Frankreich vor der Stichwahl: Boxkampf mit gebotenem Abstand
Das TV-Duell zwischen Präsident Emmanuel Macron und seiner rechten Widersacherin Marine Le Pen am Mittwoch könnte über die Stichwahl entscheiden.
Zudem wurde rasch deutlich, dass sie in wichtigen Fragen wie der EU-Politik schlecht vorbereitet war. Für sie wurde der Versuch, vor den Fernsehzuschauer*Innen das Ruder noch herumzureißen, zu einem Desaster. Wenige Tage danach unterlag sie Macron in der Stichwahl mit 34 zu 66 Prozent der Stimmen.
Le Pen hat Lehren daraus gezogen, bestimmt unterschätzt sie den Präsidenten dieses Mal nicht. Aus ihrem Mitarbeiterstab verlautet, sie habe sich „seit zwei Jahren“ auf die Gelegenheit zur Revanche vorbereitet. Macron muss davon ausgehen, dass er nicht so ein leichtes Spiel wie 2017 haben wird. Seiner Gegnerin werden reelle Aussichten auf die Wahl zum nächsten Staatsoberhaupt der Französischen Republik eingeräumt.
Macron muss am Mittwochabend mit heftigen Angriffen auf die Bilanz seiner Präsidentschaft rechnen, in der er sich etliche Blößen gegeben hat. Er weiß auch, dass er mit Äußerungen, die ihm als Arroganz angekreidet wurden, bei einem Teil der Bevölkerung unpopulär, gar verhasst ist. Le Pen wird nicht zögern, diese Ressentiments gegen ihn auszuspielen, um ihn zu provozieren.
Bis ins letzte Detail
Die beiden Fernsehsender TF1 und France-2 bereiten die Debatte wie einen Box- oder Ringkampf vor. Die Regeln müssen bis ins letzte Detail geklärt und von beiden Seiten akzeptiert werden. Die beiden Kontrahent*innen sollen auf einer Distanz von exakt 2,5 Metern Platz nehmen.
Schon der Streitpunkt, welche zwei Journalist*innen die Fragen stellen und wenn nötig als Schiedsrichter*innen einschreiten werden, musste in mehrtägigen Verhandlungen gelöst werden. Namentlich das Team von Marine Le Pen lehnte eine Journalistin von France-2 als voreingenommen ab und nannte andere Wunschkandidat*innen, die wiederum der Gegenseite nicht passten.
Für beide geht es darum, ganz bestimmte Wählergruppen anzusprechen und zu überzeugen, die derzeit noch zögern. Marine Le Pen möchte alle, die einen Grund zu Unzufriedenheit haben und darum einen personellen und politischen Wechsel wollen, für sich gewinnen.
Das war bereits das Ziel ihrer Imagekampagne als Kandidatin: Sie möchte das Etikett einer Extremistin loswerden und als bürgernahe Politikerin mit viel Verständnis für die Anliegen der kleinen Leute vor allem in ländlichen Gebieten betrachtet werden. Dabei besteht allerdings das Risiko, dass sie sich zwischen der reaktionären und rassistischen Ideologie ihrer traditionellen Basis und ihren sozialpolitischen Versprechen für Benachteiligte in Widersprüche verstrickt. Macron dagegen muss aufpassen, dass er mit seiner Sachkenntnis nicht als Technokrat empfunden wird.
Linkswähler*innen gewinnen
Er muss seine Gegnerin als prorussische „Putin-Vertraute“ und als Gefahr für die parlamentarische Demokratie entlarven, dabei aber jegliche Übertreibung vermeiden. Bisher funktionierte die „republikanische Front“ der Linken und bürgerlichen Rechten und Zentristen gegen die extreme Rechte bei allen Wahlen fast automatisch.
Das ist heute nicht mehr garantiert. Für sich gewinnen müsste Emmanuel Macron vor allem noch die Linkswähler*innen von Jean-Luc-Mélenchon. Dieser könnte mit seinen 21,5 Prozent im ersten Durchgang zum Zünglein an der Waage werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung
BSW in Thüringen
Position zu Krieg und Frieden schärfen