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Versuchter Femizid in HamburgKontrollzwang und Psychoterror

Maja P. überlebte den Angriff ihres Ehemannes knapp. Vor Gericht sagt sie umfassend aus und schildert eine Beziehung voll psychischer Gewalt.

Maja P. tritt vor Gericht als Nebenklägerin und Zeugin gegen ihren Ehemann auf Foto: Marcus Brandt/dpa

Hamburg taz | Wenn es um Femizid geht, kann das Opfer häufig nicht mehr aussagen. Maja P. (Name geändert) aber überlebte den Angriff ihres Ehemanns. Am Freitag sagte sie umfassend vor dem Hamburger Landgericht aus, wo Thomas P. sich seit Ende November verantworten muss. Seit Juni sitzt er in Untersuchungshaft.

Die Staatsanwaltschaft wirft Thomas P. versuchten Mord und schwere Verletzungen der Persönlichkeitsrechte in 57 Fällen vor. Bei der Schilderungen des Tathergangs zum versuchten Mord unterscheiden sich die Aussagen des Täters und der Geschädigten nur in Details. Als Thomas P. an einem Sonntag im Mai seine letzten Sachen aus der ehemals gemeinsamen Wohnung abholen wollte, warf er Maja P. aufs Bett und würgte sie bis zur Bewusstlosigkeit. In akuter Lebensgefahr und mit zahlreichen Verletzungen kam sie ins Krankenhaus. Er hatte selbst den Rettungsdienst verständigt und stellte sich der Polizei, die bei der Spurensicherung weggeworfene Kabelbinder im Gebüsch fand – vermutlich das Tatwerkzeug.

Zuvor hatte er Maja P. über Monate hinweg heimlich durch das Schlüsselloch gefilmt, während sie duschte oder auf Toilette ging, und dabei auf ihren Genitalbereich gezoomt. Das heimliche Filmen hatte der Angeklagte bereits zu Beginn der Verhandlung eingeräumt. Die Geschädigte wusste davon offenbar nichts. „Ich wusste nur, dass er mich beobachtet“, sagte sie. Dass er ein Foto von ihr in Unterwäsche gemacht hatte, während sie schlief, war ihr jedoch bewusst. Mehrfach habe der Angeklagte in den Monaten vor und nach der Trennung gedroht, das Foto an ihren Chef zu schicken.

Maja P. sagte im Gericht mehrere Stunden lang mit tränenerstickter Stimme aus. Ihr Ehemann verfolgte die Schilderung sehr angespannt und bat mehrmals um Unterbrechungen. Maja P. berichtete von jahrelangem Psychoterror und einem starken Kontrollzwang, den ihr Mann auf sie ausübte. In den letzten Jahren ihrer Beziehung habe er sie 40 bis 60 Mal pro Tag auf der Arbeit angerufen um zu fragen, wo sie sei und was sie mache. Vor Meetings und Terminen habe sie sich bei ihm abmelden müssen, auch habe er ihr nicht erlaubt, sich zu schminken oder hohe Schuhe zu tragen.

Plötzlich hat sie einen Stalker

In den ersten Jahren ihrer Beziehung sei noch alles harmonisch gewesen, sagt Maja P. Sie war ihm 2002 aus Polen nach Deutschland gefolgt, konnte zunächst die Sprache nicht und hatte kaum Kontakte. Je selbstständiger und selbstbewusster sie wurde, desto eifersüchtiger und kontrollierender sei er geworden. Als sie kurz vor dem Abschluss ihrer Ausbildung stand, hatte sie plötzlich einen Stalker. Er schickte ihr anonyme Briefe und hinterließ Nachrichten an ihrem Auto.

In der Zeit konnte ihr Mann als Beschützer auftreten, da sie große Angst gehabt habe. Sie habe damals niemanden verdächtigt, auch die Polizei konnte niemanden ermitteln. „Gab es damals Situationen, in denen ihr Mann bei Ihnen war und der Stalker Sie gleichzeitig anrief?“, fragt der Richter. Sie verneint.

Seit sie eine Weiterbildung angefangen und auf der Arbeit eine Leitungsfunktion übernommen habe, sei es besonders schlimm geworden, sagt Maja P. Mehrmals täglich habe Thomas P., der als Logistiker in einem Lager arbeitet, ihr vorgeworfen, sie sei etwas Besseres, wisse und könne alles ohne ihn. Sie habe noch versucht, ihn zu einer Therapie zu drängen, doch er habe die Behandlung abgebrochen.

Am Tag der Tat sei er auffällig ruhig gewesen

Einmal habe er sie schon im Jahr 2020 gewürgt, hinterher aber behauptet, es sei nur Spaß gewesen. Sie ging zu einem Scheidungsanwalt und verlangte, dass er auszog. „Ich habe ihm sogar eine Wohnung gesucht, für ihn renoviert und eingerichtet“, sagt Maja P.

Zwei Tage vor der Tat – da lebten die Eheleute seit zwei Monaten getrennt – habe der Angeklagte stark betrunken vor der Tür randaliert. Die Kinder hätten die Mutter verständigt, die schnell nach Hause kam und den Mann in der Wohnung vorfand – er hatte sich offenbar einen Schlüssel nachmachen lassen. Sie hätten sich laut gestritten und sie habe ihm gesagt, er solle zwei Tage später seine letzten Sachen abholen und sich nicht wieder blicken lassen.

Am Tag der Tat sei der Angeklagte dann auffällig ruhig und gefasst gewesen. „So kannte ich ihn gar nicht mehr“, sagt Maja P. Sie hätten sich in der Küche unterhalten, sie habe ihm nochmal gesagt, dass die Beziehung endgültig vorbei sei. Im Schlafzimmer, wo seine Kartons standen, kam es dann zu dem um ein Haar tödlichen Angriff.

Das Urteil wird Ende Februar erwartet.

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