Graphic Novels in Hamburg: Nihilismus in quietschbunt

Schönheit auch im Elend finden: Die 10. Hamburger Graphic-Novel-Tage zeigen Comics von Steven Appleby aus London und Lukas Kummer aus Wien.

Ein futiristisches Gefährt in Schwarz und Rosa rast einem grüb-gleben Horizont entgegen

Von giftig strahlender Farbigkeit ist die Welt, durch die Lukas Kummers „Prinz Gigahertz“ irrt Foto: Kummer/Zwerchfell Verlag

Namenswitze mögen ja schlechter Stil sein, aber es ist nun mal eine fast bewiesene Tatsache, dass niemand beim Lesen von Lukas Kummer gute Laune bekommt. Ganz besonders gilt das für sein Debüt „Die Verwerfung“ (Zwerchfell-Verlag), das in sattem Schwarz und blassem Grau die Gemetzel des Dreißigjährigen Krieges in Szene setzte: die trostlose Irrfahrt zweier Kinder durch eine Zwischenwelt voller Erhängter, Abgeknallter und Aufgefressener. Und ein Happy End gibt’s selbstverständlich auch nicht.

Eine Freude ist es trotzdem, dass Lukas Kummer nach Hamburg kommt, zum Auftakt der diesjährigen Graphic-Novel-Tage, die das Literaturhaus zum zehnten Mal ausrichtet. Und da wird er dann beweisen, dass erstens auch Schönheit im Elend liegt – und dass er seinen Nihilismus, wie er sagt, inzwischen auch in knallbunten Farben aufs Papier bringt. Gesellschaft hat er auch. Steven Appleby aus London ist mit „Dragman“ dabei, einem inzwischen auch international gefeierten Buch aus der Trans- und Comicszene.

Und das wäre bereits der Kern dieser von Comicexperte und Journalist Andreas Platthaus erdachten Veranstaltungsreihe: Zwei Künst­le­r:in­nen aus zwei Ländern teilen sich einen Abend und setzen ihre Arbeiten miteinander ins Benehmen. Was Platthaus sich nun von eben dieser ersten Konfrontation verspricht, hat er auch Lukas Kummer noch nicht verraten. Stilistisch ist es interessant, Applebys leichthändig gezeichneten Strips mit Kummers mitunter gewaltigen Bildkompositionen zu vergleichen – nur ist gerade das mit Stil bei Kummer so eine Sache.

Nach der Verwerfung hat er nämlich erst mal ganz was anderes gemacht: parallel nämlich Thomas Bernhards autobiografische Texte in grauem Minimalismus adaptiert und mit der ebenfalls noch laufenden Reihe „Prinz Gigahertz“ ein knallbuntes Fantasy-Epos begonnen, das mit seinen flächig kolorierten Landschaften ein bisschen an Moebius erinnert. Und auch wenn diese Geschichte auf den zweiten Blick auch nicht hoffnungsvoller ist als Kummers postapokalyptisches 17. Jahrhundert, sieht es doch unbestreitbar völlig anders aus.

Graphic-Novel-Tage: 21.–24. 3., Literaturhaus Hamburg, Schwanenwik 38, und im Livestream, 19 Uhr. Programm: www.literaturhaus-hamburg.de

„Jedes Projekt verdient seinen eigenen Zeichenstil“ hat sich Kummer programmatisch ins Portfolio geschrieben. Das ist eine mutige Ansage in einer Branche, für die Stilentwicklung und -pflege für Il­lus­tra­to­r:in­nen doch ein entscheidendes Marktkriterium sind.

„Natürlich ist das idiotisch“, sagt Kummer auf Nachfrage, „wenn man denn davon leben will.“ Aber tatsächlich scheint er das gar nicht vorzuhaben. Zumindest schätzt er die Chancen eher finster ein, für das, was er da – „irgendwo zwischen Hochkultur und Trash“ – macht, und für das es außerhalb der Autorencomic- und Graphic-Novel-Nische vermutlich wirklich keinen Platz gibt Nach dem ästhetischen wäre das dann auch der zweite Reibungspunkt von Appleby und Kummer.

Appleby zeichnet nämlich seit mehr als 30 Jahre Strips für Zeitungen wie The Guardian. Sein erstes Buch hat er mit „Dragman“ erst vor knapp zwei Jahren veröffentlicht. Die Nebenfigur einer alten Reihe lotet hier nun in der Tiefe aus, was einmal ein Witz war: dass nämlich sowohl Transmenschen als auch Su­per­hel­d:in­nen erstens beide Geheimidentitäten unterhalten – und beide erst über diese zu sich selbst und zu ihrer Power finden.

Der dritte Unterschied schließlich wäre dann auch über das Comicfachpublikum hinaus interessant: Applebys Einmischen in brennend aktuelle Diskurse über Gender- und Identitätsfragen im Gegensatz zu Kummers zeitlosem Grübeln über Literatur, Historie und Genre. Kummer sieht seine Arbeiten übrigens selbst nicht sonderlich politisch. „Ich bin wirklich eher Nihilist“, sagt er nochmal – „leider.“

Ach so, bevor das zum Ende noch völlig untergeht: In Sachen Unterhaltung dürfte dem Abend ganz sicher auch zugute kommen, dass Lukas Kummer und Steven Appleby in ihren jeweiligen Sphären tatsächlich ganz außerordentlich tolle Sachen machen.

Für die Graphic-Novel-Tage geht es dann über die Woche weiter mit Kün­s­tle­r:­in­nen aus Frankreich, China, Schweden und Deutschland. Und im Anschluss wird, ab April, auch der Szeneladen „Strips & Stories“ sein Lesungsprogramm wieder hochfahren. Wenn das angesichts von Corona-, Verlags- und Papierkrisen nun keine gute Laune macht – dann gibt es wirklich gar keine mehr.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.