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Ausstellung im Berliner Bröhan-MuseumDer zerbrochene Raum

Von fliegenden Augen und Lufttänzerinnen: „Hannah Höch, abermillionen anschauungen“ will das Bild der Künstlerin über Dada hinaus erweitern.

Hannah Höch: „Eule mit Lupe“ (1945), Privatsammlung Düsseldorf © VG Bild-Kunst Bonn 2022 Foto: Museum Bröhan

„ich möchte weiter den hinweis formen, daß es außer deiner und meiner anschauung und meinung noch millionen und abermillionen berechtigter anderer anschauungen gibt. am liebsten würde ich der welt heute demonstrieren, wie sie eine biene und morgen wie der mond sie sieht.“ Dieses Zitat von Hannah Höch, 1929 für den Prospekt einer ersten Einzelausstellung in Den Haag geschrieben, gibt ihrer Ausstellung im Bröhan-Museum den Titel „abermillionen anschauungen“.

Man findet in ihren Bildern viele Wesenheiten, die, wenn auch eher fantastisch als vertraut, auf die Welt blicken: Kleine tulpenhohe Kopffüßler, die in einem Aquarell von 1924 einen Käfer betrachten; „Drei Lindenkäfer“ aus dem selben Jahr, die mit aufgerissenem Maul auf stacheligen Blättern sitzen. Immer wieder tauchen, vor allem in den Collagen, fliegende Augen auf, manchmal sogar wie Flügel geformte Augen, die durch multiperspektivische Raumwelten gleiten.

Und einmal steht eine Pupille selbst wie ein Mond in einem dunklen, hell gesprenkelten Raum, begrenzt von kristallinen Formen in „Komposition mit Universum und Auge“ von 1940.

Aber alles, was im Bild blickt und aus ihm heraus, macht allein noch nicht die Multiperspektivität bei Hannah Höch aus. Zu untersuchen und zu zeigen, wie Hannah Höch Räume verschachtelt, Fläche mit Tiefe verspannt, Vogelperspektiven mit anderen Blickrichtungen zusammenbringt, ist ein Anliegen der Kuratorin Ellen Maurer Zilioli, die die Höch-Ausstellung für das Bröhan-Museum konzipiert hat.

Konstruktivismus und Futurismus, Surrealismus und Bauhaus

Das gelingt ihr gut. Die Ausstellung zeichnet mit den Werken von Höch nach, wie die Berlinerin vielen Bewegungen der Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts gegenüber aufgeschlossen war. Die Künstlerin ließ sich inspirieren von den Dynamiken aus Konstruktivismus und Futurismus, von der Suche nach der Visualisierung des Geistigen in abstrakten Werken, vom Fantastischen des Surrealismus, von der Klarheit von Bauhaus. Doch in diesem Kontext schuf sie etwas Eigenes, mit großer „Autonomie und Freiheit“, wie Ellen Maurer Zilioli betont.

Ein Augenmerk liegt auf verschiedenen Sockelelementen, die Höch wie kleine Bühnen in ihren Bildern nutzte. Wie in dem großen Gemälde „Symbolische Landschaft III“ (1930): Auf einem Sockel liegt eine Frau, der Kinder aus dem Leib steigen, aus anderen wachsen Pflanzen, so scharfkantig wie die Felsen im Hintergrund, und einmal stechen Äste durch eine Scheibe, sodass sie wie eine Palette mit Pinsel wirkt.

Die Ausstellung

„Hannah Höch, abermillionen anschauungen“ im Bröhan-Museum, Di.–So. 10–18 Uhr, bis 15. Mai. Katalog 28 Euro

In einer späten Collage, „Industrielandschaft“ (1967), wachsen an den Bildkanten Spitzen wie Stalaktiten und Stalagmiten nach oben und unten. Dazwischen blickt man Menschen auf den Kopf, die ameisenklein über große Plätze wuseln, unterbrochen von Spiegelungen von Hochhaussilhouetten im Wasser. So entsteht ein in viele Facetten geteilter Bildraum, diskontinuierlich und sprunghaft, vielleicht auch unzuverlässig, aber zugleich auch eine ornamentale Form, die mit Ähnlichkeiten arbeitet.

Hannah Höch (1889–1978) ist in Berlin bekannt, die Berlinische Galerie hat viele Werke von ihr aus ihrem Nachlass, oft im Kontext von Dada ausgestellt. Die Schau im Bröhan-Museum zeigt eine Mischung aus bekannten und noch nie ausgestellten Arbeiten aus Museen und Privatbesitz und möchte den Blick auf eine Künstlerin jenseits von Dada weiten. Auch wenn die dadaistischen Collagen und Bilder immer wieder Höhepunkte bilden.

Wie etwa „Ansichtssache“ von 1940, wo Masken wie aus einem asiatischen Theater grimmig und lachend vor fließenden Farbbändern schweben. Ein Abschnitt der Ausstellung gilt der Trauerarbeit während der Zeit des Faschismus, des Krieges und der Nachkriegszeit, in der Hannah Höch in Berlin ein sehr zurückgezogenes Leben führte.

Weltflucht und innere Emigration

1943 entstanden die Aquarelle „Totentanz I–III“, in den Farben blass und ausgeblutet, sieht man darin Gespenster, Tote oder Schlafende und Träumende – man weiß es nicht –, aber alle haben die Augen geschlossen, drängen die Körper dicht aneinander und gleiten durchs Unbestimmte.

Oder ein „Leviathan“ von 1950, ein Aquarell, in dem Maske und Gesicht verschmolzen sind, dunkle Farbbalken einen Körper bilden, der große Kopf einer Schlange griesgrämig von unten ins Bild blickt. Selbst im Dunklen ist oft noch eine Spur von Witz.

Und der macht in vielen Arbeiten von Höch auch in dieser Ausstellung ihre Attraktivität aus. Die Beine von Tänzerinnen in Spitzenschuhen, in die Höhe gezogen von etwas Flügelschlagendem, kokettieren in der Collage „Nur nicht mit beiden Beinen auf der Erde stehen“ von 1940, mit Weltflucht und Realitätsverlust, dem Schicksal in der inneren Emigration.

Eine andere Tänzerin springt in „Ungarische Rhapsodie“ mit lang gestreckten Beinen über Räder und andere routierende Elemente, eine raumgreifende und befreiende Bewegung. Die Bewegung in den Bildern ist das eine; wichtiger aber noch scheint der Kuratorin die gedankliche Beweglichkeit der Künstlerin und wie sie in ihrem Werk immer wieder neu nach Zugängen sucht, das Nichtsichtbare in die Sichtbarkeit zu holen.

Seien es die Philosophen, mit denen sie sich beschäftigte, die technische Beschleunigung oder die Erkundung des Weltalls: Zitate von Hannah Höch an den Wänden und kurze Ausstellungstexte legen gute Spuren aus, wie man ihre Denkprozesse in den Bildern wiederfindet.

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