: Bremer Sanierungserfolge 1994 - 2004
Die Bremer Sanierungspolitik kennt nur Erfolgsmeldungen – seit zehn Jahren schmücken sie Pressemitteilungen und die Sanierungsberichte, die jährlich dem Finanzplanungsrat in Berlin vorgelegt werden mussten. „Die erste Rate der Sanierung der Bremischen Haushalte war erfolgreich“, verkündete schon 1995 der damalige Finanzsenator Manfred Fluss (SPD). Am Ende, 1997, sollte Bremens Schuldenstand auf 5,2 Milliarden Euro gesunken sein. Die erste Phase scheiterte – das Programm wurde verlängert. „Abschließende“ Hilfen flossen bis 2004. Bremen nimmt beim Wirtschaftswachstum „einen Spitzenplatz ein“, verkündete noch der Sanierungsbericht 2002. Externe unabhängige Gutachter wurden zur Bewertung nie gefragt. Für die taz zieht Hans-Jürgen Kröger, Finanzexperte der Arbeitnehmerkammer, eine andere Bilanz.
Mit 8,5 Milliarden Euro Sanierungshilfe sollte Bremen seinen zuvor angehäuften Schuldenberg deutlich abtragen. Ende 2004 hatte Bremen aber statt der anfänglichen 9 Milliarden Euro 12,2 Milliarden Euro Schulden und etwa 1,2 Milliarden Euro Vermögen war versilbert.
Als zweites Herzstück der Sanierung sollte das Investitionssonderprogramm (ISP) Investitionen der Privatwirtschaft auslösen, die im Vergleich zu den alten Bundesländern (alte BL) zu einem höheren Wirtschaftswachstum führen. Überdurchschnittliches Wachstum, neue Arbeitsplätze und mehr Einwohner, so die Sanierungsphilosophie, würden Bremens Steuerquellen wieder sprudeln lassen und die hohen Sozialhilfeausgaben absenken.
Öffentliche Investitionen ohne private Folgen
Mit den Sanierungsbeiträgen hat Bremen seine Investitionsquote (Anteil der Investitionen an den Ausgaben) von 11,9 Prozent (1993) auf 18,5 Prozent (2004) erhöht. Dennoch entwickelte sich die Realität nicht wie im Modell – die privaten Investitionen blieben aus, eine „sich selbst tragende Wachstumsdynamik“ kam nicht zustande. Obwohl Bremen seine öffentlichen Investitionen um 60,3 Prozent (02/93) erhöhte (alte BL: minus 13,9 Prozent), haben sich die öffentlichen und privaten Investitionen insgesamt mit 12,8 Prozent kaum von denen Westdeutschlands (10,8 Prozent) abgesetzt. Da die öffentlichen Investitionen von 1993 bis 2002 in Bremen enorm angestiegen und in den alten BL spürbar gesunken sind, dürfte sich der Anstieg der Privatinvestitionen in Bremen und Westdeutschland nicht gravierend unterscheiden. Die unzureichenden Privatinvestitionen sind eine wichtige Ursache für das vergleichsweise durchschnittliche Wirtschaftswachstum in Bremen.
„Mit der Realisierung des ISP“, so die zentrale Zielsetzung des Sanierungsprogramms 1992, „soll der im Zeitraum 1982/86 entstandene ökonomische Wachstumsrückstand Bremens gegenüber dem übrigen (westlichen) Bundesgebiet ausgeglichen werden.“ Ziel war also nicht nur ein Wirtschaftswachstum deutlich über dem Durchschnitt der alten Bundesländer, sondern Verringerung der Indexdifferenz des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zwischen Bremen und den alten Bundesländern (Basisjahr 1981=100), die vor Sanierungsbeginn auf 15,6 Prozentpunkte angewachsen war.
Die offiziellen Erfolgsmeldungen entpuppen sich bei näherem Hinsehen als großer Bluff und halten einer Überprüfung mit amtlichen Zahlen des Statistischen Landesamtes Bremen nicht stand. Seit 1982 hat sich der BIP-Indexabstand zwischen Bremen und den alten Bundesländern nur in vier von dreiundzwanzig Jahren verringert. Der 1982 einsetzende Wachstumseinbruch erreichte 1986 minus 12,6 Prozentpunkte, steigerte sich bis zum Sanierungsbeginn 1993 auf minus 15,6 Prozentpunkte und erreichte 2004 mit minus 23,8 Prozentpunkten seinen Höchststand seit Anfang der 80er Jahre.
Am Ende der Sanierung ist die Differenz trotz des größten jemals in Bremen durchgeführten Investitionsprogramms sogar noch größer als vor Sanierungsbeginn, wie die Differenz der BIP-Indizes auf der Basis 1993 belegt. Von einer „Einleitung des wirtschaftlichen Aufholprozesses“ kann nicht die Rede sein, im Gegenteil: Die Abkoppelung hat sich fortgesetzt.
Neben unzureichenden Privatinvestitionen ist der vom ISP beabsichtigten Strukturwandel nur unzureichend gelungen. Bremen ist im produzierenden Gewerbe stärker und im Dienstleistungsbereich schwächer als die westdeutschen Länder gewachsen. In den wachstumsstarken Dienstleistungsbereichen finden sich gravierende Unterschiede. Handel, Gastgewerbe und Verkehr sind in Bremen mit 18,8 Prozent (04/93; alte BL: 28,1 Prozent) ebenso unterdurchschnittlich gewachsen wie die Bereiche Finanzierung, Vermietung und Unternehmensdienstleister mit 38,8 Prozent (04/93; 40,1 Prozent) und öffentliche und private Dienstleister mit minus 2,1 Prozent (04/93; alte BL 14,2 Prozent).
Statt 36.000 Arbeitsplätze mehr – 6.400 weniger
Zwischen Wirtschaftswachstum, Produktivität und Arbeitsplätzen gibt es einen komplexen Zusammenhang. Erst wenn das Wachstum höher ist als die beschäftigungsmindernde Produktivität, entstehen zusätzliche Arbeitsplätze. In elf Sanierungsjahren war das aber nur viermal der Fall. Über alle Sanierungsjahre hinweg ist die Produktivität schneller als die Wirtschaft gewachsen – mit der Konsequenz des Arbeitsplatzabbaus.
In den alten Bundesländern ist dieser Prozess genau umgekehrt verlaufen. Ab 1998 erheben die Statistischen Landesämter auch das Arbeitsvolumen in Stunden, das die Messung der viel genaueren Arbeitsstundenproduktivität zulässt. Interessanterweise ist im Erhebungszeitraum (1998 – 2003) die Steigerung der Stundenproduktivität in Bremen und den alten Bundesländern 2003 gegenüber 1998 fast gleich, das Wirtschaftswachstum in Bremen jedoch weitaus geringer als in den alten Bundesländern. Da eine überdurchschnittliche Produktivitätsentwicklung im Sanierungsbericht als Indikator für die gestiegene Wettbewerbsfähigkeit gilt, scheint Bremen den einstigen Wettbewerbsnachteil nicht wettgemacht zu haben.
Ebenso wie das BIP sollten auch die Zahl der Arbeitsplätze im Vergleich zu den alten Bundesländern überdurchschnittlich wachsen. Der Finanzsenator sprach Mitte der 90er Jahre von 36.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen, tatsächlich aber hatte Bremen 2004 in der Summe 6.400 Arbeitsplätze weniger als 1994.
Statt Arbeitsplatzverlusten errechnet der Wirtschaftssenator 10.000 zusätzliche Arbeitsplätze – allerdings seit einem Stichdatum 1999. Warum dieses Datum? Es ist das Basisjahr, das im Vergleich zu 2004 die höchste Steigerungsrate an Arbeitsplätzen ausweist. Mit Sanierungsbeginn (Indexbasisjahr 1993) ist die Arbeitsplatzlücke zwischen Bremen und den alten Bundesländern auf 7,3 Index-Prozentpunkte angewachsen. Im Vergleich zum Indexbasisjahr 1981 beträgt die Arbeitsplatzdifferenz 2004 15,8 Punkte (1993: 7,8 Prozentpunkte).
Arbeitslosenquoten-Differenz wuchs
Mit der Beschäftigungszunahme sollte die Arbeitslosenquote in Bremen gesenkt und „der Erfolg des Investitionssonderprogramms“ daran gemessen werden, „ob Bremen sich der westdeutschen Arbeitslosenquote wieder spürbar annähern kann.“ Dieses Sanierungsziel ist ebenfalls gründlich verfehlt worden. 1993 betrug die abzubauende Arbeitslosenquoten-Differenz 4,4 Prozentpunkte, 2004 waren es 5,0 Prozentpunkte. Im Sanierungsbericht war aber von einem Erfolg statt von einem Fehlschlag zu lesen. „Das Land Bremen verringerte die Arbeitslosenquoten-Differenz zum Bundesgebiet …“ Ein Meisterstück der Zahlenmanipulation: Um zu einem Erfolg zu kommen, vergleicht der Senat Bremens Arbeitslosenquote 1998 mit den alten BL (4,3 Prozentpunkte) und dann 2004 mit dem gesamten Bundesgebiet (2,7 Prozentpunkte). Wenn man beide Male das gesamte Bundesgebiet als Vergleichsmaßstab genommen hätte, wäre die Quotendifferenz von 2,3 auf 2,7 angestiegen.
Einwohner»trend-wende« in Bremen?
Einwohnergewinne in der Stadt Bremen in den Jahren 2002 und 2003 haben den Senat dazu verführt, von einer Trendwende in der Bevölkerungspolitik zu reden. Immerhin waren in den 90-er Jahren einmal die fiskalischen Effekte von 50.000 zusätzlichen Einwohnern beziffert. Tatsächlich hat die Einwohnerzahl des Landes Bremen im Sanierungszeitraum (von 1994 bis 2004) um genau 16.816 Einwohner abgenommen. 2004 drückt sich die „Trendwende“ in einer Bevölkerungszunahme von 84 Einwohnern gegenüber dem Vorjahr aus – stadtbremische Gewinne, die ganz stark auf Zuwanderung beruhen, werden durch den drastischen Bevölkerungsschwund in Bremerhaven kompensiert. Die Einwohnerindex-Differenz gegenüber dem Basisjahr 1981 (1993) bis 2004 ist inzwischen auf 13,9 Prozentpunkten (6,3 Prozentpunkte) angewachsen.
Mehrausgaben trotz „Sparbeitrag“
Bremen hat sich in den Sanierungsvereinbarungen verpflichtet, seine laufenden Ausgaben nur sehr moderat steigen zu lassen. Diese Auflage hat Bremen übererfüllt. Der geringe Ausgabenanstieg ist aber auf den Teilbereich konsumtive Ausgaben mit seinen gesunkenen Personal- und Zinsausgaben trotz gestiegener Sozialhilfeausgaben zurückzuführen.
Die Investitionsausgaben hingegen sind im Sanierungszeitraum um 68,3 Prozent (alte BL: minus 25,6 Prozent) gestiegen. Die Landesregierung rühmt sich in diesem Zusammenhang dieser neoliberalen Wirtschaftsstrategie, in dem sie stolz verkündet, konsumtive Ausgabenminderungen teilweise für investive Zwecke genutzt zu haben. Eine Umverteilungspolitik „von nicht-kommerziellen öffentlichen Aufgaben zu kommerziellen Aktivitäten“, die die Reichtums- und Machtverhältnisse zum Nachteil seiner Bürger umverteilt, wie Wolfram Elsner von der Universität Bremen analysiert.
Werden von den Ausgaben die Zinsausgaben ausgeklammert, die sowohl in ihrer Höhe als auch in ihrer Entwicklung aufgrund der externen Faktoren „Sanierungsbeiträge“ und „niedriges Zinsniveau“ nicht ernsthaft als „Eigenbeitrag“ gewertet werden können, so werden die tatsächlichen Konsolidierungsbemühungen offen gelegt. Bei einer solchen Primärausgabenbetrachtung (Investitionen und laufende konsumtive Ausgaben ohne Zinsen) ist Bremen nicht mehr Musterknabe im Sparen, wie die Sanierungsberichte verkünden, sondern Weltmeister im Geldausgeben. Bremen hat seine Primärausgaben im Sanierungszeitraum von 1993 bis 2003 um 13,3 Prozent erhöht, die anderen Bundesländer im Durchschnitt aber nur um 9,8 Prozent.
