: Nazi-Opfer sollen Ruhe geben
Deutschland klagt gegen Italien, um keine weitere Entschädigungen für NS-Verbrechen zahlen zu müssen
Aus Rom Michael Braun
Deutschland zieht gegen Italien vor den Internationalen Gerichtshof (IGH), um Entschädigungsansprüche italienischer NS-Verfolgter abzuwehren. Am Freitag reichte die Bundesregierung in Den Haag die Klage ein, die den italienischen Staat verpflichten soll, in Zukunft entsprechende Urteile italienischer Gerichte zugunsten von Nazi-Opfern zu verhindern.
Es geht um Fälle wie den von Furio Simoncioni, der als 18-Jähriger im Juni 1944 ins KZ Mauthausen deportiert wurde, um Fälle wie den von Duilio Bergamini, im September 1943 gleich nach seiner Entlassung aus einem Krankenhaus in Verona auf der Straße verhaftet und verschleppt in ein Außenlager von Buchenwald. Beide mussten Zwangsarbeit leisten und kamen erst am Kriegsende frei. Das Gericht von Florenz sprach Simoncioni 30.000 Euro Entschädigung zu, zu zahlen vom deutschen Staat, während Bergamini 50.000 Euro erhalten soll, zu verzinsen seit 1945.
Insgesamt sind etwa 25 solcher Verfahren gegen Deutschland in Italien anhängig. Brisant werden sie, weil bei Nichtzahlung auch die Beschlagnahmung deutscher Immobilien in Rom droht. Doch Deutschland macht geltend, dass der IGH schon im Jahr 2012 individuelle Klagen wegen NS-Verbrechen für unzulässig erklärt hat. Dem IGH zufolge greift in solchen Fällen das Prinzip der „Staatenimmunität“: Danach dürfen Staaten nicht von einzelnen ausländischen Bürgern vor Gerichten in ihren Heimatstaaten auf Entschädigungen verklagt werden. Und Deutschland verweist auf das sogenannte Globalabkommen mit Italien von 1961, in dessen Folge für Opferentschädigungen eine Pauschalzahlung von 40 Millionen D-Mark erfolgte.
Italiens Verfassungsgericht jedoch teilt diese Rechtsauffassung nicht. Mit einem Urteil von 2014 setzte es den IGH-Spruch faktisch außer Kraft: In den Augen der Verfassungsrichter in Rom greift die Staatenimmunität nicht, sobald sich Wiedergutmachungsforderungen auf Verbrechen gründen, die schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen darstellen.
Damit war der Weg für in Italien vorgebrachte individuelle Entschädigungsklagen gegen Deutschland erneut geöffnet. Und er wurde in den letzten Jahren immer wieder eingeschlagen, mit Urteilen, die Entschädigungen zwischen 30.000 und 100.000 Euro festlegten. Auch das Kassationsgericht in Rom – vergleichbar dem Bundesgerichtshof – machte sich diese Rechtsauslegung zu eigen, die damit in Italien vorherrschend wurde.
Da Deutschland bisher jedoch Zahlungen verweigert, droht im nächsten Schritt die Zwangsversteigerung deutscher Immobilien wie die des Goethe-Instituts, des Deutschen Archäologischen Instituts, des Deutschen Historischen Instituts oder der Deutschen Schule in Rom. Um eine mögliche italienische Gerichtsentscheidung schon am 25. Mai in dieser Richtung zu verhindern, hat Deutschland jetzt die erneute Klage beim IGH eingereicht, vorneweg um vorläufigen Rechtsschutz gegen Italien zu beantragen, weitergehend aber, um individuelle Wiedergutmachungsansprüche aus Italien endgültig zurückzuweisen.
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