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1. Mai in BerlinGut gedacht ist nicht gut gemacht

Tobias Bachmann
Kommentar von Tobias Bachmann

Instrumentalisiert der Bezirk Neukölln die Interessen von Muslimen und Migranten, um eine Demo zu behindern? Ein Wochenkommentar.

Auf einer Black Lives Matter Demo 2016: 6 Jahre sind vergangen, das Rassismusproblem bleibt Foto: Wolfram Steinberg / dpa

G ut gedacht ist nicht immer gut gemacht – wer kennt die alte Floskel nicht?! Bei Christian Berg, Sprecher des Neuköllner Bezirksbürgermeisters Martin Hikel (SPD), klingt es etwas anders: „Wenn man nichts macht, ist es falsch, und wenn man etwas macht, ist es auch falsch.“

Berg bezieht sich auf Bestrebungen des Bezirks, etwas für die geflüchteten Menschen muslimischen Glaubens zu machen, die bereits seit vielen Jahren in Deutschland leben. Diese fühlten sich laut Berg übersehen, besonders angesichts all der Solidarität, die den aus der Ukraine flüchtenden Menschen – zumindest jenen mit ukrainischem Pass – derzeit widerfährt.

Der SPD-regierte Bezirk hatte am 20. April verkündet, neben drei Festen auch zu einem großen öffentlichen Fastenbrechen am Abend des 1. Mai an der Ecke Sonnenallee / Pannierstraße einzuladen. Eingeladen werden sollten vor allem Menschen muslimischen Glaubens aus Neuköllner Sammelunterkünften. So weit, so nachvollziehbar. Doch am 1. Mai findet bekanntlich noch mehr statt.

Schnell wurde klar: Die Feste liegen an zentralen Punkten der so genannten Revolutionären 1.-Mai-Demonstration. Diese muss nach aktuellem Stand deshalb ihre Demo-Route verändern. Demo-Veranstalter*innen und lokale Po­li­ti­ke­r*in­nen waren gleichermaßen wütend über die Vorhaben des Bezirks, von Symbolpolitik war die Rede. Eine Klage beim Verwaltungsgericht ist noch nicht vom Tisch.

Die juristische Frage muss an anderer Stelle geklärt werden. Und die Frage, wie demokratisch oder undemokratisch es ist, Straßenfeste staatlich zu organisieren und so zu legen, dass etablierte politische Demonstrationen an politisch bedeutenden Tagen wie dem 1. Mai weichen müssen, beantwortet sich von selbst.

Eine antirassistische Lektion

Aber da wäre noch die antirassistische Lektion, die man aus der Woche lernen kann. Beginnen wir bei der Aussage von Christian Berg: Ganz korrekt ist die nämlich nicht. Man kann sehr wohl etwas richtig machen, wenn man nichts macht. Am 1. Mai keine Straßenfeste auf potenzielle Wegpunkte bedeutsamer Demonstrationen legen, ist so ein „richtiges nichts machen“.

Und es gibt auch ein „richtiges machen“: Wenn man als Bezirk mit marginalisierten Gruppen über ihre Bedürfnisse spricht und sie nach Mitteln dabei unterstützt, diese zu befriedigen. Das ist im Fall der Neukönner Maifeste offenbar beides nicht der Fall. Wie Bezirkssprecher Berg bestätigt, wurden die geflüchteten Menschen erst kurzfristig eingeladen. Woher wussten Bezirksbürgermeister Hikel und sein Team, was die Menschen in den Sammelunterkünften gerade brauchen und dass es ein großes öffentliches Fastenbrechen auf der Sonnenallee ist? Warum wurden sie nicht in die Planungen einbezogen?

Wenn ein weißer, privilegierter Bürgermeister mit seinem privilegierten Team beschließt, ein Fastenbrechen für strukturell benachteiligte Communities zu veranstalten, ohne sie zu fragen, ob sie darauf Lust haben oder das wirklich brauchen, dann ist das ganz klar ein „falsch machen“. Und wenn es bei diesen Menschen um migrantische Communities geht, dann ist dieses „falsch machen“ nicht einfach so problematisch, weil es bevormundend und paternalisitisch ist, sondern eben besonders aus antirassistischer Perspektive problematisch.

Achja, wären die Feste übrigens doch aus der Überlegung heraus entstanden, die 18-Uhr-Demo zu verhindern, hätte das Bezirksamt tatsächlich einen muslimischen Feiertag und eine Vielzahl von Menschen für die eigenen politische Zwecke instrumentalisiert. Das ganze Team um Bezirksbürgermeister Hikel müsste sich in diesem Fall ernsthaft Gedanken um seine interkulturelle Kompetenz machen. Besonders in einem migrantisch geprägten Bezirk wie Neukölln. Und damit auch über seine Regierungskompetenz.

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Tobias Bachmann
Jahrgang 1989. Schreibt seit 2022 für die taz über soziale Bewegungen und gesellschaftlichen Wandel, Protest, Migration und Flucht. Studiert einen Mix aus Ökologie, Ressourcenökonomie, Politikwissenschaften und kritischer Theorie in Berlin.
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3 Kommentare

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  • Wenn in einer Zeitung für weiße, priviligierte Leser ein Satz steht wie "Wenn ein weißer, privilegierter Bürgermeister mit seinem privilegierten Team beschließt...", dann versucht vermutlich wieder ein beleidigter Aktivist davon abzulenken, dass er Feste für muslimische Menschen im Kiez nur dann mag, wenn seine traditionelle 1-Mai-Prozession nicht dadurch gestört wird.

    • @Achim Kniefel:

      Ja, und der linke Berliner Marschierer ist zudem halt stock-konservativ! Er kann sich einfach nicht vorstellen – und hält es auch für unzumutbar – dass man am 1. Mai mal durch eine andere Straße marschieren muss als seit Jahren gewöhnt...

      • @Stefan Hartmann:

        Der Punkt scheint mir doch der zu sein, dass die Planung dieses öffentlichen Fastenbrechens, was ja an sich eine gute Idee ist, allein auf dem Mist des Bürgermeisters gewachsen zu sein scheint und diejenigen, die es angeht, erst kurzfristig eingeladen wurden.

        Das ist zumindest paternalistisch.

        Dazu kommt, dass es nicht besonders schlau ist, diese Demo, die ja immer eine kurze Lunte hat, durch enge Seitenstraßen zu schicken, sodass die Demo womöglich engeren Kontakt zu der begleitenden Polizei, die ja auch immer eine kurze Lunte hat, bekommt als beiden guttut.

        Wenn der Bürgermeister das alles nicht bedenkt, macht er einen eher schlechten Job.