Neuer Film von Andreas Dresen: Nur wegen des Bartes?
Andreas Dresen geht in seinem Film „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ den Fall Murat Kurnaz auf kämpferisch-komödiantische Weise an.
Andreas Dresen gehört zu den deutschen Regisseuren, von denen man Realismus erwartet. Authentisches „Nah am Leben“-Sein ist, auch wenn das genau besehen einen Widerspruch darstellt, so etwas wie seine Marke geworden. Integraler Bestandteil des Dresen’schen Realismus ist dabei ein bestimmter Ton, der allen seinen Filmen eignet, egal wer für das Drehbuch verantwortlich zeichnet.
Man muss sich nur die Schauspieler in Erinnerung rufen – von Michael Gwisdek in „Nachtgestalten“ über Milan Peschel in „Halt auf freier Strecke“ bis zu Alexander Scheer in „Gundermann“ – und man hat den Klang im Ohr: ein trockenes, eher am Norddeutschen ausgerichtetes Idiom, das Dinge sachlich auf den Punkt bringt, sich aber durchaus den gelegentlichen derben Witz erlaubt. „Ich hab mich durch Lesen auf der Toilette gebildet. Ich konnte gar nicht so viel scheißen, wie ich hätte lesen sollen“, sagt etwa Henry Hübchen als abgehalfterter Schauspieler in „Whisky mit Wodka“.
In „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ ist es natürlich die Comedienne Meltem Kaptan, die in der Rolle von Rabiye Kurnaz den Ton angibt. „Mach auf, oder ich schneid deinen Bart ab!“, ruft sie, während sie ungeduldig an der Tür zum Zimmer ihres Sohnes Murat klopft. Und als er nicht aufmacht, versucht sie es mit dem salomonischen Mutterultimatum: „Jetzt komm, Essen ist fertig!“ Erst dann, als sich immer noch nichts regt, sieht man eine leichte Sorge in ihr aufsteigen.
Für den Anlass fast noch zu wenig, denn Murat, die kundige Zuschauerin weiß das, ist da leider schon auf dem Weg nach Pakistan. Wir schreiben Oktober 2001, die Attentate vom 11. September liegen nur wenige Wochen zurück. Der erst 19-jährige Murat Kurnaz wird bald ganz buchstäblich zur falschen Zeit am falschen Ort sein – und wohl vor allem auch den falschen Bart tragen. Im November verhaftet ihn in Pakistan die Polizei, man gibt ihn ans Militär und dann an die US-Amerikaner weiter, die ihn nach Guantánamo verschleppen. Fünf lange Jahre wird die Mutter dafür kämpfen müssen, ihren Sohn endlich wieder an ihren Tisch zu holen.
„Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“. Regie: Andreas Dresen. Mit Meltem Kaptan, Alexander Scheer u. a. Deutschland/Frankreich 2022, 118 Min.
Im Film erzählt Dresen, wie sich eines Tages vor dem Bremer Reihenhaus der Kurnaz-Familie die Pressemeute versammelt und Auskünfte über den „Bremer Taliban“ fordert. Rabiye gerät außer sich, ihr Murat sei ein guter Junge! Sie weiß nicht, wie man auf so etwas kommen kann, nur wegen des Bartes? Als man ihr endlich mitteilt, dass ihr Sohn in Guantánamo sei, fragt sie entgeistert: „Was ist das?“ Und es stellt sich heraus, dass der Ton dieser deutsch-türkischen Hausfrau, die einem sympathisch ist, obwohl sie so abgestandene Klischees wie „Muttertier“, „nicht auf den Mund gefallen“ und „einfach, aber herzlich“ bedient, nicht nur ein Milieu illustriert. Im Ton inbegriffen nämlich ist der Wechsel der Perspektive.
Aus dem Unwissen heraus lassen sich manchmal die Dinge besser infrage stellen als vom Standpunkt der Bescheidwisser. So bringt die Antwort nach dem „Wo“ von Guantánamo nicht viel weiter, man muss in der Tat herausfinden, „was“ Guantánamo ist: institutionalisiertes Unrecht, eine Lücke im sonst auf sein juristisches System so stolzen Amerika, so perfide angelegt, dass einer der Grundpfeiler jedes Rechtsstaats, das Einklagen der Unschuldsvermutung, zur riesigen Hürde wird.
Wie das amerikanische Kino mit dem Thema umgeht, konnte man zuletzt in Filmen wie Kevin Macdonalds „Der Mauretanier. (K)eine Frage der Gerechtigkeit“ besichtigen, in dem ein von Tahar Rahim gespielter, ganz ähnlich wie Murat Kurnaz unschuldig und zufällig nach Guantánamo Verschleppter durch die geballte Frauenpower von Shailene Woodley und Jodie Foster herausgehauen wird – ebenfalls erst nach Jahren, denn auch das war die Verfilmung eines wahren Falls.
Um Kurnaz selbst hat sich das deutsche Kino das erste Mal im Omnibusfilm „Deutschland 09. 13 kurze Filme zur Lage der Nation“ gekümmert. In seinem Kurzfilmbeitrag „Der Name Murat Kurnaz“ stellte Fatih Akin mit Denis Moschitto in der Hauptrolle ein Interview nach, das unter anderem das Versagen der deutschen Regierung in den Blick nahm. Stefan Schaller wiederum verfilmte 2013 mit „5 Jahre Leben“ die gleichnamige Autobiografie von Kurnaz.
Ganz bewusst führt nun Andreas Dresen den Fall aus dem Modus des Tragischen heraus und wechselt mit dem Fokus auf die Mutter ins Kämpferisch-Komödiantische. Das Ergebnis ist eine Art deutsch-türkische „Erin Brockovich“, in dem die Vorwürfe an die deutsche Regierung zwar untermauert, aber nie weiter konkretisiert werden. Denn leider bleibt das Konkrete über den ganzen Film hinweg erneut auf den Ton beschränkt.
Mit der flott fahrenden und flott bremsenden Rabiye, die in Rechtsanwalt Bernhard Docke (Alexander Scheer) die perfekte, weil stocknüchterne Begleitung im Kampf um den Sohn findet, vergehen auch die langen Tage und Jahre wie im Nu.
Unterhaltsam unterbrochen werden diese nur von Episoden wie den Ausflügen in die USA oder in die Türkei, mal von herben Niederlagen, mal von kurzen Triumphen gesäumt, aber immer von Rabiyes Charakterausrufen „Was – ich?“ oder „Echt jetzt!“ begleitet. Aber wie das manchmal so ist mit Menschen, die mit ihrer Herzlichkeit und Putzigkeit ein bisschen nerven – unter die Haut gehen sie einem trotzdem.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen