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Hungern gegen das Nichtstun

MISSBRAUCH Für seinen Einsatz gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen war Norbert Denef für den taz Panter Preis 2011 nominiert. Seit einer Woche ist er im Hungerstreik, aus Protest gegen die SPD

Es war eine bewegende Szene auf dem SPD-Parteitag vor einem halben Jahr: Da steht ein älterer Herr am Mikrofon vor den Delegierten. In den Händen hält er das Foto eines Jungen und erzählt seine Geschichte. Wie der Junge missbraucht wurde, sexuell, von einem katholischen Priester. Sechs Jahre ging das so, dann, als er 16 Jahre alt war, übernahm der Chorleiter, missbrauchte ihn weiter. Erst mit 18 fand die Qual ein Ende.

Der Junge ist der Redner selbst, Norbert Denef. Er wirbt dafür, dass sexualisierte Gewalt in Deutschland nicht mehr verjährt. Dass die Täter zur Verantwortung gezogen werden können, egal wie lange die Tat zurückliegt. Die Delegierten der SPD regieren mit tosendem Applaus auf seine emotionale Rede. Und nehmen den Antrag an. Einstimmig.

Denef setzt sich schon lange für dieses Anliegen ein, er ist auch der Vorsitzende des Vereins „Netzwerk Betroffener von sexualisierter Gewalt“. Die taz Panter Stiftung nominierte ihn wegen dieses Engagements im vergangenen Jahr als einen von sechs Kandidaten für den taz Panter Preis.

Der SPD-Parteitag beauftragte mit dem Beschluss vor einem halben Jahr die Bundestagsfraktion, sich der Sache anzunehmen. „Pustekuchen“, sagt Denef. „Rein gar nichts ist passiert.“ Denef will jetzt den Druck erhöhen. Seit vergangener Woche ist der 63-Jährige im Hungerstreik.

Wirklich erstaunt über die SPD ist er aber nicht. „Als ich von der Bühne ging, war mir klar, dass da nicht viel passieren wird.“ Seit Jahren kämpft Denef dafür, dass Verjährungsfristen für Sexualdelikte abgeschafft werden. Nach geltendem Strafrecht verjährt die Tat bereits zehn Jahre nach dem 18. Geburtstag des oder der Betroffenen, bei besonders schweren Fällen nach 20 Jahren. Zivilrechtliche Ansprüche wie Schadenersatz und Schmerzensgeld, können bereits drei Jahre nach der Tat verjähren.

Inakzeptabel für Denef. Er weiß, wie schwierig es ist, den „Deckmantel des Schweigens“ zu lüften. Betroffene sexueller Gewalttaten bräuchten oft Jahrzehnte, um darüber sprechen zu können. „Mein Fall ist ein relativ normaler“, sagt Denef. 35 Jahre hat er geschwiegen. „Aus Scham, Angst und Schuldgefühlen.“ Erst 1993 konnte er den Satz aussprechen: „Ich bin sexuell missbraucht worden.“ Viele Betroffene könnten dies ein Leben lang nicht formulieren.

Denef nimmt nun nur noch Wasser und Tee zu sich. Vielleicht noch drei Wochen, meint er, vielleicht sechs. „Aber ich habe ärztliche Begleitung. Rund um die Uhr.“ Fünf weitere Betroffene haben sich seinem Hungerstreik angeschlossen. „Dies ist keine Form der Erpressung, sondern eine Form des passiven Widerstands“, betont Denef in einem offenen Brief an SPD-Politikerin Manuela Schwesig. Einen anderen Weg sieht Denef derzeit nicht. Zweieinhalb Jahre nach den Missbrauchsskandalen an deutschen Schulen werde noch immer nur geredet. „Ich habe das Gefühl, ich drehe mich im Kreis. Wenn ich zurückschaue, was wir alles schon unternommen haben, wird mir ganz schwindelig“, sagt Denef. JANNIS HAGMANN

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