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Literatur über die UkraineBücher im Krieg?

Schon vor der russischen Invasion stellte Serhij Zhadan fest: Krieg ist nicht gemacht für Literatur. Warum man jetzt ukrainische Autoren lesen sollte.

Der Schriftsteller Serhij Zhadan: „Bücher können dir helfen, nicht unterzugehen“ Foto: Ekko Schwichow/Suhrkamp Verlag

Literatur über den Krieg, das klingt ein bisschen nach Uniseminar; von Homer über Tolstoi bis Pynchon und Vonnegut, oder so. Literatur im Krieg, das klingt anders. Zutiefst irritierend klingt es. Unvertraut. Dass man sich darüber Gedanken machen muss, gehört zu den bitteren Lektionen dieser Tage, die es jetzt erst einmal zu verarbeiten gilt.

Serhij Zhadan hat das schon einige Monate vor dem Überfall Russlands getan, die kriegerischen Auseinandersetzungen in seiner Heimat im Donbass, die der Invasion vorausgingen, währen schließlich schon acht Jahre. In seinem Beitrag für eine weitgespannte Anthologie mit dem Titel „Warum Lesen“ fragt der ukrainische Schriftsteller: „Wer braucht schon Bücher im Krieg?“ Gute Frage.

Man liest diesen Beitrag heute mit Beklemmung und Bewunderung noch einmal. Beklemmung deswegen, weil es einer derjenigen Texte ist, bei denen man inzwischen denkt, dass man sie hellhöriger hätte lesen und die ukrainischen Autoren nicht nur literarisch, das hat man, sondern auch politisch hätte ernst nehmen müssen; dass der Frieden mit Russland in Europa längst vorbei ist, steht in dem Text jedenfalls dezidiert drin.

Und Bewunderung deswegen, weil Serhij Zhadan es schafft, literarisch ungepanzert zu bleiben, auch wenn er sich im Donbass an der Frontlinie entlangbewegt und dort Bibliotheken besucht. So klar es ist, dass gegen Aggressoren militärischer Widerstand geleistet werden muss, so sehr beharrt dieser Text darauf, Literatur mit zivilen Begriffen wie „Flüchtigkeit“ und „Schutzlosigkeit“ zu verbinden.

Über den Krieg schreiben

„Krieg ist nicht gemacht für Literatur. Den Krieg als literarisches Material zu nutzen versuchen ist das Schlimmste, was ein Schriftsteller tun kann“, schreibt Zhadan und fährt fort: „Und doch ist es unmöglich, nicht über den Krieg zu schreiben.“ In aller Bedrängnis behält dieser Autor also ein Bewusstsein für Dilemmata und Uneindeutigkeiten, das ist beeindruckend (wie tumb Putins Lügen dagegen wirken).

Differenziert bleibt Zhadan auch in seiner vorsichtig optimistischen (wenn auch vorm russischen Überfall geschriebenen) Schlusswendung: „Natürlich können Bücher den Krieg nicht beenden. Aber Bücher können dir im Krieg helfen, du selbst zu bleiben, dich nicht zu verlieren, nicht unterzugehen.“ Und: „Der Krieg kann uns das Verlangen nach Büchern, Musik, Filmen nicht nehmen.“

Man scannt und rezipiert und guckt sowieso viele Details um den Krieg gerade. Aber wenn man auf diese klaren, unpathetischen Sätze stößt, die Serhij Zhadan hier schreibt, hält man noch einmal den Atem an. Sein Beitrag für diese Anthologie macht einem klar, wie nah der Krieg in der Ukraine tatsächlich ist und was jetzt alles auf dem Spiel steht.

Gekämpft wird auch für kulturelle Selbstbehauptung

Ich hätte nie geglaubt, als Literaturredakteur einmal einen so pathetischen Satz schreiben zu müssen, aber es ist einfach so: Die Ukrainer kämpfen gegenwärtig auch für die Literatur. Gekämpft wird von ihnen auch für eine kulturelle Selbstbehauptung, für das Recht, sich in all seinen Kompliziertheiten selbst zu beschreiben und dabei zu versuchen, in diesen Beschreibungen möglichst wenig zu lügen.

Die Anthologie „Warum Lesen“ hat, mit ihrem Kollegen Frank Wegener, Katharina Raabe herausgegeben. Sie ist bei Suhrkamp die Lektorin von Serhij Zhadan und Juri Andruchowytsch und überhaupt eine Frau, die im deutschen Literaturbetrieb maßgeblich für das Öffnen literarischer Kanäle in den postsowjetischen Raum steht.

