische Community damit aktuell nach den Menschen mit türkischen (182.000) und polnischen Wurzeln (113.000) und noch vor russischstämmigen Menschen (61.000) die drittgrößte Zuwanderergruppe in Berlin.
Vor Kriegsbeginn standen UkrainerInnen jedoch nie im Fokus der Wahrnehmung und der Integrationspolitik. Im Gegenteil: Sie wurden unter die russischsprachigen Menschen subsumiert. Dementsprechend sehen auch die Strukturen aus, die der Senat mit aufbaute.
Der Verein russischsprachiger BerlinerInnen Club Dialog bekommt beispielsweise staatliche Mittel, um UkrainerInnen zu helfen, ihre in der Ukraine erworbenen beruflichen Abschlüsse hier anerkennen zu lassen. Ukrainische Vereine hatten sich allerdings auch nie um diese Aufgabe beworben.
Russisches Goethe-Institut mit Propaganda
Der Club Dialog hat seinen Sitz im Russischen Haus der Wissenschaft und Kultur in der Friedrichstraße, einem Haus des russischen Staates, vergleichbar etwa mit dem Goethe-Institut. Für viele UkrainerInnen war das bereits vor Kriegsbeginn ein Problem. Das erzählt beispielsweise Anastasia F., eine Physiotherapeutin, die seit 2012 in Berlin lebt. „Um meinen Abschluss anerkennen zu lassen, musste ich in das Russische Haus gehen“, sagt sie.
Das Haus, in dem der Verein sitzt und bis 2013 auch seine Anerkennungsberatung durchführte, führt auch russische Propagandaveranstaltungen durch. Indem Berlin den Verein fördert, finanziert das Land durch die Mietzahlung des Vereins an das Russische Haus Putins Staat. Stefan Strauss, Sprecher von Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke), sagt dazu: „Club Dialog e. V. hat in einer Vorstandssitzung entschieden, das Russische Haus zu verlassen. Dies wurde uns vor drei Wochen mitgeteilt.“
Die Geschäftsführerin des Vereins, Natalia Roesler, kennt die Ressentiments nicht nur von ukrainischen Ratsuchenden, sondern auch von PolInnen und russischen DissidentInnen. „Darum führen wir unsere Anerkennungsberatung seit Jahren in anderen Räumen im Wedding durch“, sagt sie. „Wir wollen unbedingt aus dem Russischen Haus ausziehen, aber wir haben noch keine neuen Räume gefunden.“
Dort sitze der Verein seit der Zeit der Perestroika. Er hatte sich damals als Diskussionsclub der Sowjetbürger in der DDR gegründet. „Unser Verhältnis zum Russischen Haus hatte im Laufe der Jahre Höhen und Tiefen“, sagt Roesler.
Dialog ist es auch, der an den Bahnhöfen mit Kinderschutzteams für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge tätig ist. Und Dialog hat die Räume und das Personal, um für Flüchtlinge aus der Ukraine Informationsveranstaltungen durchzuführen, beispielsweise zur Krankenversicherung in Deutschland. Ukrainischen Vereinen fehlen die Räume und Strukturen.
Fehlende Räume
Mit Kriegsbeginn hat die Allianz Ukrainischer Organisationen die Möglichkeit bekommen, im polnischen Pilecki-Institut am Pariser Platz Hilfsgüter für die Ukraine zu sammeln. Außerdem habe das Unternehmen Zalando auf Vermittlung der Senatskanzlei temporär bis 12. Mai einen großen Raum am Ostbahnhof für Beratungen und Treffen zur Verfügung gestellt, sagt Bienert. „Wir sind diesen Institutionen sehr dankbar. Aber das ist keine Dauerlösung. In den Raum bei Zalando dürfen versicherungstechnisch zudem nur 50 Personen hinein und Kindern ist der Zutritt verwehrt.“ Die meisten Flüchtlingsfrauen, die Beratung brauchen, hätten aber Kinder.
2014 hat sich auch in Berlin die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche von der Russisch-Orthodoxen Kirche losgesagt. Doch während die russische Kirche mehrere Kirchgebäude in Berlin unterhält, hatte die ukrainische nur ein Gastrecht in der evangelischen Dorfkirche in Hermsdorf, um dort Gottesdienste zu feiern. „Die ist viel zu klein geworden“, sagt Andrij Ilin von der Kirchengemeinde.
„Jetzt haben wir die Möglichkeit, in einer evangelischen Kirche in Schöneberg eine Sammelstelle für Hilfsgüter für die Ukraine einzurichten. Es zeichnet sich ab, dass wir dort auch Gottesdienste feiern können.“ Die Kirche umfasst laut Ilin 400 Plätze. Doch auch das sei zu klein. „Zu Ostern waren wir 2.000. Wir brauchen eigentlich eine eigene große Kirche in Berlin.“
Die Physiotherapeutin Anastasia F. spricht ein anderes Problem an: Ihre Tochter gehe in eine deutsch-russische Kita und habe die Möglichkeit, später eine deutsch-russische Schule zu besuchen. Ukrainische Kitas und Schulen gibt es in Berlin aber nicht. „Das ist eine Fehlentwicklung. Meine Tochter kann zwar Russisch lernen, nicht aber Ukrainisch.“ Die Beziehungen zwischen russischen und ukrainischen Eltern sei zudem sehr gespannt. Die Allianz Ukrainischer Organisationen fordert eine deutsch-ukrainische Europaschule für Berlin.
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