Geflüchteter ersucht weiter Asyl: Brief an Innensenatorin Spranger
Unterstützer versuchen, dass der schwerbehinderte Raheel Afzal nicht abgeschoben wird. Ob es klappt, ist unklar.
Im Oktober berichtete die taz über seinen Fall. Seine Duldung sollte am 19. Oktober 2021 ablaufen, kurz darauf hätte er nach Pakistan abgeschoben werden sollen. Zahlreiche Personen wehrten sich gegen diese Vorhaben. Sozialberaterin Lynn Klinger von Xenion e. V., einem Hilfsdienst für politisch Verfolgte, leitete Raheel Afzals Fall im Januar 2021 an die Härtefallkommission weiter. Durch diese können ausreisepflichtige Flüchtlinge mit besonderen humanitären Härten doch noch einen Aufenthaltstitel erhalten – vorausgesetzt, der amtierende Innensenator stimmt der Entscheidung der Kommission zu.
Die Härtefallkommission beriet den Fall im vergangenen Jahr und entschied positiv. Das letzte Hindernis auf dem Weg zum Aufenthaltstitel wäre die Zustimmung des ehemaligen Innensenators Andreas Geisel (SPD) gewesen. Er lehnte ein humanitäres Bleiberecht allerdings – entgegen der Empfehlung der Härtefallkommission – ab.
Lynn Klinger habe man bei einem Telefonat mit dem Petitionsausschuss als Begründung genannt, dass Raheel Afzal die Integrationskriterien nicht erfülle. Obwohl es gewisse Maßstäbe für die Integration gibt – beispielsweise Sprachkompetenzen oder die Teilhabe am Wirtschaftssystem und an Bildungsangeboten –, wird letztendlich jeder Einzelfall geprüft.
Keine behindertengerechten Kurse
Das Besondere an Afzals Fall ist, dass jahrelang verpasst wurde, seine speziellen Bedürfnisse anzuerkennen und somit entsprechende Integrationsmöglichkeiten anzubieten. In der Flüchtlingsunterkunft, wo Afzal zuvor gewohnt hatte, wurde auf die augenfälligen Bedarfe eingegangen: ein Bett, Essen und eine erste medizinische Versorgung. Auf seine kognitiven Beeinträchtigung wurde allerdings nicht reagiert, da diese bei seiner Ankunft im Flüchtlingszentrum im Jahr 2014 nicht diagnostiziert wurde. Somit belegte Afzal nicht behindertengerechte Deutschkurse und Jobs – und scheiterte. Erst 2019 hatte er deshalb Kontakt zu Xenion.
Erst dort erhielt er die Möglichkeit, im Rahmen seiner Behinderungen zu arbeiten. Er fand so ein WG-Zimmer und eine behindertengerechte Beschäftigung in der Buchbinderei der Stephanus-Stiftung. Diese würde ihn gerne auch fest anstellen. Voraussetzung dafür ist allerdings ein Aufenthaltstitel. Dr. Sabine Speiser, Härtefallberaterin, engagiert sich mittlerweile ehrenamtlich für Raheel Afzal. „Seine Geschichte steht nur exemplarisch für viele weitere ähnliche Schicksale“, sagt sie. Sie wünscht sich, dass im Einstiegsprozedere in verschiedenen Flüchtlingszentren auch kognitive Beeinträchtigungen gesehen werden.
Nun gibt es eine neue Chance für Raheel Afzal und für die Berliner Flüchtlingspolitik. Nach der Entscheidung des Innensenators Geisel gegen einen humanitären Aufenthaltstitel im Oktober war Afzal suizidgefährdet und verbrachte deswegen sechs Wochen in der psychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses.
Briefe an den Senat für Inneres
Daraufhin stellte die Härtefallberatung des Berliner Flüchtlingsrats im November 2021 erneut einen Antrag bei der Härtefallkommission. Gleichzeitig wandten sich mehrere Personen – sowohl privat als auch im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit – mit Briefen an den ehemaligen Innensenator. Damit konnten sie erreichen, dass Afzals Fall im vergangenen Dezember ein zweites Mal vor der Härtefallkommission beraten wurde. Die Kommission entschied sich erneut positiv und im Sinne Afzals.
Nun liegt die Entscheidung bei der neuen Berliner Innensenatorin Iris Spranger (SPD). Für die Berliner Flüchtlingspolitik und für ihren Umgang mit Härtefällen könnte die Entscheidung richtungsweisend sein. Sabine Speiser und Afzals gesamter Unterstützerkreis haben mit dem Vorstand des Flüchtlingsrats, Xenion, der Stephanus-Stiftung und vielen Engagierten in der letzten Woche erneut einen Brief an die Senatsverwaltung für Inneres gerichtet. Wann eine Entscheidung von Spranger fallen wird, ist derzeit unklar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“