Schäden und Verlust in der Klimakrise: Das große Klimakosten-Tabu

Wer zahlt für die Schäden der Klimakrise? Afrikanische Staaten wollen das Thema auf der Konferenz in Ägypten oben auf die Tagesordnung setzen.

Menschen und Tiere an einer Wassserstelle.

Die letzte Wasserstelle: Dürre in der Somali-Region in Äthiopien im Januar 2022 Foto: Mulugeta Ayene/UNICEF/ap

BERLIN taz | Nicola Sturgeon hat die Grenzen des Sagbaren gesprengt. Zumindest die Grenzen dessen, was die Vertreterin eines Industrielands auf einem Klimagipfel sagen kann. Schottlands Regierungschefin sprach im November auf der Weltklimakonferenz in Glasgow von „Reparationen“ und kündigte an, eine Million Britische Pfund in einen Fonds für arme Länder einzuzahlen. Das Geld soll helfen, wenn die Klimakrise zerstört hat, wenn es Schäden gibt. Später verdoppelte sie die Summe.

„Wir haben nicht die Ressourcen anderer westlicher Regierungen, aber wir können mit gutem Beispiel vorangehen“, sagte sie. Und trotz des pragmatischen Tonfalls und der symbolischen Geldmenge war damit ein Tabu gebrochen.

Vom Klimagipfel in Glasgow blieben andere Bilder: die Aufregung vieler Verhandler:innen, weil eigentlich erstmals der globale Kohleausstieg festgeschrieben werden sollte und nach Intervention von China und Indien plötzlich nur noch die Rede von Kohlereduzierung war. Wie der britische Konferenzpräsident Alok Sharma die anderen Länder unter Tränen um Entschuldigung dafür bat. Trotzdem ist es eigentlich Sturgeon, die mit ihrer bescheidenen Finanzzusage Geschichte geschrieben hat.

Es war das erste Mal, dass ein Industrieland Klimageld an arme Länder gibt, das explizit nicht für die Abmilderung der Klimakrise gedacht ist oder für die Anpassung an ihre Folgen – sondern eben für den Umgang mit Schäden, mit Verlust. Es ist die finanzielle Anerkennung der Realität, dass es durch den Klimawandel Tod und Zerstörung gibt und noch viel mehr geben wird. Und es ist das Eingeständnis, dass der Globale Norden dafür Verantwortung trägt.

Das Programm für die nächste Weltklimakonferenz

Das ist es, was afrikanische Staaten in den Fokus der nächsten Weltklimakonferenz rücken wollen, die im November im ägyptischen Scharm el-Scheich stattfinden soll. „Afrikanische Länder geben jetzt schon durchschnittlich 9 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für den Umgang mit Extremwetterereignissen aus“, sagte Jean-Paul Adam, früher Gesundheitsminister auf den Seychellen, jetzt Klimaexperte bei der Wirtschaftskommission für Afrika der Vereinten Nationen, in der vergangenen Woche im Anschluss an einen EU-Afrika-Gipfel.

Es steckt nicht immer der Klimawandel dahinter, wenn Wetter zur Katastrophe wird. Die Dürre, die die aktuelle Hungersnot im Süden Madagaskars ausgelöst hat, hätte es zum Beispiel auch ganz ohne die industriellen Treibhausgase in der Atmosphäre gegeben. Das haben Wis­sen­schaft­le­r:in­nen der Forschungsinitiative World Weather Attribution ermittelt. Aber wissenschaftlicher Konsens ist: In Afrika steigen Temperaturen und Meeresspiegel noch stärker als im globalen Durchschnitt.

Afrika ist also schon aus geografischen Gründen besonders vom Klimawandel betroffen. Jahrhunderte der Kolonialgeschichte haben den Kontinent aber auch in anderer Weise verletzlich gemacht, etwa durch Armut. Wie riskant der Klimawandel ist, hängt nicht nur davon ab, wie extrem er wird – sondern auch, worauf er trifft.

