Polnische EU-Haftbefehle: EuGH: Auslieferung bleibt möglich

Gerichte müssen vor einer Auslieferung nach Polen eine zweistufige Prüfung anwenden. Betroffene müssen nachweisen, dass ein unfaires Verfahren droht.

Menschen protestieren mit Schildern und Plakaten

Protest in Krakau für die Unabhängigkeit der Justiz in Polen im Janaur 2022 Foto: NurPhoto/imago

FREIBURG taz | Auslieferungen nach Polen bleiben trotz der zunehmenden Zweifel an der Unabhängigkeit polnischer Richter grundsätzlich möglich. Das entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Dienstag. Die Auslieferung nach Polen kann nur unterbleiben, wenn dort im Einzelfall ein unfaires Verfahren droht.

Konkret ging es um zwei Fälle am Bezirksgericht Amsterdam. Gegen zwei polnische Männer, die sich in den Niederlanden aufhielten, lagen EU-Haftbefehle aus Polen vor. Der eine Mann war in Polen bereits wegen Androhung von Gewalt zu einer Haftstrafe verurteilt worden, der andere sollte in Polen erst vor Gericht gestellt werden.

Eigentlich sind das Routineverfahren. Aufgrund des 2002 eingeführten EU-Haftbefehls können flüchtige Straftäter im EU-Ausland festgenommen und in einem stark vereinfachten Verfahren in einen anderen EU-Staat ausgeliefert werden.

Doch das Amsterdamer Gericht hatte grundsätzliche Bedenken, Straftäter nach Polen auszuliefern. So seien mehrere hundert sogenannte Neo-Richter, die nach 2018 ins Amt kamen, nicht ausreichend unabhängig. Schließlich sei der Landesjustizrat KRS, der die polnischen Richter auswählt, seit 2018 regierungskonform besetzt. Die Amsterdamer Richter beriefen sich dabei auf eine Entschließung des Obersten Gerichts Polens, das 2020 unter seiner nun pensionierten Präsidentin Malgorzata Gersdorf feststellte, dass der KRS kein unabhängiges Gremium mehr sei.

Die Defizite der polnischen Justiz sind unschwer zu belegen

Der EuGH hat den Amsterdamer Vorstoß nun aber zurückgewiesen. Auch künftig können Auslieferungen nach Polen nicht generell verweigert werden. Weiterhin müssen Gerichte bei Bedenken einen 2-Stufen-Test anwenden, den der EuGH bereits 2018 einführte.

In der ersten Stufe geht es um allgemeine Defizite der polnischen Justiz. Diese sind unschwer zu belegen. So gibt es mehrere Urteile des EuGH, auf die sich die Amsterdamer Richter berufen können.

In der zweiten Stufe, die die Amsterdamer Richter eigentlich vermeiden wollten, kommt es auf das konkrete Strafverfahren an: Sind oder waren hier polnische Richter beteiligt, die nicht ordnungsgemäß ins Amt kamen? Informationen, die gegen eine Auslieferung sprechen, muss dabei der polnische Straftäter vorlegen, der die Auslieferung verhindern will.

Dabei soll laut EuGH nicht einmal der Nachweis genügen, dass im polnischen Verfahren ein seit 2018 ernannter polnischer Neo-Richter beteiligt war oder beteiligt sein wird. Vielmehr müsse es zusätzliche Indizien geben, dass im konkreten Fall kein faires Verfahren zu erwarten ist, etwa Äußerungen der polnischen Behörden. Es dürfte allerdings nur wenige Fälle geben, bei denen Behörden schon vor der Auslieferung öffentlich gegen einen Straftäter hetzen.

Der EuGH begründet seine Zurückhaltung damit, dass es nicht per se rechtsstaatswidrig ist, wenn ein Richter-Wahlgremium wie der KRS mit Mitgliedern der Regierung und des Parlaments besetzt ist. Das stimmt natürlich; auch der deutsche Richterwahlausschuss, der die Bundesrichter wählt, besteht aus Abgeordneten und Landesjustizministern. Doch während das deutsche System zu einer pluralistisch besetzten Justiz führt, ist der polnische KRS seit 2018 regierungskonform besetzt und verhindert damit Pluralismus in der Justiz.

Die EuGH-Entscheidung dient also offensichtlich vor allem dazu, die Justizzusammenarbeit zwischen Polen und dem Rest der EU möglichst weitgehend aufrechtzuerhalten. Einen ähnlichen Vorstoß des Amsterdamer Bezirksgerichts hatte der EuGH Ende 2020 mit diesem Argument zurückgewiesen.

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