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: Neukölln: Opfer rechter Gewalt bekommen endlich einen Untersuchungsausschuss

Über 150 Donnerstage lang stand die Initiative Basta aus dem südlichen Berliner Ortsteil Neukölln-Britz bisher vor dem Landeskriminalamt, um für Aufklärung in einer rechtsextremen Anschlagsserie zu demonstrieren. Viele von ihnen sind selbst Opfer der Anschläge, die dem harten Kern der Neuköllner Neonaziszene zugerechnet werden. Ihre Autos wurden angezündet, Scheiben eingeschlagen, Bedrohungen und Angst sind für die Betroffenen alltäglich.

Zur Zielscheibe für Neonazis wurden sie, weil sie sich gegen Rechtsextremismus engagiert haben. Aufgeklärt ist die Anschlagsserie bis heute ebenso wenig wie der Mord im Jahr 2012 an dem auf offener Straße erschossenen Burak Bektaş. Bezüglich einer jüngeren Anschlagsserie seit 2016 kam heraus, dass die Behörden sogar wussten, dass der ehemalige NPD-Kader Sebastian T. sowie das damalige AfD-Bezirksvorstandsmitglied Tilo P. den Linken-Politiker Ferat Koçak ausspähten. Sie warnten Koçak trotzdem nicht, kurz darauf brannte sein Auto. Wenig später entschlossen sich die Betroffenen zu demonstrieren.

Und so steht seit dem 2. Mai 2019 jeden Donnerstag ab 8 Uhr ein Grüppchen Neuköllner Bür­ge­r*in­nen mit Schildern vor dem LKA. Darauf steht: „Morde, Brände … Wir wollen Aufklärung!“ „Wer schützt hier wen? Wo bleibt der Schutz der Opfer rechter Gewalt?“ „Guten Morgen LKA, aufwachen, rechtes Auge öffnen.“

Ob die Behörden tatsächlich bewusst blind waren auf dem rechten Auge, soll nun ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss klären, der an diesem Donnerstag endlich eingesetzt wurde und schon lange eine Kernforderung des Betroffenen Koçak war. Der sitzt mittlerweile selbst im Berliner Abgeordnetenhaus und begleitet den Ausschuss als stellvertretendes Mitglied.

Den Fragenkatalog haben die Par­la­men­ta­rie­r*in­nen in Abstimmung mit Opfern und zivilgesellschaftlichen Aufklärungsinitiativen erarbeitet. Untersucht werden sollen nicht nur Einzelfälle, sondern langfristige Entwicklungen und überregionale Verbindungen der rechten Szene Neuköllns, die seit den 2010er Jahren, damals noch als „Nationaler Widerstand“, die Gegend terrorisiert und Feindeslisten anlegt.

Und nicht zuletzt soll es auch um Behördenverstrickungen gehen: Ein zuständiger Oberstaatsanwalt wurde wegen Verdachts auf AfD-Nähe versetzt. Ein Polizist und AfD-Mitglied stand im Kontakt mit einem der Hauptverdächtigen. Ein langjähriger Ansprechpartner bei der Polizei für Betroffene hat 2017 selbst mutmaßlich aus rassistischen Motiven einen Afghanen brutalst zusammengeschlagen.

Und so steht seit Mai 2019 wöchentlich ein Grüppchen Neuköllner Bür­ge­r*in­nen mit Schildern vor dem LKA

Das Vertrauen der Opfer in Aufklärung ist nach mehreren gescheiterten Sonderermittlungsgruppen und -kommissionen nachvollziehbarerweise nicht sonderlich groß. Dabei hilft es nicht unbedingt, dass die Demonstrierenden vor dem LKA von einem rechten Polizisten bedrängt und bepöbelt wurden inklusive rassistischer Tiraden.

Karin Wüst von der Initiative Basta sagt, dass sie vor diesem Hintergrund auch nicht allzu viel von dem Ausschuss erwarte: „Ich hoffe auch, dass wir irgendwann aufhören können zu demonstrieren. Aber ich glaube, wir stehen hier noch ein paar Jahre.“ Gareth Joswig