piwik no script img

Friedhof in HamburgGarten der Lebensfäden

Auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg liegt der bunte, vielleicht europaweit einzigartige „Garten der Frauen“. Besuch an einem politischen Ort.

Ein Märchengarten, ein feministisches Projekt Foto: Sebastian König

Hamburg taz | Er wirkt harmlos: ein Märchengarten mit kleinem Pavillon, einer Bank unterm Baum, mit Rosenbogen und luftigen Stauden. Dabei ist es ein feministisches Projekt, ein steinernes Archiv, einzigartig in Deutschland, vielleicht auch in Europa. Die Rede ist vom 2001 gegründeten „Garten der Frauen“ auf dem Hamburg-Ohlsdorfer Friedhof.

Die Idee

Getragen wird der Garten von einem Verein, doch entstanden ist er auf Initiative einer Einzelnen: Rita Bake, Initiatorin der ersten Hamburger Datenbank für Frauenbiografien, bemerkte im Zuge eines Buchprojekts, wie viele bedeutende Frauen in Ohlsdorf bestattet waren – und wie viele ihrer Grabsteine geschreddert zu werden drohten – nämlich dann, wenn die Liegezeit abgelaufen war und kein Nachfahre mehr lebte.

Das war so bei Künstlerinnen wie der Jüdin Gretchen Wohlwill, bei Politikerinnen wie Deutschlands erster Gerichtspräsidentin Clara Klabunde, bei der Tänzerin Lola Rogge oder auch bei der Lehrerin Yvonne Mewes, die 1944 im KZ Ravensbrück an Hungertyphus starb. „Ihren Stein kann man doch nicht schreddern und zu Straßenbelag verarbeiten“, fand Rita Bake.

Es musste andere Lösungen geben. Geld zu sammeln, um die Liegezeit der Steine zu verlängern, war zu kompliziert. Aber wie wäre es, ein Areal auf dem Friedhof zu pachten, so viele historische Steine wie möglich dorthin zu versetzen und einen Erinnerungsort zu schaffen?

Der Ort

Die Friedhofsverwaltung bot verschiedene Orte an, „und als ich hier stand, wusste ich, das ist es“, sagt Bake. In der Tat hat das rund 1.600 Quadratmeter große Areal eine gute Atmosphäre. Man liest sich durch die Inschriften der über 80 historischen und auch der neueren Steine. Da wacht zum Beispiel ein von ihr selbst gestalteter Schwan über das Grab der Bildhauerin Irmgard Kanold. „Hoffnung und Trauer“ heißen die beiden Jugendstilfiguren am Rand eines stilisierten Beckens für Franziska Jahn, Erzieherin der Familie Warburg. Und ob die lebensgroße weiße Aktfigur mit Hund Marie Groot selbst darstellt, eine Verwandte der Inhaber der Kunsthandlung Groot? Es bleibt vage, aber ihre Tierliebe war legendär.

Kreativ wirkt die „Erinnerungsspirale“ aus Steinen für Frauen, die kein Grab mehr haben oder nie eins hatten. Ein Stein mit Minigitter erinnert an Erna Hoffmann, Euthanasie-Opfer des NS-Regimes. Einem Haufen Kohlen ähneln die schwarzen Steine für die 1583 als Hexe verbrannte Abelke Bleken. Und wenn man den Zylinder für die 1968 verstorbene Zauberkünstlerin Rosa Bartl aufklappt, kommt ein Kaninchen hervor, das jetzt so gut befestigt ist, dass man es nicht mehr stehlen kann.

Der Garten der Frauen ist ein künstlerischer und politischer Ort zugleich, der von Lebensfäden und Epochen zeugt. Und er räumt mit Mythen auf: Die legendäre Prostituierte Domenica Niehoff etwa hat – vom Verein spendiert – einen Grabstein bekommen, und die Vita auf der Alu-Tafel informiert eingehend darüber, dass sie später Streetworkerin wurde und zeitlebens gegen die Verherrlichung der Prostitution kämpfte.

Die Rehabilitierung

Ein eigenartiger Mythos umrankt auch die „Zitronenjette“, deren Stein eine Zitrone ziert: Denn die als Hamburger „Original“ gefeierte Frau, die in Hanfkneipen Zitronen verkaufte, führte in Wahrheit ein recht elendes Leben, wurde verlacht und gezielt betrunken gemacht. „1916 starb sie als Alkoholikerin in der damaligen,Irrenanstalt' Friedrichsberg“, erzählt Rita Bake.

Auf einem schlichten Stein steht: „Christel Klein, Opfer häuslicher Gewalt“. Sie wurde 1981 ermordet. „Von ihrem Schicksal haben wir zufällig durch ein Vereinsmitglied erfahren“, sagt Rita Bake. Den Zusatz „häuslicher Gewalt“ habe man erst nach Rücksprache mit der Tochter der Verstorbenen angebracht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!