Wohnraum für Flüchtlinge: Aus Haus- wird Hilfsgemeinschaft
In einer Hausgemeinschaft leben viele Expert*innen, die Geflüchteten helfen können. Deshalb wird dort nun schon die zweite Wohnung angeboten.
Die Not ist riesig, aber man macht es auch ein bisschen für sich selbst“, sagt Martin Bauer (*Name geändert). Der 46-Jährige lebt in einem aus einer Baugruppe hervorgegangenen Eigentümer-Hausprojekt, das aus rund 40 Parteien besteht. Um den Kriegsbildern an seinem Rechner nicht völlig untätig ausgesetzt zu sein, verfasste Bauer eine Email an die Hausgemeinschaft. Ob man nicht auch Menschen aus der Ukraine aufnehmen wolle? „Die Reaktion war super, alle waren sofort bereit.“
Am vergangenen Montag fuhren dann fünf Mitglieder der Hausgruppe zum Berliner Hauptbahnhof. Im Untergeschoss, wo Initiativen eine Anlaufstelle zur Wohnungsvermittlung für die dort ankommenden Geflüchteten aus der Ukraine eingerichtet haben, stießen sie auf einen in Berlin studierenden Ukrainer. Für seine Eltern, seine Schwester und deren achtjährige Tochter suchte der eine Bleibe. Am nächsten Tag zog die Familie in Bauers Hausgemeinschaft ein: Die Eltern in den Gemeinschaftsraum des Hausprojekts, die Tochter und das Kind in die angrenzende Wohnung – die Eigentümerin hatte spontan ein Zimmer freigemacht.
Eine Person im Haus fungiert nun als Ansprechpartnerin für die Familie, ein Netzwerk von Hausbewohnern kümmert sich um einzelne Belange: Begleitung bei Behördengängen, ein Arzt ist für medizinische Betreuung zuständig, eine Lehrerin für schulische Dinge, eine Slawistin übersetzt, andere Bewohner spendeten Geld. Inzwischen wurde noch eine Einzimmer-Wohnung im Haus für weitere Geflüchtete frei gemacht.
„Um uns nicht zu übernehmen, falls es nicht läuft, haben wir erst mal gesagt, ein Monat Wohnen ist garantiert“, erzählt Bauer. Die Unterstützung aus der Nachbarschaft sei riesig, diverse andere Hausprojekte hätten inzwischen auch Ukrainer bei sich aufgenommen. „Wir werben für unser Modell.“
Erstaunlich schnell und unbürokratisch geht es auch bei den sonst so schwerfälligen Berliner Behörden zu. Am Donnerstag hat Bauer die Familie ins Rathaus Friedrichshain-Kreuzberg begleitet. Man traf dort auf andere Gastfamilien, die mit „ihren“ Ukrainern auf dem Amt einen Antrag auf Ersthilfe stellen wollten. „Viele rücken zusammen“, so Bauers Eindruck. Ohne lange Wartezeit und ohne Registrierung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz hätten die Ukrainer Sozialhilfe beantragen können. Die Karte für den Automaten zum Geldabheben hätten sie gleich in die Hand gedrückt bekommen. „Das“, so Bauer,“ ist ein totaler Fortschritt.“
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