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Dystopische Serie „Station Eleven“Überleben allein reicht nicht

In der Pandemie eine Serie über eine Pandemie zu machen, ist gewagt. Doch „Station Eleven“ überzeugt, auch weil Platz für Humor und Leichtigkeit ist.

Visuell hebt sich die HBO-Serie von anderen Dystopien ab Foto: HBO Max/imago

Eine Serie über eine Pandemie und ihre Folgen – will man das wirklich sehen? Kann die Geschichte eines mutierten Grippevirus, das innerhalb kürzester Zeit den Großteil der Menschheit ausrottet, als Unterhaltung dienen, während wir nach zwei Jahren noch immer von einer Coronawelle in die nächste taumeln und ein Ende nicht abzusehen ist? Um es gleich einmal vorwegzunehmen: Ja, das funktioniert. Und zwar so gut, dass man sich „Station Eleven“ unbedingt ansehen sollte.

Aber der Reihe nach. Die zehnteilige Serie, die auf dem gleichnamigen, in den USA gefeierten Roman von Emily St. John Mandel basiert, beginnt in unserer Gegenwart mit einem Theaterabend in Chicago. Auf der Bühne steht Hollywoodstar Arthur Leander (Gael García Bernal) als König Lear, und als der mitten im Stück einen Herzinfarkt erleidet, ist Journalist Jeevan (Himesh Patel) der erste im Publikum, der zu helfen versucht.

Wenig später hat er die unbeaufsichtigte Kinderschauspielerin Kirsten (Matilda Lawler) in seiner Obhut, als ein Anruf seiner Schwester kommt: Als Ärztin erlebt sie früher als andere, wie fatal sich die Virusmutation verbreitet, weswegen sich Jeevan und Kirsten kurzerhand mit Vorräten eindecken und bei seinem Bruder (Nabhaan Rizwan) verbarrikadieren, während vorm Fenster die ersten Flugzeuge vom Himmel zu stürzen beginnen.

Nach dieser ersten, von Hiro Murai („Atlanta“) eindrucksvoll inszenierten Episode springt die Handlung auch in andere Zeit­ebenen. 20 Jahre nach der Pandemie hat Kirsten (nun gespielt von Mackenzie Davis) gemeinsam mit Gleichgesinnten die Travelling Symphony gegründet, eine Schauspiel- und Musiktruppe, die rund um die Großen Seen von einer kleinen Überlebendenkolonie zur nächsten zieht und Shakespeare-Stücke aufführt.

Patchworkartiges Erzählmuster

Doch es gibt auch Rückblenden, nicht nur in die Zeit rund um den Virusausbruch, sondern auch davor, in denen wir mehr erfahren über Kirsten und ­Jeevan, aber auch über Arthur und die Menschen in seinem Leben.

Wer die Romanvorlage nicht kennt, wird ein wenig brauchen, um sich einzufinden in das patchworkartige Erzählmuster von „Station Eleven“. Das ständige Hin- und Herspringen zwischen den Zeitebenen, das in vielen anderen Serien als bloßer Manierismus nervt, entwickelt hier durchaus seinen Reiz. Nicht zuletzt, weil immer wieder ganze Folgen einzelnen Nebenfiguren wie Miranda (Danielle Deadwyler) gewidmet sind, die mal mit Arthur liiert war und Schöpferin der Titel gebenden Graphic Novel über einen einsamen Astronauten ist, an die sich Kirsten noch Jahrzehnte später klammert.

Nicht zuletzt an Bildsprache und Farbpalette lässt sich meist recht gut erkennen, wo in der Handlung wir uns gerade befinden. Visuell hebt sich „Station Eleven“ ohnehin von vergleichbaren Geschichten ab: Wo die meisten Dystopien in ausgeblichen-düsterem Einerlei versinken, leuchtet hier nicht nur das satte Grün der Natur. Das passt zum Erzählton, den Schöpfer und Showrunner Patrick Somerville gewählt hat.

Natürlich setzt auch diese Serie auf Spannung, es gibt Gewalt und brutale Todesfälle, die nicht nur mit Pandemie und Überlebenskampf, sondern auch mit einem mysteriösen Sektenführer (Daniel Zovatto) zusammenhängen. Doch dazwischen ist auch Platz für Humor und Leichtigkeit, für Zitate aus Emmerichs „Independence Day“ oder Songs von A Tribe Called Quest. Und der Grundton der Serie ist ein hoffnungsvoller, getreu des Mottos der Travelling Symphony: survival is insufficient. Überleben alleine reicht nicht, es braucht auch Freundschaft, Zusammenhalt und Kunst. Was man natürlich auch in unserer Realität nicht oft genug hören kann.

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