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Daimler in BerlinAus dem Weg, ihr Gestrigen

Das historische Daimler-Werk im verschlafenen Marienfelde wird nun doch nicht zugemacht. Der Konzern setzt auf Elektromotoren.

Herrschaften, das waren noch Zeiten! Mit dem dicken Benz in den Sommerurlaub … Illustration: Sebastian König

Berlin taz | Von Weitem leuchtet der riesige Mer­cedes-­Stern vom Werksdach an der Daimlerstraße in Ber­lin-­Ma­rien­fel­de. „Wir legen den Schalter um“, liest man an einem großflächigen Plakat darunter. Das älteste Werk des Konzerns, erbaut 1902, liegt an einer Durchfahrtsstraße zum historischen Ortskern mit der ältesten Dorfkirche Berlins und dem sehenswerten Museum Notaufnahmelager Marienfelde. Baumarkt, Kleinindustrie und das Schnellrestaurant mit dem großen M säumen den Weg zum Daimler-Werk.

Eine Werksführung wurde aus Pandemiegründen abgelehnt. Kein Problem, dann gibt es eben eine Ortsbegehung von außen. Das riesige Werksgelände liegt im südlichsten Berliner Süden und irgendwie ist dieser beschaulichere Teil der Hauptstadt vom Flair her zwischen westdeutscher Kleinstadt und 1990 steckengeblieben.

Bevor jetzt Protestbriefe vom Verein „Marienfelder Freunde“ oder Ähnlichem kommen: Come on, ich komm von hier! Und deshalb lese ich alles, was mit Ma­rien­fel­de und dem Daimler-Werk zu tun hat. Mein Vater hat hier Jahrzehnte als Dreher im Werk zugebracht. Wenn er mal in Berlin ist, dann fährt er nach – na? – genau: Marienfelde, einfach aus nostalgischen Gründen.

Nostalgisch ist auch der Kult, der sich rund um das Auto dreht. Eher gesagt das Modell aus den 80ern, das heute noch mein Herz ergreift: Der Merzer mit dem Lederlenkrad und den breiten Sitzen. „Schnurrt wie ein Tiger“, sagte mein Vater immer anerkennend, wenn wir mit unserem weißen 230E mit den silbernen Sternen in die Sommerferien fuhren … Und mein Papa war nicht allein mit seiner Liebe zum Benz: Bewundernde Blicke begleiteten uns auf der Fahrt und am Urlaubsort. Kein Wunder, dass in der Türkei die Ar­beits­mi­gran­t*in­nen aus Deutschland mit dem Mercedes, der als Statussymbol schlechthin galt, in Verbindung gebracht wurden.

Infos nur verklausuliert

Eindrücklich erzählt wird diese Liebe zum Gefährt hüben und drüben im Kultfilm „Sarı Mercedes“ von 1992, den man sich nur auf Türkisch, dafür in voller Länge auf Youtube anschauen kann.

Aber zurück zum Marienfelder Werk. Dieser Standort beschäftigte unter den Nazis Kriegsgefangene und Fremd­ar­bei­te­r*in­nen aus den von den Deutschen besetzten Gebieten und KZ-Häftlinge. In diesem Marienfelder Werk bauten sie Panzerwagen und Flugmotoren zusammen.

Diese Infos findet man leider allzu zusammengeschraubt und verklausuliert auf der firmeneigene Website, die zwar das Werk Marienfelde unter der NS-Herrschaft erwähnt, sich aber kaum zu den im Werk beschäftigten Menschen äußert. „1944 ist fast jeder zweite der 63.610 Daimler-Benz-Mitarbeiter ein ziviler Zwangsarbeiter, Kriegsgefangener oder KZ-Häftling“, ist dort zu lesen, jedoch gilt diese Zahl für das gesamte Unternehmen.

So richtig nach Aufarbeitung klingt das nicht. Aber das kann den Erfolg einer der bekanntesten Marken Deutschlands nicht trüben.

Die erlösende Nachricht

Oder fast nicht trüben, denn eigentlich sollte das älteste Werk im letzten Jahr geschlossen werden – über 2.000 Mit­ar­bei­te­r*in­nen hätte das den Job gekostet. Im September 2020 noch hatte die Konzernleitung nicht mehr in Verbrennungsmotoren investieren wollen. Rund um den Jahreswechsel 2020/21 bangten Menschen also neben der Pandemie auch noch um ihre Jobs und gingen dafür mehrmals auf die Straße.

Im Frühjahr 2021 kam die erlösende Nachricht für die Ar­bei­te­r*in­nen: Das Werk bleibt, wird zu einem der modernsten Betriebe des Konzerns umfunktioniert und wird – wohl auch in Konkurrenz zu einem anderen Großunternehmen, welches sich gerade in Brandenburg breit macht –, Elektromotoren produzieren.

Und während Daimler in die Zukunft blickt, geht der Blick, was die Vergangenheit angeht, am Werk buchstäblich ins Leere. Keine Gedenktafel, nichts, was an die unrühmliche Vergan­genheit des ältesten und bald modernsten Daimler-Werks erinnert.

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