Die Wochenvorschau für Berlin: Sehnsucht nach Katharsis
In dieser Woche kann man wieder gemeinsam weinen und zittern: auf der Berlinale, in der Galerie und im Theater. Das tut gut nach diesem Winter.
Der Weg zur 72. Berlinale, die dieses Jahr wieder trotz alledem in Präsenz stattfindet, ist steinig. Aber wenn man wirklich bereit ist, sich durch alles durchzuwurschteln, Tickets im Internet zu erwerben, Schnelltests zu machen und bloß die Powerbank nie zu vergessen, damit der Zugriff auf die Corona-Warnapp erhalten bleibt, dann ist es eigentlich doch wieder geradezu aufregend.
Die Menschen, die brav im Schachbrettmuster in den Kinosälen sitzen, verhalten sich äußerst rücksichtsvoll und vorsichtig. Vielleicht auch, weil es so etwas Besonderes ist, wirken sie noch schicker gekleidet als sonst. Sie scheinen auch noch näher am Wasser gebaut und holen bei jeder Kleinigkeit die Taschentücher aus der Tasche. Auch klatschen sie am Ende noch länger als gewöhnlich.
Und bei einigen Filmen kommen tatsächlich am Ende Regisseur*innen und Darsteller*innen auf die Bühne und können sich vor Dankesreden aus dem Publikum kaum retten. Wer also auf der Berlinale nicht nur auf die großen Stars aus ist, die sich auch diesmal eher rar machen, sondern auch auf kleine Filme, auf Überraschungen und Blickwechsel, der kann auf der Berlinale viel ausrichten gegen den Coronablues der letzten Wochen.
Bis Mittwoch geht das verkürzte Festival nur noch, dann werden bereits die Preise verliehen. Und anschließend gibt es vier Publikumstage, an denen all jene, die eher Pech hatten bei der Ticketjagd, noch einmal ein bisschen nachholen können.
Es leben die Kinos
Hinzu kommt, dass die Berlinale auch in diesem Jahr wieder tief hineingeht in die Stadt: mit „Berlinale Goes Kiez“, einer Reihe, die seit 2010 die überaus resiliente Kinovielfalt in Berlin würdigt – immerhin hat sie sich, wie es zurzeit aussieht, nicht einmal während einer Pandemie von den Streamingdiensten unterkriegen lassen. Bis Freitag macht das Festival je ein Kiezkino zum zusätzlichen Spielort der Berlinale. So ist am 14. 2. das erst im letzten Jahr wiedereröffnete Kino Intimes in Friedrichshain dran, am 15. 2. das Kino Union am S-Bahnhof Friedrichshagen und am 16. 2. das Kino Passage in Neukölln.
Doch auch jenseits der Berlinale gibt es Möglichkeiten, den Kopf mal wieder durchzulüften. So eröffnet in der Berlinischen Galerie am Freitag um 11 Uhr eine Ausstellung namens „Modebilder – Kunstbilder“, die sich den Verflechtungen von Mode, Kunst und gesellschaftlicher Veränderung widmet. So wird etwa die Befreiung der Damenmode vom Korsett der Reformbewegung thematisiert, außerdem werden Kleidungsstücke des Berliner Fotografen Rolf von Bergmann zu sehen sein, der als einer der wichtigsten Chronisten der queeren Berliner Szene gilt.
Und am selben Tag um 19.30 Uhr darf man Corinna Harfouch wieder mal als Mann erleben: in der Premiere „Queen Lear“ am Gorki. Aber Achtung: Nur weil hier anstatt eines Kings eine Queen am Werk ist, wird es nicht unbedingt hoffnungsvoller. Shakespeares Stück kann einfach nur böse bleiben, es lässt nicht die kleinste utopische Kraft zu, die Welt säuft in Wahnsinn und Machtgier ab.
Und das ist auch gut so, denn das Gefühl der kollektiven Katharsis haben viele nicht nur beim gemeinsamen Heulen im Kino, sondern auch beim gemeinsamen Fürchten im Theater durch den Konsum beinharter Tragödien vermisst.
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