Einnahmen decken immer weniger die Ausgaben
Die überdurchschnittlichen Ausgaben konnten nicht durch mit dem ISP geplanten (Steuer-) Mehreinnahmen ausgeglichen werden. 2004 konnten die Einnahmen nur noch 70,5 Prozent der Ausgaben decken (1993: 81,1 Prozent). Dieses Finanzierungsdefizit wuchs bis Ende des Sanierungszeitraums 2004 um 70,1 Prozent auf 1,3 Mrd. Euro an. Bremens Defizitquote (Anteil des Finanzierungsdefizits an den Ausgaben) entfernt sich immer mehr von den alten BL.
Sanierungsziel Zins-Steuer-Quote verfehlt
Eine Haushaltsnotlage zeichnet sich u.a. durch überdurchschnittlich hohe Zinsbelastungen aus. Sie drückt sich in der zentralen finanzwirtschaftlichen Kennzahl Zins-Steuer-Quote (Anteil der Zinsausgaben an den Steuereinnahmen) aus und gibt an, wie viel Prozent der Steuereinnahmen durch Zinszahlungen absorbiert werden. Für Bremen wurde vom Bundesverfassungsgericht das Sanierungsziel gesetzt, die Zins-Steuer-Quote Schleswig-Holsteins aus dem Jahre 1990 – 13,7 Prozent – zu erreichen.
Im Sanierungsverlauf sank die Zins-Steuer-Quote in Bremen von 28,2 Prozent (1994) auf 22,1 Prozent (2004). Da die steuerabhängigen Einnahmen aber nicht gestiegen sind (sie lagen mit Ausnahme des Jahres 1999 immer unter dem Stand von 1993), waren die gesunkenen Zinsausgaben für die positive Entwicklung verantwortlich.
Zwar hat sich der Quotenabstand zwischen Schleswig-Holstein und Bremen von 1993 bis 2004 verringert (u.a. auch weil sich die Quote Schleswig-Holsteins verschlechterte), die angepeilte Quote ist aber gründlich verfehlt worden. Bremen liegt 2004 mit seiner Zins-Steuer-Quote von 22,1 Prozent weit über der der alten BL mit 10,9 Prozent und erfüllt damit weiterhin ein Kriterium der Haushaltsnotlage nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil aus dem Jahre 1992.
Weder verfassungs- konform noch saniert
Endziel der Sanierung war ein „sanierter Haushalt“, in dem „Einnahmen und Ausgaben eines überschaubaren Zeitraums in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Verschuldung und Vorbelastung beschränken sich auf ein beherrschbares Maß.“ (Rechnungshof Bremen). Als absehbar war, dass dieses Ziel nicht erreicht werden konnte, verwandelte sich das Ziel in einen nur „verfassungskonformen Haushalt“, der es gestattet, in jeder Höhe Investitionen durch Kredite zu finanzieren. Bremen hatte sich immer mehr vom verfassungskonformen Haushalt entfernt (Einhaltung § 18 Landeshaushaltsordnung: 1993 – 393 Mio. Euro; 2004 – 629 Mio Euro).
Weil der „Haushalt weder verfassungskonform noch saniert“ (Rechnungshof Bremen) war, wurden in der jüngsten Diskussion aus dem „verfassungskonformen Haushalt“ Zinszahlungen und Vermögensveräußerungen rausgerechnet und ein „ausgeglichener Primärhaushalt“ als Ziel ausgegeben. Ein Haushaltsbegriff, der weder in der Landesverfassung, noch in der LHO verkommt und die Zins-Schulden-Spirale nicht außer Kraft setzt. „Würde man“, so Rechnungshofpräsident Spielhoff ironisch, „auch noch die Personalkosten ausblenden“ wäre der Haushalt noch schneller auszugleichen.
Bremens düstere Zukunft
Bremen kann aufgrund der deutschen Finanzverfassung seine Steuereinnahmen nicht beeinflussen. Die von Bremen angestrebte höhere Einwohnerwertung, die Lohnsteuerverlegung vom Wohnort an den Arbeitsplatz und eine wirtschaftskraftbezogene Umsatzsteuerverteilung hat angesichts der ebenfalls schwierigen Finanz- und Haushaltssituation der Flächenländer kaum Aussicht auf Erfolg.
ungekürzt unter www.mehr-dazu.de
Fotohinweis: Hans-Jürgen Kröger, Finanzexperte bei der Arbeitnehmerkammer, verfolgt die Sanierungspolitik seit Jahren. Am 30.April 2001 veröffentlichte Kröger in der taz seine erste Zwischenbilanz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen