Die Wochenvorschau für Berlin: Die Vollfettstufe der Künstlichkeit
Wer an David Bowie Geschmack findet, ist vielleicht schon reif für die wirklich große Oper. Diese Woche gibt es genug Gelegenheit, das zu überprüfen.
Vielen Berliner*innen wird es vielleicht ähnlich gehen. Opernkarten gekauft, erster Lockdown, Gutschrift an die Korkwand gehängt. Neue Opernkarten gekauft, zweiter Lockdown, mehr Gutschriften an der Korkwand. Inzwischen erinnern sich die Kinder kaum mehr an die opernreichen Winter vor Corona.
Wie soll man nun, da die Welt in dieser Hinsicht wieder normaler zu werden scheint, wieder anfangen, ohne sich von ihnen vorwerfen lassen zu müssen, man zwinge sie zu einer kotzlangweiligen und schon vor tausend Jahren überholten und überhaupt ganz und gar verstaubten bürgerlichen Kultur?
Nun, eine Möglichkeit böte sich schon diese Woche. Am Mittwoch nämlich eröffnet im PalaisPopulaire im historischen Prinzessinnenpalais (Unter den Linden 5) in Kooperation mit dem römischen Nationalmuseum der Künste des XXI. Jahrhunderts die Ausstellung „Opera Opera“. Die Ausstellungsmacher*innen finden völlig zu Recht, dass es wenige Kunstformen gibt, die derart viel Raum für Interdisziplinarität, für körperlichen Ausdruck, Maskierung, Inszenierung und Künstlichkeit gibt.
Man könnte dem abgeneigten Kind zum Beispiel sagen: „Du brichst noch immer in Tränen aus, wenn du an den Tod von David Bowie denkst? Du kaufst dir bei C&A einen Pullover mit Queen-Aufdruck und fühlst dich darin wie der coolste Mensch auf Erden? Du meinst, das wäre bereits die Vollfettstufe der gepflegten Künstlichkeit? Dann schau dir gefälligst mal eine Oper von Rossini oder Verdi an!“
Apropos Verdi: Am Samstag gibt es die Berlin-Premiere von Barrie Koskys „Falstaff“-Interpretation von Giuseppe Verdi an der Komischen Oper. Zur Erinnerung: Der italienische Sohn eines Gastwirts und Kleinbauern Verdi war ein echter musikalischer Revolutionär; bei kaum einem anderen Komponisten geht es menschlicher, saftiger, ja ganz einfach dramatischer zu. Man hat schon erwachsene Menschen fast einpinkeln sehen, wenn es im dritten Akt seiner Oper „Rigoletto“ in die schäbige Spelunke des hartgesottenen Mörders Sparafucile geht und noch die unvorbereitetsten Zuschauer*innen ahnen, dass es hier demnächst ans Sterben geht.
Wenn es bei Erscheinen dieses Textes möglicherweise keine erschwinglichen Karten zu diesem Fest für Opernfans mehr gibt, macht das nichts. Man muss ja nicht gleich zur Premiere.
Außerdem gibt es in dieser Stadt drei große Opernhäuser. In der Staatsoper gibt es so vielleicht noch Karten für Verdis „La Traviata“ am Freitag und in der Deutschen Oper für Mozarts „Zauberflöte“ am Donnerstag und am Samstag. Irgendwo wird sich schon ein Abend finden lassen, um die Erkenntnisse zu vertiefen, wie viel Spaß ein Opernbesuch noch bringen kann.
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