: Die Wenige-Punkte-Partei
PIRATEN Mit knapp 8.000 Mitgliedern sind sie schon jetzt eine mitgliederstarke Partei. Werden die Piraten die neuen Grünen in der deutschen Parteienlandschaft? Die Konkurrenz glaubt: Nein
BERLIN taz | Die Demonstration „Freiheit statt Angst“ war für die Piratenpartei Wahlkampfhöhepunkt. Der „Piraten-Truck“ war der mit Abstand größte Musikwagen der Demo, keine andere Partei hat so viele Aktivisten aus dem ganzen Bundesgebiet auf die Beine gebracht.
Karla etwa. Sie überlegt, die Piratenpartei zu wählen. Denn sie ärgert sich über die Ignoranz der etablierten Politik gegen Computerspiele. Auch andere stören sich an der angeblichen Technikblindheit im Deutschen Bundestag. Mitja, Parteimitglied, ist gerade 18 Jahre alt geworden und sagt: „Die Piratenpartei ist die erste Partei, mit der ich 100-prozentig übereinstimme.“ Er sei einfach mal zum Stammtisch gegangen, weil es ihn ärgere, dass „die meisten Politiker von IT so wenig verstehen“. Dass die Piraten ihre Gruppen „Crews“ und „Squats“ nennen, findet Mitja, Schüler auf einem IT-Gymnasium, aber etwas kindisch.
Eine „Crew“ ist eine Art Basisgruppe von etwa zehn Menschen. Würden es mehr, so könne man nicht mehr vernünftig arbeiten, sagen viele. Inhaltliche Arbeitsgruppen heißen bei den Piraten „Squats“. Grundsätzlich wolle man sich auf die Themen der Informationsgesellschaft beschränken, betont Jens Seipenbusch, Vorsitzender der Piratenpartei. „Bürgerrechte sind Priorität.“
Gegründet im September 2006, ist die Piratenpartei mit knapp 8.000 Mitgliedern inzwischen die mitgliederstärkste derjenigen Parteien, die nicht in Fraktionsstärke im Bundestag vertreten sind. Bei der Europawahl bekam sie 0,9 Prozent der abgegebenen Stimmen, aktuell liegt sie in Umfragen bei bundesweit 1 bis 2 Prozent.
Für die Bundestagswahl 2009 verfügt die Piratenpartei über ein Budget von 200.000 Euro, eingeworben meist über zweckgebundene Spenden. 30.000 Wahlplakate hat sie gehängt.
Die Piraten glauben an ihren Einzug in den Bundestag: „Es ist unser Wahlziel, 5 Prozent zu bekommen“, meint der Piratenparteivorsitzende Jens Seipenbusch. Die Schweden hätten vor ihrem grandiosen Europawahlergebnis schließlich auch wochenlang bei nur 3 Prozent gelegen und dann doch 7,1 Prozent der Stimmen errungen.
Erfolge habe man eh schon erzielt: „Wir haben in allen Parteien Diskussionen angestoßen“, meint Seipenbusch. In der SPD und bei den Grünen hätten sich „Piraten“-Gruppen zusammengefunden – Menschen, die sich besonders für die Netzpolitik interessieren und diese in ihren Parteien voranbringen wollen.
Nicole Hornung ist die einzige Frau im Bundesvorstand der Piraten. „Ich wurde gewählt, weil sie mich wählen wollten, nicht wegen einer Quote.“Angeblich steigt der Frauenanteil zurzeit an: „Aktuell kommen definitiv mehr Frauen zu uns“, meint Florian Bischof, Landesvorsitzender in Berlin. Das liege auch daran, dass über Mund-zu-Mund-Propaganda inzwischen auch Menschen aus anderen Szenen als lediglich der Computer-Subkultur zur Piratenpartei fänden.
„Wenn die Piratenpartei in den Bundestag kommt, wird das die Geschichte Europas verändern,“ sagt Christian Engström, einer der zwei Piraten-Europaparlamentarier aus Schweden. In Schweden ist die Vorratsdatenspeicherung noch nicht ratifiziert worden. Es standen Wahlen an, und die etablierten Parteien befürchteten, im Fall der Ratifizierung Wähler an die Piraten zu verlieren.
Engström hat sich im Europaparlament der grünen Fraktion angeschlossen – auch mit den Liberalen hatte er geliebäugelt. Entscheidendes Argument war für ihn, dass in der grünen Europafraktion schon eine aktive Arbeitsgruppe zu den Themen der Informationsgesellschaft existierte.
Die Grünen sagen, alles, was die Piratenpartei fordere, sei bei ihnen längst Parteiprogramm. Christian Ströbele sagt: „Die Piratenpartei ist eine Wenige-Punkte-Partei.“ Die Grünen formten sich aus der Friedens-, der Frauen- und der Ökologiebewegung, aus sozialen Bewegungen und kommunistischen Gruppen. Vergleiche mit den Grünen würden nur von denjenigen gezogen, die damals nicht dabei waren. „Auch mit den Grünen in den 80ern ist die Piratenpartei nicht zu vergleichen.“ JULIA SEELIGER
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