Rassismus und Black History Month: Was würde May Ayim sagen?
Am 1. Februar beginnt der Black History Month. Ein Blick in die Vergangenheit und ins Heute, wo der Rassismus leider noch immer da ist.
Rassismus gibt es im heutigen Deutschland nicht“, so die Behauptung des Professors. Die junge Studentin, eine ghanaisch-deutsche Adoptivtochter namens Sylvia Opitz geb. Andler, war entsetzt. Tja, das war Regensburg, und zwar Mitte der 1980er Jahre. Sylvia verwarf ihre Pläne jedoch nicht. In West-Berlin setzte sie ihre Recherchen fort. Diese mündeten in die Diplomarbeit Afro-Deutsche: Ihre Kultur- und Sozialgeschichte auf dem Hintergrund gesellschaftlicher Veränderungen.
Daraus entstand überdies ihr bahnbrechendes Buch Farbe bekennen, gemeinsam mit Katharina Oguntoye und Dagmar Schultz geschrieben. Das Studium hätte Sylvia, die das Pseudonym May Ayim annahm, also kaum erfolgreicher absolvieren können. Aber die Prüfung musste sie tagtäglich bestehen, immer wieder aufs Neue. Denn sie war eine Schwarze in Deutschland.
Mit dem Februar kommt der Black History Month. Wenige Tage vor dem Anbruch dessen stehe ich an der Gedenktafel am ehemaligen Gröbenufer. Es herrscht kein Kaiserwetter. Nein, es regnet. Von den Wolken, von meinen Wimpern. Die einst tief im deutschen Kolonialismus verankerte Anlegestelle heißt seit zwölf Jahren May-Ayim-Ufer.
Offiziell, und das ist auch gut so. Die Umbenennung wirkt in poetischer Hinsicht nicht minder passend. Denn an diesem Abschnitt an der Spree entlang verlief bis 1989 die Sektorengrenze, und May liebte es, mittels ihrer zumindest dichterischen Freiheit, „grenzenlos und unverschämt“ zu sein. Oh, wie sie die Gemüter erregte, indem sie sich erdreistete, die Heilige Deutsche Wiedervereinigung als „Sch-Einheit“ zu etikettieren.
Wir Schwarzen erlebten, wie ich es damals beschrieb, ein „Wirr-Gefühl“. Gerne feierten wir den Mauerfall mit. Aber wir spürten die herunterstürzenden Steinbrocken am eigenen Leibe und auch in der Seele. May nahm ihre Schmerzen allerdings mit sich, als sie mit 36 Jahren aus dem 13. Stockwerk eines Kreuzberger Hochhauses sprang. Das ist mehr als zweieinhalb Dekaden her. Was würde sie über den heutigen Stand der Dinge sagen?
Diese Diskrepanzen sind bekannt
Inzwischen ist viel geschehen. Viel und dennoch gar nichts. Die Mordserie der NSU ist kaum aufgeklärt. Gerechtigkeit in den Fällen Amadeu Antonio Kiowa und Oury Jalloh? Fehlanzeige. Eklatante Hassverbrechen wie die Anschläge in Halle und Hanau werden zwar mit Bestürzung kommentiert – aber überstürzt als Einzelfälle zu den Akten gelegt. Unbekannte schießen auf das Bürgerbüro des Schwarzen Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby, der dann auf Dienstreisen Racial Profiling über sich ergehen lassen solle. Denn sicher sei sicher.
Solche Diskrepanzen zwischen Anrecht und Realität kenne ich allzu gut. 1961 erblickte ich das Licht der Welt im Schatten der Freiheitsstatue. Als afroamerikanisches Kind ebenda im Lande der unmöglichen Begrenzungen lernte ich die Segregation, alias Jim Crow, gut kennen. Das, wohl bemerkt, während wehrpflichtige Familienmitglieder an der DMZ in Vietnam und am Checkpoint Charlie Wache schoben. Für die Demokratie. Doch wenn wir gedenken, zu demonstrieren und unseren Stolz zu zeigen, seien wir plötzlich eine Gefahr für die Sicherheit.
„Dit is aba ooch rassistisch“, ruft der Greis missbilligend, der mir am Alex über den Weg läuft. Als würde er mich zu einem Duell auffordern, hebt er seinen Spazierstock wie ein Florett empor. Durch meine FFP2-Maske hindurch brülle ich ihn auf den Mindestabstand zurück. Allerdings zeigt er auf meine Black-Lives-Matter-Anstecknadel und warnt, man dürfe in Deutschland nicht provozieren. Nicht nur das Leben der „Farbigen“ sei wichtig, belehrt er mit einer Mischung aus weißer Fragilität und toxischer Männlichkeit hinzu. Oh, und ja, er sei nämlich Christ.
Wir Schwarzen Schafe
„Gott sei Dank“, begrüße ich, „dann dürfte ich Ihnen die Leviten lesen.“ Ich zitiere vielmehr aus dem Lukasevangelium 15, 4-7. Wenn auch nur ein Schaf aus einer Herde von einhundert ausgegrenzt werde, müsse es gerettet werden. Denn sein Leben zähle genauso wie die anderen. Der Greis zieht weiter.
Dabei wollen wir, die Schwarzen Schafe, eben nicht auf Kosten der anderen gehegt werden. Nein, wir wollen einfach nicht länger eingehegt sein. Indem wir unsere Bedeutung hervorheben, sprechen wir den Weißen nicht etwa das Existenzrecht ab. Aber trotzdem meckern einige, von ihrem eigenen Futterneid aufgefressen und völlig dazu unfähig, über die Herkunft ihrer Privilegien zu reflektieren. Sie verbreiten die weiße Notlüge, es gebe keinen Rassismus mehr. Fakt ist, der Rassismus ist weder ein Hirngespenst noch ein Kavaliersdelikt, sondern eine weiterhin strukturelle Gegebenheit, die nichts weniger als ein Gewaltverbrechen gegen Menschen und gegen den sozialen Frieden beinhaltet.
Michaela Dudley ist Autorin des neu erschienenen, deutschsprachigen Buches „Race Relations: Essays über Rassismus“ (Verlag GrünerSinn: ISBN 9783946625612). 256 Seiten, 50 Illustrationen. Signiert erhältlich via www.race-relations.de
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