Wer sie in ihrem Büro in Berlin-Charlottenburg, etwas versteckt in einer ehemaligen Bäckerei gelegen, besucht, erlebt eine Intellektuelle, die ihren vom Krieg verursachten Schock mit Aktionismus bearbeitet. Der Krieg, das spürt man, treibt sie um. Die beiden großen Solidaritätsveranstaltungen im Berliner Maxim-Gorki-Theater und auf dem Berliner Bebelplatz hat sie mitorganisiert.

Sich auf einen Satz Karl Schlögels beziehend, meint Katharina Raabe: „Der Nebel ist weg.“ Dass Russland ein aggressives autoritäres Imperium ist und dass die westlichen Gas- und Öldevisen eine Kriegsmaschine gemästet haben, ist ja tatsächlich offenbar geworden.

Osteuropäische Autoren

Viele Beteiligte des deutschen Literaturbetriebs reagieren darauf derzeit mit Abbitten – ja, wir hätten es vorher wissen können, wenn wir nur besser osteuropäische Autoren gelesen hätten – und mit Leselisten. Neben Serhij Zhadan stehen regelmäßig die Au­to­r*in­nen Juri Andruchowytsch und Oksana Sabuschko drauf, auf Katja Petrowskaja und die Wiederentdeckung Walerjan Pidmokylnyis wird hingewiesen und auf einige Au­to­r*in­nen mehr.

Die Bücher

Erwähnte Bücher:

Anthologie „Warum Lesen“, Suhrkamp Verlag

Serhij Zhadan: „Mesopotamien“, „Internat“, beide Suhrkamp Verlag

Nino Haratischwili:„Das mangelnde Licht“, Frankfurter Verlags-Anstalt

Sasha Marianna Salzmann: „Im Menschen muss alles herrlich sein“, Suhrkamp Verlag

Katerina Poladjan: „Zukunftsmusik“, Fischer Verlag

Juri Andruchowytsch: „Radio Nacht“, Suhrkamp Verlag, erscheint im Herbst

Katharina Raabe ihrerseits hält durchaus fest, dass die Leserschaft osteuropäischer Au­to­r*in­nen im Westen, alles in allem, überschaubar geblieben ist, doch mit Fug und Recht kann sie darauf verweisen, dass auch sehr viel Austausch stattgefunden hat. Zhadan, Andruchowytsch und Sabuschko haben sich seit Ende der nuller Jahre auch im deutschsprachigen Raum durchgesetzt.

Übersetzerwerkstätten, Begegnungen ukrainischer Autoren mit hiesigen Kolleg*innen, Aktivitäten von Stiftungen und Akademien intensivierten den intellektuellen und künstlerischen Austausch. Juri Durkot und Sabine Stöhr bekamen 2018 für ihre Übertragung von Zhadans Roman „Internat“ den Preis der Leipziger Buchmesse in der Sparte Übersetzung. Seit 2015 findet zudem das vom Berliner Ulrich Schreiber organisierte Internationale Literaturfestival Odessa statt.

Es existieren also vielfältige Verflechtungen und Beziehungen in die Ukraine. Katharina Raabe kann jetzt nur hoffen, dass sie durch den Krieg nicht restlos reißen. Auch das ist Teil von Katharina Raabes Erschütterung. Ihre Furcht ist: „Im Moment wird alles zerstört, was in den vergangenen 30 Jahren an Gutem aufgebaut wurde.“

Mehrfach im Gespräch mit ihr schimmert eine Trauer darüber durch, was kulturell alles möglich gewesen wäre (und man kann nicht anders, als für sich zu denken: und vielleicht musste Putin in seinem zynischen reaktionären Denken gerade auch deshalb angreifen).

Explosion ukrainischer Literatur

„Das literarisch Neue und Aufregende hat in den letzten Jahren weniger in Russland als in der Ukraine stattgefunden“, in diesem multikulturellen Land zwischen den zerfallenen Großreichen Österreich-Ungarn und Sowjetunion, sagt Katharina Raabe, und: „Es hat eine richtige Explosion ukrainischer Literatur gegeben.“

Mit seiner Band Sobaky V Kosmosi – Hunde im Weltall – ist Serhij Zhadan im Berliner Kaffee Burger aufgetreten, eine Zeitlang sah es so aus, als hätte all das cool und hip werden können, Wladimir Kaminers Russendisko und ukrainische Skamusik – spätestens die kriegerischen Auseinandersetzungen um die Krim und den Donbass und auch die zunehmenden Repressionen gegen die russische Zivilgesellschaft haben all das beendet.

„Sie waren damals solche klamaukigen Jungs“, sagt Katharina Raabe über Hunde im Weltall, „aber in den vergangenen Jahren sind sie immer ernster und wuchtiger geworden.“ Die Lebensfreude des Aufbruchs nach dem Mauerfall haben Putins Kriege endgültig zertrampelt.

„Er ist so ein anarchistischer, ironischer Dichter gewesen“, fügt Katharina Raabe über Serhij Zhadan noch an und lässt den zweiten Teil des Satzes in der Luft hängen. Man ergänzt im stillen für sich: und nun ist er weiterhin Dichter und muss zugleich aber auch, wie so viele ukrainische Au­to­r*in­nen derzeit, ein moralisches Rückgrat der angegriffenen Gesellschaft und sogar ein Held sein. Es ist ganz gut, von hier aus noch einmal auf Zhadans Frage „Wer braucht schon Bücher im Krieg?“ zu blicken.

Zwischen Perestroika und Repression

In der geostrategischen Debatte rund um Russland ist von Einflusszonen und Sicherheitskorridoren die Rede. Wenn man auf die Romane aus der Ukraine schaut, kann man aber erkennen, dass es auch – vielmehr: vor allem – um etwas anderes geht: um die Versuche vieler postsowjetischer Menschen, ihr Leben auf die Reihe zu kriegen und sich einen Reim auf die Verhältnisse zwischen dem Aufbruch nach der Perestroika und der gegenwärtigen Repression zu machen.

Die aktuelle Lage ist eben nicht einfach ein Rückfall in die Zeiten von Ost-West-Konflikt und Kaltem Krieg, in denen zwei politische Systeme darum konkurrierten, welches von ihnen für Fortschritt und bessere Lebensbedingungen stand. Vielmehr geht es um den russischen Versuch eines Machtzugriffs im Namen solcher großen Erzählungen wie denen von nationaler und sogar imperialer Größe auf die vielen durcheinander wirbelnden kleinen Geschichten, die individuelles Leben ausmachen.

In seinen Romanen wie etwa „Mesopotamien“ beschreibt Serhij Zhadan dieses lebendige Durcheinander alltäglicher Geschichten in der Ukraine sehr eindrücklich. Die georgisch-deutsche Autorin Nino Haratischwili hat soeben auch einen Roman geschrieben, in dem es um das Aufkeimen von Hoffnung und Lebenslust vor dreißig Jahren und dann um die nicht eingelösten Versprechen geht.

Während in Russland der Repressionsapparat massiv ausgebaut wurde, sind in Deutschland zuletzt sowieso einige Romane von deutschen Au­to­r*in­nen mit ex-sowjetischem Hintergrund erschienen, die hellsichtig und literarisch versiert die sowjetische Malaise beschreiben.

Sasha Marianna Salzmann

Man kann dabei an Sasha Marianna Salzmanns Roman „Im Menschen muss alles herrlich sein“ denken, und zwar an seine beiden Teile, den ersten, in dem das Ausmaß von Korruption und Lüge im sowjetischen Alltag beschrieben wird, und auch an den zweiten Teil, in dem die Identitätsentwürfe der Nachgeborenen auf die Lebenslügen ihrer der Sowjetunion hinterhertrauernden Elterngeneration treffen.

Zu erwähnen ist auch „Zukunftsmusik“, der aktuelle Roman von Katerina Poladjan, sie blickt darin auf die Aufbruchsbedürftigkeit der Sowjetunion zu Gobatschows Amtsantritt zurück und bezieht sich dabei spielerisch auf den Reichtum und die Vielfalt der russischen Literatur.

Putin, Russland, Osteuropa, das alles wird einen, wie immer der aktuelle Krieg ausgehen mag, jetzt noch lange und viel beschäftigen. Es ist dabei wohl wichtig, die literarischen Antennen in den postsowjetischen Raum auf Empfang zu halten. Allein schon, um das Putin-Regime mit seiner Entwertung individueller Geschichten nicht durchkommen zu lassen.

Im Herbst wird Juri Andruchowytschs großer neuer Roman „Radio Nacht“ herauskommen. „Er hat vieles vorausgesehen“, sagt Katharina Raabe.

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