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Nehammers Putin-BesuchIrritierendes Storytelling

Österreichischs Kanzler hat Putin besucht. Den Trip soll ihm sein Berater, Ex-Springer-Mann Kai Diekmann, eingeflüstert haben. Schlau war das nicht.

Dieses Bild soll den österreichischen Kanzler Nehammer in Moskau zeigen Foto: Bundeskanzleramt/Dragan Tatic/Handout via REUTERS

K arl Nehammer, der Name wird Ihnen nichts sagen, ist österreichischer Bundeskanzler. Nach dem Abgang der Skandalnudel Sebastian Kurz verbraucht das Land ja einen Regierungschef nach dem anderen. Vorher war Nehammer ÖVP-Generalsekretär, dann Innenminister.

Mit internationaler Politik hat er noch nie zu tun gehabt. Jetzt hatte Nehammer eine Idee: Nachdem er Wolodimir Selenski in Kiew besuchte, fuhr er überraschend zu Wladimir Putin nach Moskau. Das Gespräch scheint eher schroff gewesen zu sein. Freilich: Ob die Idee zu Nehammers „Hoppla, jetzt komm ich“-Diplomatie tatsächlich von ihm selbst stammte, ist nicht sicher.

Schließlich hat er seit Neuestem den abgewrackten Kai Diekmann, ehemals Gesamtherausgeber der Bild-Gruppe, im Schlepptau. Man munkelt, der habe ihm diesen Trip eingeredet. Diekmann war in Kiew mit, Diekmann war in Moskau mit, dessen Agentur ­Storymachine ist neuerdings im Solde der ÖVP, die, vollends zerrüttet, in etwa so dasteht wie ein Wohnblock in Mariupol nach fünf Wochen Beschuss. Da hofft man darauf, mithilfe einer Märchen­maschine vermitteln zu können, die ­Ruine sei ein prächtiges Schloss.

Nehammer, etwas naiv und neu im Geschäft, hat leider ein paar Grundweisheiten der Politik-PR noch nicht drauf. Etwa: Mache nie den Berater zur Story. Nehammer und seine Leute sind mächtig stolz, einen berühmten Deutschen im Team zu haben („deutsch“ ist in Österreich ein Synonym für „kompetent“).

Diekmann wiederum ist offenbar energetisiert von der neuen Wichtigkeit und davon, dass er mittendrin ist im Wogen der Welthistorie. Aber seien wir froh, dass Nehammer nicht den geschassten Ex-Bild-Chefredakteur Julian Reichelt engagiert hat – wer weiß, zu wem ihn der geschickt hätte.

Nun ist gegen so einen Trip nicht unbedingt etwas einzuwenden. Vorbereitet sollte er natürlich sein. Keineswegs schaden würde, dass man ein paar Minuten durchdenkt, was man eigentlich damit bezwecken möchte. Ich bin durchaus dafür, auch mit dem Teufel oder dessen Großmutter zu reden, wenn sich damit Menschenleben retten lassen. Dazu braucht man Geschick und perfekte Vorbereitung, zumal bei einem Mann wie Putin, der einmal auf die Frage nach seiner exakten Profession im KGB sagte: „Ich bin ein Experte für zwischenmenschliche Beziehungen.“

Dass man mit einer „Storymachine“ den Menschen alles einreden kann, dieser Auffassung ist man ja auch in Moskau. Putins Truppe hat das perfektioniert. Über Jahre hat man große Expertise im Verwirren und Täuschen erlangt und so eine Art postmoderne Diktatur etabliert. Sie versprühen einen Nebel, trommeln für eine Staatsideologie, versehen sie aber regelmäßig mit einer Form von Augenzwinkern.

Eine Schlüsselrolle nahm darin jahrelang Wladislaw Surkow ein, ein verkrachter Künstler und Theatermann, aber auch ein genialer Kreativer, der als „Erfinder der russischen PR“ und als „graue Eminenz“ des Kreml bezeichnet wurde. Surkow hört Punkmusik und Gangsta-Rap, schreibt Songtexte, verehrt Allen Ginsberg und modellierte das Image von Putin. Über lange Jahre war er Vizechef der Kremlverwaltung und ist ganz begeistert von der Idee, man könne mit Spinnennetzen aus Narrativen die Öffentlichkeit völlig manipulieren.

Die Diktatur ist real

„Verwirren ist die Methode, Täuschung ist Wahrheit“, schreibt er. Er etabliert eine Wirklichkeit, in der sich niemand mehr auskennt, treibt das Land „aus der Dekadenz weiter in Richtung Wahnsinn“, so Peter Pomerantsev, einer der besten Kenner dieses Systems der Meinungsmanipulation. Oppositionelle werden vergiftet und erschossen, der Anführer als „guter Diktator“ inszeniert, zugleich herrschen die Illusion von Freiheit und die Fiktion von Wahlen.

Die Diktatur ist real, tut aber so, als wäre sie eine Soap-Opera. Über die Staatsmedien laufen nur mehr Fake News, bis einfach die totale Lüge herrscht, was zur Folge hat, dass jeder zynisch wird. Nichts ist ernst, am Ende aber tödlich.Wir ahnten es schon: Das Untergraben der Idee von Wirklichkeit ist der Weg in die Apokalypse.

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Robert Misik
Geboren 1966, lebt und arbeitet in Wien. Journalist, Sachbuchautor, Ausstellungskurator, Theatermacher, Universaldilettant. taz-Kolumnist am Wochenende ("Der rote Faden"), als loser Autor der taz schon irgendwie ein Urgestein. Schreibt seit 1992 immer wieder für das Blatt. Buchveröffentlichungen wie "Genial dagegen", "Marx für Eilige" usw. Jüngste Veröffentlichungen: "Liebe in Zeiten des Kapitalismus" (2018) und zuletzt "Herrschaft der Niedertracht" (2019). Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik 2009, Preis der John Maynard Keynes Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik 2019.
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11 Kommentare

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  • Irgendwie ist mir nicht ganz klar, was hier die Kernaussage sein soll. Dass die Politik viel Wert auf den äußeren Schein von sauberen und menschenfreundlichen Prinzipien legt, während hinter den Kulissen Zustände wie in Sodom und Gomorrha herrschen, ist uns Österreichern spätestens seit Ibiza bewusst. der als Wunderwuzzi gefeierte Kurz, war im Endeffekt auch nur eine Fassade, hinter der sich äußerst fragwürdige Methodik und ein noch fragwürdiger Narzissmus verbarg.

    Also, wen wundert es also, dass man sich Beratuns sucht, um das Image zu reparieren? Bleibt am Ende ja nur die Hoffnung, dass es nicht gelingen wird und es zu einer kompletten und längst überfälligen Erneuerung der ÖVP kommt.

    Eine Anmerkung noch dazu: das Synonym für "Deutsch" ist "korrekt". Kompetent sind wir auch alleine.

  • +++Den Trip soll ihm sein Berater, Ex-Springer-Mann Kai Diekmann, eingeflüstert haben.+++

    Er sollte seinen Berater feuern, Putin hält die EU schon für keinen Gesprächspartner auf Augenhöhe, die einzige Militärische Macht, bei der Putin vielleicht noch hinhört, wären die USA.

    Insofern ist ein kleines Land und auch die EU überhaupt kein Gesprächspartner für Putin, als Bundeskanzler würde ich gar nicht erst bei Putin anrufen, denn das beeindruckt ihn auf keinster weise.

    Putin macht was er will, auch wenn das den Tod von Tausenden oder gar Millionen von Zivilisten bedeutet, Biden nennt Putin nicht um sonst einen Schlächter.

  • "ÖVP, die, vollends zerrüttet, in etwa so dasteht wie ein Wohnblock in Mariupol nach fünf Wochen Beschuss."



    Das ist richtig geschmacklos. Bei dem Vergleich hat sich der Autor nichts gedacht ! ihr spinnt ja...

  • Nicht mit Putin zu reden führt nicht zu einer Verhandlungslösung.

    Falls durch Verhandlungen Milliardenschäden und Tausende von Toten vermieden werden können,



    dann soll man das auch versuchen.

    Österreich ist es 1955 gelungen, durch Verhandlungen die sowjetische Besatzung loszuwerden. Deutschland ist heute noch amerikanisch besetzt.

    Insofern darf man Österreichern im Verhältnis zur UdSSR-Nachfolgeorganisation durchaus einiges an Verhandlungsgeschick zutrauen. Der militärisch neutrale Status von Österreich macht dieses Land durchaus zu einem geeigneten Verhandlungspartner.

    Putin ein "Experte für zwischenmenschliche Beziehungen" ? Das hätte Mielke nicht besser formulieren können, mit dem er ab 1985 in Dresden zusammengearbeitet hat.

    Die zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen Russen und Ukrainer allerdings werden derzeit sehr eigenwillig ausgeübt.

  • 2G
    22607 (Profil gelöscht)

    Ich habe wenig Probleme mit kritischem, aufklärerischem Journalismus. Gleichzeitig möchte ich vorschlagen, dass der investigative Journalismus sich nicht an Personen abarbeitet, die etwas tun, und mehr an den Politikern, die nichts tun. Hinweis: die Reisespesen fallen geringer aus, man muss in dem Fall auch nicht mal das eigene Land verlassen.

    tl,dr: Deutschland ist noch vor der Schweiz das letzte Land, welches derzeit den Mund aufmachen sollte.

  • Surkow liebt Ginsberg?

    Das ist wohl Teil seiner Verwirrungsstrategie...-

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    „Ein jeder sonnt sich heute so gern. Sie feiern die Auferstehung des Herrn.“ Wie endete doch dieser berühmte Osterspaziergang?



    Ein schwarzer Pudel sucht sich seinen Herrn, doch der erkennt zu spät den Kern. Menschen sind eitel und „Kai Diekmann“ nie fern.



    „Frohe Ostern!“ allerseits.

    • @95820 (Profil gelöscht):

      Daumen hoch für das reimbegabte Mondschaf.

  • Eine perfide Selbstinzenierung...oder Selbsterhöhung...billige Großmannssucht oder wie Nietzsche meinte...reicht wohl die geistige nicht an die biologische Bedeutung heran...

  • Hat Herr Misik am Ende den Faden verloren, oder habe ich nicht aufgepasst? Mir war, als wenn wir unterwegs Nehammer und Diekmann - und damit natürlich die Schlusspointe - verloren hätten ...

    • @Christian Lange:

      Ich finde es ein tröstliches Symbol, unterwegs Nehammer und Diekmann zu verlieren.