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Kundgebungen zum 1. MaiGut gebrüllt, halb gewonnen

Auf den DGB-Demos zum 1. Mai geht es um Krieg, Frieden und soziale Gerechtigkeit. Selbst Kanzler Olaf Scholz wurde ungewöhnlich laut.

Heraus zum 1. Mai in Cottbus: Bundesweit folgten über 200.000 Menschen dem Ruf des DGB Foto: dpa

Berlin/Hamburg taz | Gut möglich, dass Olaf Scholz nun heiser ist. So stimmgewaltig wie auf der 1.-Mai-Demonstration am Sonntag in Düsseldorf hat man den Kanzler selten erlebt. Scholz rief, ja brüllte von der Bühne des Deutschen Gewerkschaftsbunds an gegen eine Geräuschkulisse aus „Kriegstreiber“-Rufen, „Frieden schaffen ohne Waffen“-Forderungen und Pfiffen.

Scholz, auch körpersprachlich ungewohnt kämpferisch, verteidigte die deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine. „Es muss jedem ukrainischen Bürger zynisch vorkommen, wenn man ihm sagt, er solle sich gegen die Putin'sche Aggression ohne Waffen verteidigen. Das ist aus der Zeit gefallen“, donnerte der Bundeskanzler, während seine rechte Faust im Takt der Worte auf- und niederfuhr.

Vergangene Woche hatte die Ampel-Koalition gemeinsam mit der Union im Bundestag beschlossen, die Ukraine weiter mit Waffen, darunter auch Panzern, zu beliefern. Das Thema Krieg und Frieden, welches derzeit die Innenpolitik bestimmt, war auch auf den bundesweiten Demonstrationen des Deutschen Gewerkschaftsbundes zum 1. Mai zentral. Diese fanden in diesem Jahr wieder in Präsenz statt, nachdem der DGB im vergangenen Jahr auf Onlineveranstaltungen gesetzt hatte. Nach Infos des DGB nahmen bundesweit über 200.000 Menschen daran teil.

Vor einem Jahr hätte der DGB die Ru­fe­r:in­nen etwa bei Scholz in Düsseldorf wohl einfach stumm schalten können, so aber verschafften sie sich lautstark Gehör. Dem Twitter-Account infozentrale von Jour­na­lis­t*in­nen aus NRW zufolge handelte es sich um 20 bis 30 Personen aus der Querdenken-Szene.

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Kritik an steigenden Rüstungsausgaben

In Berlin, wo der DGB seine zentrale Kundgebung vor dem Brandenburger Tor angemeldet hatte, übte der scheidende Vorsitzende Reiner Hoffmann Kritik am 2-Prozent-Ziel der Bundesregierung. Die Bundesregierung stehe in der Verantwortung, einen substanziellen Beitrag zur Verteidigungsfähigkeit im Rahmen von EU und Nato zu leisten, rief Hoffmann, auch hier begleitet von Buhrufen.

Aber das sei eben nicht nur eine Frage der Verteidigungsausgaben. „Wir nehmen es nicht hin, dass der Rüstungshaushalt dauerhaft auf das 2-Prozent-Ziel aufgestockt werden soll.“ Dieses Geld werde für die sozialökologische Transformation und für den Sozialstaat benötigt, so Hoffmann. „Militärische Sicherheit darf niemals aufkosten sozialer Unsicherheit erkauft werden.“

Genau diese Bedenken versuchte Scholz in Düsseldorf zu zerstreuen. Trotz steigender Ausgaben für Sicherheit und Verteidigung: Man werde keines der Vorhaben beenden, die man geplant habe, so Scholz und nannte etwa den Mindestlohn und die Kindergrundsicherung. Auf dem taz lab am Sonnabend in Berlin hatte auch der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil versichert, dass die Grundsicherung wie geplant kommen werde.

Um Kürzungen in anderen Ressorts zu vermeiden, plant die Ampel-Regierung die Mehrausgaben für die Bundeswehr aus einem 100-Milliarden-Euro-Sondertopf zu bestreiten, den sie im Grundgesetz verankern will. Derzeit fehlen ihr aber die nötigen Stimmen aus der Union. Die möchte, dass der Verteidgungsetat generell erhöht wird, zusätzlich zum 100-Milliarden-Topf.

Viele Zwischenrufe und ein Ei

Verteilungskämpfe zeichnen sich auch in anderen Bereichen ab. Forderungen der Arbeitgeber an die Gewerkschaften, sich in den anstehenden Tarifrunden zurückzuhalten, erteilte Hoffmann eine Absage.

Immerhin brachten Hoffmann und Scholz ihre Reden zu Ende, anders als die Berliner SPD-Bürgermeisterin Franziska Giffey. Diese brach nach nur wenigen Sätzen ab, nachdem ihr immer wieder Zwischenrufe und ein Ei entgegengeschleudert worden waren.

Auch in Berlin war es eine laute Minderheit, die sich Gehör verschaffte. Allerdings nicht aus dem Querdenker:innenmilieu, sondern aus dem Spektrum der linken Jugendorganisationen und der Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“, die sich für eine Vergesellschaftung von Wohnungen großer Privatunternehmen einsetzt und mit einem Volksentscheid erfolgreich war. Giffey lehnt es ab, diesen umzusetzen. Beteuerte auf der Bühne aber, sie setze sich mit dem Senat für bezahlbares Wohnen ein. Vergeblich: Sie wurde mit „Wohnungsmafia, Wohnungsmafia“ niedergerufen.

Auch im ebenfalls SPD-regierten Hamburg prangerten die Teil­neh­me­r:in­nen der „Wer hat, der gibt“-Demo die Wohnungspolitik des Hamburger Senats an. Ihr Ziel: Ein Volksentscheid zur Enteignung privater, profitorientierter Wohnungsunternehmen mit mehr als 500 Wohneinheiten in Hamburg.

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3 Kommentare

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  • „Militärische Sicherheit darf niemals aufkosten sozialer Unsicherheit erkauft werden.“



    Falsche Argumentation. Wir sind in einem neuen Zeitalter, da kann man nicht mehr die Argumente vom vorherigen Zeitalter verwenden. Im Prinzip unterwerfen sich hier die Gewerkschaften indirekt der neoliberalen Politik des schlanken Staates. Man sollte stattdessen jetzt für einen Wechsel weg von der Sparpolitk mit möglichst schlanken Staat hin zu einer Investionspolitik mit höherer Staatsquote eintreten.



    Einen Investitionsstau gibt es ja an vielen Stellen, nicht nur beim Militär: Digitalisierung, Schulen, Wohnungsbau usw. Wie soll man das mit Sparpolitk bewältigen?

  • Die Verteilungskämpfe eskalieren. Die Berliner Jugendlichen und Jusos wollen eben auch am Maybachufer und in Neukölln in den schicken Altbauwohnungen leben, leider sind die halt schon von denen bewohnt, die in den 80er und 90er Jahren nach Berlin kamen.

    • @Pepi:

      Ich verstehe sowieso nicht warum sich so viele Jugendorganisationen für die Enteignungen stark machen. Diese Forderungen helfen doch ausschließlich alteingesessenen Bestandsmietern und sind explizit nachteilig für junge Menschen die eine Familie gründen oder sonst eine neue Wohnung suchen. Es ist aber schon interessant zu sehen wie sich die Schwaben die in den 90ern die echte Berliner Bevölkerung verdrängt haben jetzt ihre eigenen Milieuschutzgebiete schaffen.