Der Weltklimarat IPCC, in dem Hunderte Wis­sen­schaft­le­r:in­nen im Auftrag der Vereinten Nationen regelmäßig den aktuellen Sachstand zum Klimawandel zusammentragen, hat am Montag einen neuen Bericht zu den Folgen der Erderhitzung vorgestellt und darin auf die bereits jetzt dramatischen Schäden durch den Klimawandel hingewiesen.

Auch dort geht es um das sogenannte Propeller-Modell. Klimarisiko ergibt sich demnach aus dem Zusammenspiel dreier Rotorblätter: der Stärke der klimatischen Bedrohung, wie sehr man ihr ausgesetzt ist und wie verletzlich man ist. In vielen afrikanischen Regionen wiegen alle drei schwer.

„Die aktuelle Lage verstärkt Afrikas Abhängigkeit von Almosen und Hilfsgeldern“, klagt Jean-Paul Adam. Im Katastrophenfall fehlt das Geld, die Hilfswerke müssen auf Spendenbereitschaft der Menschen in reichen Ländern hoffen. Zwar gibt es mittlerweile für manche Probleme Klimarisikoversicherungen, aber die Klimakrise stellt auch die Versicherungsbranche vor Herausforderungen. Kein profitorientiertes Unternehmen versichert Schadensfälle, die mit Sicherheit eintreten werden. Und solche gibt es eben in der Klimakrise.

International vereinbart ist, dass Geld aus dem Globalen Norden in den Süden fließt, um diese Fälle zu vermindern. Schließlich haben die Industrieländer Geld und sind durch ihre hohen Emissionen seit der Industrialisierung auch noch größtenteils für das Problem verantwortlich.

Sie haben sich deshalb zur sogenannten Klimafinanzierung verpflichtet. 100 Milliarden US-Dollar wollten sie insgesamt von 2020 bis 2025 jährlich zahlen, die Hälfte davon für Projekte, die Emissionen senken, die andere für die Anpassung an neue klimatische Gegebenheiten.

Vollständig geliefert wurde das bisher nicht. Außerdem zeigen Studien von Hilfswerken, dass vor allem Geld in die Senkung von Emissionen fließt, während die Anpassung vernachlässigt wird. Ein Teil der Erklärung dürfte lauten: Die Projekte sind für In­ves­to­r:in­nen weniger attraktiv. Ein Windpark erzielt Einnahmen, ein Damm nicht.

Angst vor der Haftung für die Klimakrise

Um für die Zerstörung nach einem Extremwetterereignis aufzukommen, darf das Geld nicht verwendet werden – selbst wenn ein Zusammenhang mit dem Klimawandel wissenschaftlich nachgewiesen ist. Klimafinanzierung ist zweckgebunden, darf nur prophylaktisch eingesetzt werden. Auf der Weltklimakonferenz in Glasgow hatten die Länder des Südens Geld für Schäden und Verluste gefordert, waren damit aber außer bei Schottland nicht durchgedrungen. Lediglich ein Arbeitskreis zum Thema wurde gegründet.

Das Problem: Die reichen Staaten befürchten, dass Zahlungen für Schäden und Verluste die gesamtumfängliche Haftung für die Klimakrise nach sich ziehen könnte, obwohl das Paris-Abkommen das eigentlich ausschließt.

Und während in deutschen Talkshows die Kostenfrage der Klimakrise mit launiger Empörung verhandelt wird, als erschöpfe sie sich im hiesigen Benzinpreis, offenbart sich hier ihr eigentliches Ausmaß: Wie soll jemand jemals für untergehende Inseln mit eigenen Naturwundern, Kulturgütern, Sprachen aufkommen? Für Millionen von Menschenleben?

„Die nächste Weltklimakonferenz ist eine afrikanische Weltklimakonferenz auf afrikanischem Boden“, meint Tasneem Essop, Chefin des internationalen Klima-Dachverbands Climate Action Network. „Es muss die COP werden, die im Interesse der Verletzlichen handelt, in Afrika und überall.“

Der Schlüssel dazu sei umfassende Klimafinanzierung. „Die reichen Länder müssen liefern“, sagt sie. „Der Bedarf ist so groß, die 100 Milliarden werden wie ein Spaziergang wirken. Wenigstens das sollten sie einfach bezahlen.“ Nicola Sturgeon hat einen Anfang gemacht.

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