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Richter mit rechtsextremer VergangenheitEine Robe macht keine weiße Weste

Am Celler Oberlandesgericht arbeitet ein Familienrichter, der in Göttingens rechter Szene aktiv war. Bisher sei er nicht aufgefallen, so das Gericht.

Wer diese Roben trägt, sollte objektiv urteilen. Wie geht das mit Nazi-Vergangenheit? Foto: Stockhoff/Imago

Hamburg taz | Die politische Herkunft des Familienrichters war am Oberlandesgericht (OLG) Celle nicht bekannt. Erst durch eine Anfrage wegen einer Studie erfuhrt das Gericht von seinen früheren rechtsextremen Aktivitäten. „Wir überprüfen die Darstellung und werten die Studie aus“, sagt Gerichtssprecher Andreas Keppler der taz. Diese Auswertung müsse erst abgeschlossen sein, um Entscheidungen treffen zu können.

Im Oberlandesgericht sei der Richter nicht mit einschlägigen Äußerungen aufgefallen. Seit dem Eintritt in den Staatsdienst wolle der Richter nicht mehr politisch aktiv gewesen sein. Keppler deutet aber an, dass seine Urteile nun genauer angeschaut würden.

Vom ‚Wächter am Tor‘ zum 'einsamen Wolf‘“ heißt die Studie, in der die „Forschungs- und Dokumentationsstelle zur Analyse politischer und religiöser Extremismen in Niedersachsen“ die Vita des rechtsextremen Multifunktionärs Hans-Michael Fiedler erforscht. Immer wieder stießen die Wis­sen­schaft­le­r:in­nen auf jenen Mann, der nun seit 20 Jahren Richter ist.

Der Rechtsextremismusexperte Volkmar Wölk hatte schon 2014 über ein Göttinger Netzwerk um Fiedler berichtet, dem der spätere Richter angehörte. Im Magazin Der Rechte Rand fügte er hinzu: „heute wohl bestallter Richter“. Wo, wurde nun bekannt.

15 Jahre in der Szene

Schon als Schüler und Student war er in rechtsextremen Organisationen aktiv. Er wirkte in keiner Partei mit, sondern bemühte sich, im vorpolitischen Raum rechtsextreme Ressentiments zu etablieren. 15 Jahre lang ist er nachweislich in Netzwerken und Gruppen aktiv gewesen, die in Stellungnahmen der Bundesregierung oder des Verfassungsschutzes erwähnt wurden.

Die Strategie der Ausrichtung auf den vorpolitischen Raum hatte Fiedler trotz seiner NPD-Mitgliedschaft verfolgt. Er war Initiator der „Göttinger Runde“, zuerst eine Veranstaltung des „Studentischen Arbeitskreises Pommern“. Ihr Ziel war, durch Theorietreffen den Nachwuchs zu schulen. Beide Aktiven kommen enger zusammen als der heutige Richter am Max-Planck-Gymnasium mit 16 Jahren den „Unabhängigen-Schüler-Bund“ (USB) gründet. Den habe Fiedler sofort unterstützt, so die Stu­di­en­au­to­r:inn­nen um Katharina Trittel. Seit 2019 werten sie einen Teil des Nachlasses von Fiedler aus.

Fiedler und der heutige Richter waren über weitere Organisationen verbunden. Zusammen gehörten sie dem Vorstand der „Hochschulgruppe Pommern“ und auch dem „Studentenbund Schlesien“ (SBS) an. Die Au­to­r:in­nen der Studie zitieren eine persönliche Beschreibung des damaligen Gymnasiasten aus Fiedlers Feder: „Er ist großartig; schon so sicher im Auftreten“ schwärmt er – und rühmt sich selbst „all der Leistung (…) mit der ich ihm dem Weg bahnte und das Nest einrichtete“.

Schon mit 16 schreibt Fiedlers Zögling für die Zeitschrift Nation Europa. Über Jahrzehnte war das von dem ehemaligen SS-Sturmbannführer und „Chef der Bandenbekämpfung“ im Führerhauptquartier, Arthur Ehrhardt, gegründete Magazin das Theorie-Organ der Szene. In Nation Europa, so Trittel, habe der Gymnasiast gefordert, „die rechte Grundstimmung unter den Schülern weiter anzufachen“.

Die politische Linke und jeglichen Liberalismus markierte er als Feind. Als Ziel peilte er die Zusammenführung der ehemaligen deutschen Ostgebiete zu einem neuen „Großdeutschen Reich“ an. „Das ist eine typische geschichtsrevisionistische Position“, so Trittel. Der junge Autor sei ein „prototypischer Kader im Sinne der ‚nationalen Jugendbildungsarbeit‘, die Fiedler zeitlebens betrieben hat“.

Enge Verbindungen zur NPD

Der USB verstand sich auch selbst als „revisionistisch“, „reichsnationalistisch“ und „anti-marxistisch“. Mit der Schü­le­r:in­nen­zei­tung Komet, Auflage 4.500 Exemplare, versuchte der USB in Göttingen Jugendliche anzusprechen. Fiedler und sein Protegé hätten versucht, „junge Menschen im nationalkonservativen Sinn zu mobilisieren, weil sie eine geistige Tendenzwende im rechten Sinne erreichen wollten“, sagt Trittel.

Die Gruppen, in denen sie führend aktiv waren, hätten enge Verbindungen zur NPD und deren Jugendorganisation sowie zur Freiheitlich-Deutschen Arbeiterpartei (FAP) gehabt.

Über den SBS stand der heutige Richter mit späteren Rechtsterroristen und NPD-Führungskadern in Verbindung. Einer von ihnen ist der ehemalige NPD-Bundesvorsitzende Holger Apfel, ein weiter Rüdiger Polaceck. Der FAP-Landesvorsitzende hatte in der Silvesternacht 1990/91 Rechtsextremen in seinem Schulungszentrum in Mackenrode Unterschlupf gewährt, die im nahen Göttingen den Jugendlichen Alexander Selchow umgebracht hatten.

Auch als Rechtsbeistand bei einer Vernehmung eines Kameraden nach einer Schlägerei taucht der heutige Familienrichter in Fiedlers Nachlass auf. 1988 erscheint er zuletzt. Fiedler nennt ihn seinen „Hausjuristen“.

Im Licht der neuen Erkenntnisse fordert der ehemalige Innenminister und heutige CDU-Landtagsabgeordnete Uwe Schünemann eine Regelabfrage beim Verfassungsschutz vor der Einstellung von Richter:innen. Die rechtspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Marie Kollenrott, kontert: „Die CDU sieht nun eine willkommene Gelegenheit, um ihren Radikalenerlass light wieder aus der Schublade zu kramen. Diesen lehnen wir ab.“

Ein solcher Erlass sei „auch nicht das, was Betroffene von rechter Gewalt unseres Wissens nach zuvorderst einfordern“. Sie besorgt dennoch, dass „ein ehemaliger Nazi-Kader – ohne Offenlegung und eindeutige Distanzierung von seiner Vergangenheit – seit vielen Jahren als Richter in der niedersächsischen Justiz tätig ist“. Das könne „das Vertrauen in den Rechtsstaat erschüttern“.

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